Informelles Treffen der Europäischen Staatschefs – Premierminister Jean-Claude Juncker im Interview mit dem Deutschlandfunk
Deutschlandfunk: 17. September 2009
Jean-Claude Juncker: Guten Morgen.
Engels: Die EU will also laut Entwurf den gesamten Bankensektor restrukturieren und große Banken auch grenzüberschreitend kontrollieren. Das klingt gewaltig, aber wie soll es funktionieren?
Juncker: Wir werden uns auf ein Regelwerk verständigen müssen, das sicherstellt, dass grenzüberschreitende Bankaktivitäten unter Kontrolle gestellt werden, nach Maßgabe dessen, was die Bundeskanzlerin mehrfach ausgeführt hat, nämlich dass kein Finanzprodukt nirgendwo auf der Welt sich unkontrolliert entwickeln darf. Dazu bedarf es fester Festlegungen. Die werden wir heute Abend vorbereiten.
Engels: Ein großes Problem ist ja die schiere Größe der Banken. Zum Teil sind die Banken ja in der Krise noch gewachsen, weil sie andere Geldhäuser übernommen haben, und seit sie wissen, dass der Staat im Notfall helfen wird, wenn sie nur groß genug sind, setzen einige schon wieder auf Risiko. Wie kann man also die Bankgröße beschneiden?
Juncker: Das wird in der Tat schwierig sein, aber es wächst die Erkenntnis, dass man es nicht ohne Weiteres dazu kommen wird lassen können, dass Banken und Bankinstitute eine Größe und eine Dichte erreichen, die zur Folge hat, dass, wenn diese Bankhäuser in Schwierigkeiten geraten, dass die Staaten durch sie wegen ihrer Größe erpressbar werden. Darüber wird man im Detail reden müssen.
Engels: Es gibt ja den Ansatz, beispielsweise an den Eigenkapitalrichtlinien etwas zu drehen, also das Geld, was die Banken halten müssen, zuzuschneiden dahin, was man eben erreichen möchte. Und das könnte ja so sein: Je größer das Bankhaus, umso höher müssen die Rückhalte eben sein, die Garantien, das garantierte Kapital. Ist das ein Weg?
Juncker: Das ist ein Weg, der wird ohne jeden Zweifel beschritten werden.
Engels: Ein Reizthema in der Debatte sind die Bonuszahlungen für Manager. Auf eine absolute Höchstgrenze hat sich bislang schon die EU nicht einigen können. Können Sie hier die Briten noch überzeugen?
Juncker: Dies wird schwierig sein, weil: Es ist Sache der britischen Regierung – und das versteckt sie auch nicht -, die Interessen der Londoner City zu schützen und zu beschützen. Aber wir werden über Höchstgrenzen bei Managerboni reden müssen und wir werden uns auf ein Regelwerk, auf ein Instrumentarium zu verständigen haben, das sicherstellt, dass es zu keiner übertriebenen Risikoübernahme mehr kommt. Boni müssen so ausgerichtet werden, dass nicht irrationales Tun wieder Platz greift.
Engels: Langfristigkeit, das ist das Konzept dabei. Die EU hat ja die Idee, Boni nur zahlen zu lassen, wenn der Erfolg wirklich langfristig ist, oder gar auch Malusregelungen durchzuführen. Das heißt, wenn das Unternehmen doch wieder absinkt, dann müssen auch die Manager zahlen. Kommen Sie hier voran?
Juncker: Ich glaube, wir kommen hier voran. Es ist so, dass viele am europäischen Tisch der Auffassung sind, dass es ein Bonussystem ohne ein entsprechendes Malussystem nicht geben kann. Die Boniregelung muss langfristig an der langfristigen Geschäftsresultatentwicklung der Banken ausgerichtet werden. Wenn es schief geht, müssen auch die Zahlungen an die Bankmanager zurückgedreht werden können.
Engels: Herr Juncker, Sie sprechen von Regelwerken. Nun haben sich die Finanzaufsichten auch in früheren Zeiten immer schon getroffen, ohne dass man die Gefahren erkannt hätte. Wie kann man das in den Griff bekommen?
Juncker: Ich glaube, bei früheren Treffen der Überwachungsbehörden war der Informationsaustausch nicht effektiv genug. Die Zusammenarbeit der Überwachungsorgane muss wesentlich verstärkt werden, und wir brauchen hier ein Überprüfungsraster, die Bonität der Bankhäuser betreffend, das international zur Anwendung gelangen muss.
Engels: Herr Juncker, an der Wall Street machen einige Banken schon wieder riskante Geschäfte. Da werden schon wieder hohe Boni ausgeschüttet. Ist der Schock schon zu stark abgeklungen? Ist die Chance auf Einigung auf internationaler Ebene schon vorbei?
Juncker: Ich beobachte mit Sorge, dass an einigen Finanzplätzen fast schon wieder so getan wird, als ob nichts passiert wäre. Es legt sich eine Art Mehltau auf das Finanztrümmerfeld. Wir müssen in diesen Staub hineinblasen, ihn wieder aufwirbeln, damit man wieder eine klare Sicht der Dinge erhält. Es darf nicht so sein, dass wieder Verhaltensformen einreißen, die uns in absehbarer Zeit wieder in ein ähnliches Finanzdisaster hineinführen könnten, wie das, was wir zurzeit erleben.
Engels: Sehen Sie die Gefahr, dass der Gipfel in Pittsburgh scheitern könnte?
Juncker: Ich sehe die Gefahr nicht, weil diejenigen, die sich um den Pittsburgher Tisch herumsetzen werden, haben alle im Vorfeld erklärt, dass es diesmal darauf ankommt, effektive Maßnahmen zu treffen. Keiner der Teilnehmer und auch die Europäer nicht, die in koordinierter Stellung in Pittsburgh auftreten werden, können sich ein Scheitern erlauben.
Engels: Was können Sie den US-Amerikanern anbieten, damit sie gerade beim Stichwort Bonusregelungen mitziehen? Bislang ist da ja der Widerstand groß.
Juncker: Es wird Sache derer sein, die in Pittsburgh anwesend sein werden, unsere amerikanischen Freunde davon zu überzeugen, dass neue Verhaltensmuster Einzug ins internationale Finanzgeschäft erhalten müssen. Wenn es nicht gelingen sollte, in Pittsburgh Amerikaner auf eine einheitliche Linie festzulegen, dann bin ich nachdrücklich der Auffassung, dezidiert der Auffassung, dass wir in Europa die Dinge so machen sollten, ob die Amerikaner mitmachen oder nicht, wie wir denken, dass sie gemacht werden müssen.
Dann braucht es hier einen europäischen Alleingang, der so viel an Dynamik dann mit der Zeit entwickeln wird, dass die Amerikaner sich solidarisch im international koordinierten Vorgehen nicht entschließen können.
Engels: Das ist optimistisch gedacht, aber nützt es überhaupt etwas, europaweit Einigungen zu finden, wenn dann möglicherweise nur das Kapital abfließt in die Regionen, wo die Regeln nicht so stark sind?
Juncker: Wenn wir jede internationale Vereinbarung von der Zustimmung aller abhängig machen, begeben wir uns in eine Gefechtslage, die zur Folge haben wird, dass nichts passiert. Also muss Europa hier mit dem guten Beispiel vorangehen.
Engels: Wann kommt die nächste Krise, Herr Juncker?
Juncker: Wenn wir die Fehler eliminieren, die zu dieser Krise geführt haben, wird es keine derartige Finanzkrise mehr geben. Wenn wir aber die Dinge so belassen wie sie sind, werden wir auf absehbare Zeit wieder den Wagen an die Wand fahren.
Engels: Jean-Claude Juncker, der Ministerpräsident von Luxemburg. Vielen Dank für das Gespräch.
Juncker: Bitte.
Quelle: Deutschlandfunk, 17. September 2009