Kooperationsministerin Marie-Josée Jacobs im “forum”-Interview
Quelle: forum, September 2009, Marc Keup, Michel Pauly
Brennpunkt/ forum: Frau Minister, Sie waren bisher für das Familienministerium zuständig und somit für die Menschen, die hier in Luxemburg benachteiligt sind. Jetzt sind Sie zusätzlich noch für die benachteiligten Menschen auf globaler Ebene verantwortlich. Haben Sie bisher eine persönliche Beziehung zum Thema Kooperation gehabt!
Marie-Josee Jacobs: Die Kooperation ist natürlich eine Herzensangelegenheit. Und da ich sowohl auf persönlicher als auch auf professioneller Ebene bereits mit den Problemen der benachteiligten Menschen vertraut bin, ist es in gewisser Hinsicht eine Fortschreibung meiner bisherigen Tätigkeit, nur mit anderen Menschen in anderen Ländern, die noch ärmer sind als die Menschen, um die ich mich hier in Luxemburg gekümmert habe. Es ist eine Arbeit, die ich gerne mache und auf die ich mich auch freue – eine Arbeit, die aber auch immer neue Herausforderungen beinhaltet.
Brennpunkt/ forum: Sie können in Ihrer neuen Funktion sicherlich auf der Arbeit Ihrer Vorgänger aufbauen, gleichzeitig wollen Sie sicher auch neue Impulse setzen. Können Sie uns schon verraten, welche neuen Wege Sie in der generellen Ausrichtung der luxemburgischen Kooperation einschlagen wollen?
Marie-Josée Jacobs: Ich habe das große Glück, mein Amt nach Jean-Louis Schiltz anzutreten, der sowohl auf nationaler, europäischer wie auch auf internationaler Ebene sehr viel bewegt hat, angefangen bei der Tsunami-Katastrophe Ende 2004 und der EU-Präsidentschaft 2005. Was meine persönliche Orientierung anbelangt, so möchte ich vor allem ein vernetztes Denken in den Vordergrund rücken. Manchmal spürt man, dass die Kooperationspolitik von der Mehrheit der Menschen nicht ganz durchdacht wird. Die Einen meinen, wir müssen etwas Gutes tun, die Anderen sagen, wir übertreiben. Man muss sich aber klar darüber sein, dass die Kooperationspolitik Auswirkungen auf viele andere Bereiche hat, wie z. B. auf die Migrationsbewegungen. Man muss die Kooperationspolitik und ihre Vernetzung mit anderen Politikfeldern als Ganzes sehen. Wir müssen den Menschen – und auch den anderen Ministerien – klar machen, dass das nicht nur die Aufgabe eines Einzelnen ist. Eines der besten Beispiele ist die Klimapolitik. Hier sind wir schnell zur Stelle, um anderen Ländern zu sagen, sie sollen ihre Emissionen senken, wobei es eher wir sind, die für diese Katastrophe verantwortlich sind. Hier ist ganz klar ein vernetztes Denken notwendig.
Brennpunkt/ forum: Sie sprechen die Kohärenz der Politiken an. Diese ist aber nicht nur auf nationaler Ebene, sondern auch auf europäischer Ebene notwendig. Man denke zum Beispiel an die Agrarsubventionen, die einen enormen Schaden anrichten in den ärmeren Ländern.
Marie-Josée Jacobs: Luxemburg exportiert ja keine Milchprodukte über die Grenzen der EU hinaus, andere europäische Länder machen das jedoch sehr wohl. Man darf aber nicht außer Acht lassen, dass man hier nach einem schwierigen Gleichgewicht suchen muss. Es ist für einen Agrarminister nicht einfach, streikenden Bauern entgegenzutreten und ihnen mitzuteilen, dass die Subventionen gekürzt werden müssen. Man muss ein Bewusstsein dafür schaffen, dass es nicht ausreicht, nur nach unserem Wohl zu schauen, sondern dass wir auch danach trachten müssen, die Welt dort draußen in Ordnung zu bringen. In einem kleinen Land wie Luxemburg, in dem die Minister sehr eng zusammenarbeiten, ist es vielleicht einfacher eine Politikkohärenz aufrechtzuerhalten. Wir haben ja auch ein Comite interministeriel zu dieser Frage, wo eine Verwaltung die andere darauf aufmerksam machen kann, wenn sich hier Probleme ergeben.
Brennpunkt/ forum: Bezüglich des Comite interministeriel hatte Jean-Louis Schiltz in seiner Rede vor dem Parlament im April angedeutet, dass dieser vielleicht in Zukunft auf einer höheren Ebene zusammenkommen sollte, als dies bisher der Fall war.
Marie-Josee Jacobs: Ich kann mir vorstellen, dass wir mit einzelnen Ministerien, wie z. B. dem Ministerium für nachhaltige Entwicklung, stärker zusammenarbeiten werden, vor allem vor der Klimakonferenz in Kopenhagen. Generell ist es so, dass die einzelnen Minister hier in Luxemburg einen sehr engen Kontakt zueinander pflegen und man jederzeit das Telefon in die Hand nehmen kann, um seine Kollegen anzurufen. Ich kann mir vorstellen, dass man in einzelnen Fragen den direkten politischen Weg gehen muss und sogar, dass solche Fragen direkt im Regierungsrat zur Sprache kommen, falls die Diskussionen im Comite interministeriel nicht zu den gewünschten Ergebnissen führen.
Brennpunkt/ forum: Im Regierungsabkommen steht, dass man die Qualität der luxemburgischen Kooperation verbessern will. Welche konkreten Schritte sind hier denkbar!
Marie-Josee Jacobs: In diesem Bereich wurde bereits in der Vergangenheit sehr viel erreicht, ich erinnere in diesem Zusammenhang nur an den sehr positiven Evaluierungsbericht der OECD vom letzten Jahr. Aber man kann sich natürlich noch immer weiter verbessern und deshalb steht im Regierungsprogramm, dass wir die Prozedur zur Überarbeitung des Kooperationsgesetzes von 1996 einleiten wollen. Allerdings sollte man sich jetzt nicht ein zu enges Korsett anlegen, so dass man sich schlussendlich den Handlungsspielraum verbaut. Es gibt aber auf UN- und auf EU-Ebene einige Entscheidungen, die sich im neuen Kooperationsgesetz widerspiegeln sollten und einige Teile des alten Gesetzes, wie z. B. die Funktionärsklausel, müssen überarbeitet werden. Daneben wollen wir uns auch geographisch stärker auf eine Region konzentrieren, damit wir unsere Arbeit besser koordinieren und unsere Mittel effizienter einsetzen können.
Brennpunkt/ forum: Die luxemburgischen Entwicklungs-ONGs haben sich in den letzten 20 Jahren stark professionalisiert und können daher ihre Arbeit heute sicher besser ausführen. Als Familien- und Jugendministerin haben Sie aber immer die ehrenamtliche Arbeit in den Vordergrund gestellt. Gibt es da nicht einen Widerspruch!
Marie-Josee Jacobs:Im Familienbereich gibt es auch viele professionelle ONGs und ich habe sehr viel mit ihnen zusammengearbeitet. Bei den ONGs braucht man sowohl professionelle als auch ehrenamtliche Mitarbeiter und das entspricht ja auch der heutigen Praxis. Ich würde es sehr schade finden, wenn eine fortschreitende Professionalisierung die ehrenamtliche Tätigkeit in den Hintergrund rücken würde, denn sie ist ein echter Gewinn für die ONGs und steigert auch die Akzeptanz für die Kooperation in der Bevölkerung.
Brennpunkt/ forum: Der Evaluierungsbericht der OECD hat vergangenes Jahr einen Mangel an Expertise in der luxemburgischen Verwaltung für Kooperation festgestellt und unter anderem vorgeschlagen, außerhalb des Hauses danach zu suchen. Würde sich in diesem Zusammenhang nicht eine stärkere Zusammenarbeit mit der Universität Luxemburg anbietend
Marie-Josee Jacobs: Die OECD hatte in ihrem vorletzten Evaluierungsbericht vorgeschlagen, wir sollten zusätzliches Personal einstellen. Glücklicherweise hat man diesen Rat damals nicht befolgt. Denn auch wenn wir jetzt sechs zusätzliche Mitarbeiter eingestellt hätten, könnten wir trotzdem nicht alle Themenfelder besetzen und wir hätten weniger Geld für unser Kerngeschäft, nämlich die konkreten Projekte vor Ort. Da finde ich es schon richtiger, dass man sich die Kompetenzen von außen hereinholt, als dass man alles hausintern regeln will. Wenn man die Universität verstärkt in die Diskussion um die Kooperationspolitik einbinden kann, dann wäre das sicher sehr sinnvoll.
Brennpunkt/ forum: Neben der klassischen Projektausführung gehört auch die Bildungsarbeit zur Kooperationspolitik – ein Bereich, in dem vor allem die ONGs aktiv sind. Werden Sie diese Arbeit auch weiterhin unterstützend ?
Marie-Josee Jacobs: Wie Sie wissen, haben wir zurzeit schwierige Zeiten und daher werden wir nicht mehr alles machen können, was wir machen wollen. Das heißt jetzt nicht, dass wir die Bildungsarbeit nicht mehr finanziell unterstützen wollen, aber wir fragen uns, inwiefern man nicht verstärkt auch auf ehrenamtliche Mitarbeiter zurückgreifen kann. Aber natürlich bleibt die Education au developpement sehr wichtig, vor allem auch im Hinblick auf einen Mentalitätswandel bei den Bürgern. Die Arbeit, die bisher gemacht wurde, wird auch weiterhin unterstützt werden, denn wenn man jetzt damit aufhören würde, wäre die getane Arbeit umsonst gewesen. Wir müssen jedoch unseren Verwaltungsaufwand so niedrig wie möglich halten, um auf der anderen Seite umso mehr in die Entwicklungshilfe investieren zu können.
Brennpunkt/ forum: Viele ONGs fordern schon seit Jahren ein stärkeres Mitspracherecht bei den politischen Entscheidungen zur Kooperationspolitik. Sind Sie bereit auf diese Forderung einzugehend
Marie-Josee Jacobs: Die Leute wollen immer mitentscheiden und wenn etwas schief geht, dann muss der Verantwortliche den Kopf hinhalten; wenn ich das so sagen darf. Ich finde es wichtig, dass man zusammen diskutiert. Daher gibt es ja auch einen ständigen Dialog mit dem Cercle de cooperation und die jährlich stattfindenden Assises de la cooperation. Letztendlich kann die politische Entscheidung aber nur von Politikern getroffen werden.
Brennpunkt/ forum: Vor einigen Wochen hat der Cercle de cooperation eine Studie vorgestellt, die dem Finanzplatz Luxemburg den Vorwurf macht, Steuerflucht aus Entwicklungsländern zu begünstigen. Unabhängig von ihrer Einschätzung zu dieser Studie, ist das ein Themenkomplex, den die Regierung weiter vertiefen will.
Marie-Josee Jacobs: Ich will mich nicht zu dieser Studie äußern, weil ich der Meinung bin, dass sie der Diskussion inhaltlich nicht geholfen hat. Die Regierung – und ich habe auch mit Staatsminister Jean-Claude Juncker darüber gesprochen – verschließt sich nicht einer Diskussion über diese Problematik, aber dann auf eine ehrliche und nicht auf eine prätentiöse Art und Weise. Man muss die Debatte zielorientiert führen: Welches Resultat wollen wir schlussendlich erreichend Es hat keinen Zweck, wenn wir jetzt fünf Jahre lang herumdebattieren und dann doch nichts dabei herauskommt. Wenn diesen Ländern große Summen durch Steuerhinterziehung verloren gehen, dann ist es doch nicht nachhaltig, ihnen zuerst das Geld zu nehmen und es ihnen später wieder zurückzugeben. Da ist es doch sinnvoller daran zu arbeiten, dass die Gelder gleich an Ort und Stelle bleiben. Und hier können wir uns durchaus vorstellen, Projekte aufzustellen, die darauf abzielen, die Finanz- und Steuerstrukturen in den jeweiligen Ländern zu stärken.
Brennpunkt/ forum: Es wurde ja auch die Möglichkeit der Budgethilfe angedacht, d. h. Dass man finanzielle Mittel direkt in den Staatshaushalt der Partnerländer einspeist. Dabei wäre ja gerade der Aufbau eines funktionierenden Steuersystems hilfreich.
Marie-Josee Jacobs: Wir sind in den letzten Jahren nie den Weg der Budgethilfe gegangen und ich finde, dass dies eine richtige Entscheidung war. Es ist den Bürgern sehr schwer zu vermitteln, wenn wir den Partnerländern finanzielle Mittel zur Verfügung stellen, ohne genau zu wissen, was mit den Geldern passiert.
Brennpunkt/ forum: Im Dezember findet die Klimakonferenz in Kopenhagen statt, wo es unter anderem auch um die Finanzierung der Anpassungsmaßnahmen an den Klimawandel geht. Ihr Vorgänger Jean-Louis Schlitz hat mehrmals angedeutet, dass es möglich sein müsse, solche Ausgaben als Kooperationshilfe auszuweisen. Ist das auch Ihre Meinung?
Marie-Josee Jacobs: Man kann diese Zusammenhänge nicht so einfach voneinander trennen. Ich finde es jedenfalls nicht abwegig zu behaupten, dass beide Felder, Kooperations- und Klimapolitik, zusammengehören. Wichtig ist, dass wir unserer Verantwortung gerecht werden.
Zurzeit laufen immer noch die äußerst umstrittenen Verhandlungen zu den Accords de partenariat economique (APE), Handelsverträgen die zwischen der EU und den AKP-Staaten (Afrika-Karibik-Pazifik) vereinbart werden sollen. Die luxemburgische Kooperation hat in den letzten Jahren nur wenige Stellungnahmen zu diesem Dossier abgegeben. Wird sich daran etwas ändern?
Marie-Josee Jacobs: Ich weiß nicht wie Sie darauf kommen, die luxemburgische Kooperation habe sich nie zu diesem Thema geäußert. Die letzten drei entwicklungspolitischen Erklärungen im Parlament haben sich darauf bezogen und im September 2006 wurden die APE auf den Assises de la Cooperation behandelt. Vor allem aber wird darüber in den Commissions de partenariat gesprochen, wo wir regelmäßig mit den Vertretern unserer Partnerländer zusammensitzen. Wir sind selbstverständlich an diesen Gesprächen interessiert. Wir wollen, dass die Menschen in diesen Ländern selbst für ihre Existenz sorgen können und nicht weiterhin von der Entwicklungshilfe abhängig sind.
Brennpunkt/ forum: Noch eine Frage zur "guten Regierungsführung": Wenn in einem Zielland der luxemburgischen Kooperation demokratische Grundrechte mit Füßen getreten werden, sollte dann die Kooperationshilfe mit diesem Land überdacht werdend Inwiefern kann der Kooperationsminister hier eine eigenständige Politik gegenüber dem Außenminister durchsetzen?
Marie-Josee Jacobs: Wir haben gemeinsame Grundwerte mit unseren Partnerländern und wir pochen mit Nachdruck auf die Einhaltung dieser Werte. Wenn es zu Problemen kommt, wird die Frage zwischen Außen- und Kooperationsministerium sowie mit dem zuständigen Botschafter diskutiert. Um auf die aktuelle Lage im Niger einzugehen: Ich habe der zuständigen Ministerin dort einen Brief geschrieben, in dem ich darauf hinweise, dass wir vorerst keine Verträge mehr abschließen werden, so wie das auch andere europäische Länder getan haben. Man muss natürlich immer aufpassen, dass man die lokale Bevölkerung nicht abstraft, die ja oft keine Schuld trägt an den politischen Zuständen in einem Land.
Quelle: forum, September 2009, Marc Keup, Michel Pauly