Fernand Boden verlässt nach 30 Jahren die Regierung
VON DANI SCHUMACHER
In seiner langen Karriere als Minister hat Fernand Boden alle politischen Höhen und Tiefen durchlebt. Nach 30 Jahren in der Regierung reicht das dienstälteste Kabinettsmitglied den Stab nun weiter. Ans Aufhören denkt er noch nicht: Ab Herbst sitzt er für die CSV im Parlament.
Am vergangenen Freitag 11 Uhr. Die Tür zum Landwirtschaftsministerium steht offen, auch die Tür zum Büro des Ministers ist angelehnt. Überall stehen Kisten: "Was sich in den Jahren alles so angesammelt hat", stöhnt Fernand Boden. Der langjährige Minister räumt sein Büro. Nebenan im Finanzministerium kommt derweil der Ministerrat zu seiner ersten Sitzung zusammen. Ohne Fernand Boden. Da bei der ersten Zusammenkunft fast nur Formalitäten auf der Tagesordnung stehen, dauert die Sitzung nicht sehr lange. Gegen 11.30 Uhr schauen einige Regierungsmitglieder ein letztes Mal bei ihrem langjährigen Kollegen im Landwirtschaftsministerium vorbei. An einen Ministerrat ohne Fernand Boden scheinen sie sich erst noch gewöhnen zu müssen. Die frisch gebackene Ministerin und Nachfolgerin von Boden im Mittelstandsressort, Françoise Hetto-Gaasch, ist noch sichtlich nervös. Ihr Mentor versucht, sie zu beruhigen und will ihr auch in Zukunft mit Rat und Tat zur Seite stehen. Aber nicht mehr als Minister, sondern als einfacher Abgeordneter. Nach 30 Jahren in der Regierung tritt Fernand Boden nämlich ab. Den Titel des dienstältesten Kabinettmitglieds gibt er somit an Jean-Claude Juncker weiter. Der ehemalige jüngste Regierungschef der Europäischen Union hat nämlich mittlerweile auch schon fast 28 Dienstjahre auf dem Buckel, davon 14 als Premier.
Ganz wohl ist Fernand Boden nicht bei dem Ganzen: "Es wird: eine riesige Umstellung werden", sinniert er. Zwar freut er sich, dass er in Zukunft endlich wieder mehr Zeit für sich und seine Familie haben wird. Vor allem seine Frau werde sich freuen, meint er. Der Tag, an dem er von seinen Ämtern entbunden wurde, war ihr 38. Hochzeitstag. Dass er in Zukunft wieder öfters zu Hause ist, sei eine Art Hochzeitsgeschenk. Doch da ist auch ein wenig die Angst vor dem Loch, das sich nach 30 Jahren in der Regierungsverantwortung auftut. Ein Minister hat schließlich keinen Acht-Stunden-Tag. Wie das nun wohl werden wird, wenn das Arbeitspensum von einem Tag auf den anderen um ein Vielfaches kleiner wird …
Doch dann erzählt er erst einmal, was in den 30 Jahren alles passiert ist. Ein Lieblingsressort habe er nicht gehabt, antwortet er auf die Frage, welches Ministerium ihm am meisten Spaß gemacht habe: "Man muss sich in jedem Ressort voll engagieren und die Sorgen und Nöte der Menschen ernst nehmen", erklärt Boden. Sieben verschiedene Ministerien hat er im Lauf seiner langen Karriere betreut: Er war Unterrichts-, Familien- Mittelstands-, Tourismus-, Wohnungsbau-, Landwirtschaftsminister und Minister für den Öffentlichen Dienst. Begonnen hatte alles mit dem Unterrichtsministerium. Der damalige Premier Pierre Werner hatte ihn gewarnt, es sei ein sehr schwieriges Ressort. Zusätzlich bekam der Kabinettsneuling 1979 noch den Posten des Tourismusministers, als Belohnung sozusagen. Das Tourismusressort war übrigens das einzige Ressort, das er in den 30 Jahren nicht mehr aus der Hand geben sollte. Ein weiterer Rekord in der rekordverdächtigen Karriere des Fernand Boden.
"Big Boden is watching you"
Ende der 70er- Anfang der 80er-Jahre war das Bildungsressort wirklich kein Zuckerschlecken. Vor allem die ideologisch befrachtete Schlacht um die Gesamtschule tobte. Bis in die Klassen hinein. Im Athenäum hatten die Schüler ihre Kritik am Unterrichtsminister in riesigen Lettern auf die Mauer am Haupteingang gepinselt: "Big Boden is watching you", stand da eine ganze Weile zu lesen. Umstritten war auch das Privatschulgesetz. Auch diese Diskussion war nicht frei von Ideologie. "Die Privatschulen standen damals fast vor dem finanziellen Aus", erklärt Boden. Durch das Gesetz konnte ihr Überleben langfristig gesichert werden. Unter Bodens Regie wurde aber auch der technische Sekundarunterricht aufgebaut. Als ehemaliger Mathematiklehrer habe ihm das Unterrichtsministerium immer sehr am Herzen gelegen, resümiert Fernand Boden.
Das Gleiche gilt auch für das Familienministerium, das er 1989 übernimmt. "Es war das erste Mal, dass das Familienressort zum eigenständigen Ministerium wurde, bis dahin wurde es immer als so genanntes .zweites’ Ministerium angesehen", so Boden. 1989 erhält er auch den Mittelstand, ein Ressort, das er bis zuletzt behalten sollte. Dass nun ein Minister für Tourismus und Mittelstand zuständig war, sei der Überlegung geschuldet, dass es sich in beiden Branchen um mittelständige Unternehmen handele, die ganz spezifische Probleme haben, die sich grundlegend von den Sorgen und Nöten der Großbetriebe unterscheiden. "Aus der gleichen Überlegung heraus, wurde ich dann 1995 auch mit der Landwirtschaft betraut", erklärt Fernand Boden.
Apropos Landwirtschaft. Auch wenn er zuvor betont hat, dass er in all den Jahren kein Lieblingsministerium hatte, so spricht Fernand Boden doch überraschend lange und sehr detailliert über dieses Ressort. Gleichwohl gibt er zu, dass "Ackerbauminister kein wirklich dankbarer Job" sei. Man ernte nicht viel Lob. "Was aber nicht heißen will, dass ich kein gutes Verhältnis zu den Bauern gehabt hätte." Bis heute ist Fernand Boden stolz darauf, dass er 1995 unter dem luxemburgischen Ratsvorsitz das Konzept des europäischen Agrarmodells durchsetzen konnte, ein Konzept, das nach wie vor die Grundlage für die Gemeinsame Agrarpolitik bildet: "Es geht darum, in ganz Europa eine wettbewerbsfähige, multifunktionale und nachhaltige Landwirtschaft zu erhalten, auch in den benachteiligten Gebieten", erklärt der langjährige Landwirtschaftsminister. Und gerade was das Statut des benachteiligten Gebiets anbelangt, sieht Boden eine der großen Herausforderungen. Ein Großteil des Landes gilt als benachteiligt, geht dieses Statut verloren oder wird es eingeschränkt, gehen erhebliche Finanzmittel unwiderruflich verloren, warnt Boden. Es wäre nicht das erste Mal, dass die Kommission am Statut rütteln will. Dann beginnen in nächster Zukunft auch die Verhandlungen über die Ausrichtung der Gemeinsamen Agrarpolitik nach 2013, auch dies eine Diskussion, bei der für die Luxemburger Landwirtschaft sehr viel auf dem Spiel steht.
Mit Sorgenfalten auf der Stirn
Dass Luxemburg nun mitten im Rennen die Pferde wechselt und das Landwirtschaftsministerium neu besetzt, stimmt Boden nachdenklich: Wirklich froh scheint er nicht über die Entscheidung zu sein. Aber Koalitionsverhandlungen seien halt immer ein Geben und Nehmen, meint er. Zudem könne sich sein Nachfolger auf sehr erfahrene Beamte verlassen. Sein Nachfolger muss sich erst einmal als Krisenmanager beweisen, steckt der Agrarsektor doch in seiner schwierigsten Krise seit Jahrzehnten. Doch trotz der Krise sei die Landwirtschaft in Luxemburg gut aufgestellt, glaubt Boden. In kaum einem anderen Land seien die Strukturen der Betriebe über den Weg der diversen Agrargesetze derart gestärkt worden wie in Luxemburg. "Wichtig ist aber auch, dass weiterhin in die Verarbeitungsindustrie investiert wird, um einen möglichst großen Mehrwert zu schaffen", weiß Boden. Aber auch hier sei man auf dem richtigen Weg. Die Luxlait beziehe gerade ihre neue Produktionsstätte und ein neues Agrarzentrum sei in Planung …
Doch nicht nur in der Landwirtschaft blies dem langjährigen Regierungsmitglied der Wind bisweilen scharf um die Ohren: Der Pacte Logement sei eines der schwierigsten Gesetze seiner ganzen Karriere gewesen, gibt der ehemalige Wohnungsbauminister zu. Doch trotz der teils heftigen Kritik ist er überzeugt, dass der Pacte Logement langfristig die Preisspirale am Immobilienmarkt durchbrechen kann. Dass mittlerweile knapp 100 Gemeinden einen Vertrag mit dem Staat abgeschlossen haben, zeige, dass man richtig liege.
Auf die Frage, welches Ressort er gern einmal gehabt hätte aber nie bekommen hat, denkt Boden zunächst kurz nach: "Als Mathematiker bin ich gut im Rechnen. Das Budgetressort hätte mich schon gereizt. Es hat sich aber nie ergeben", bedauert er. Und noch ein anderes Ressort hätte er nicht ungern gehabt: das Innenministerium, aber auch dieser Wunsch ging nicht in Erfüllung. Doch Fernand Boden nimmt es gelassen. Er sei ein eher traditioneller Mensch, dem der dauernde Wechsel nicht wirklich liege. "Wenn ich einmal ein Ressort übernommen habe, dann habe ich es nicht so schnell wieder aufgegeben." Aufgeben will er auch nach 30 Dienstjahren noch nicht. Die politische Bühne will er noch nicht ganz verlassen. Ab Herbst wechselt er deshalb von der Regierung in das Parlament. Seinen Dossiers bleibt er auch am Krautmarkt treu. Neben dem Agrarausschuss will er sich noch in der Tourismus- und in der neuen Nachhaltigkeitskommission engagieren. Dann würde ihn aber auch der Europarat reizen.
Sieben Ministerien in 30 Jahren
Fernand Boden wurde am 13. September 1943 in Echternach geboren, wo er bis heute lebt. Er ist verheiratet und hat zwei erwachsene Söhne. Nach dem Sekundarunterricht am Echternacher Lyzeum studierte er zunächst am "Cours Superieur", dann in Liège Mathematik und Physik. Zwischen 1966 und 1978 unterrichtete er am "Kolleisch" in Echternach. Seine politische Karriere beginnt Boden in der Kommunalpolitik. Zwischen 1970 und 1976 ist er Schöffe in der Abteistadt. 1978 rückt er ins Parlament nach, wo der frisch gebackene Ost-Abgeordnete erst einmal die Oppositionsbank drückt.
Als die CSV bei den Parlamentswahlen von 1979 wieder Oberwasser gewinnt, schafft es Boden in die Regierung: Er wird Unterrichts-, Jugend und Tourismusminister im Kabinett Werner-Thorn. Er behält die Ressorts bis 1989. Nach den Wahlen von 1989 wechselt er im Kabinett Santer-Poos II ins Familienressort und übernimmt auch das Mittelstandsministerium. Das Tourismusministerium bleibt auch weiterhin in seiner Hand. Es ist übrigens das einzige Ressort, dass er in den 30 Jahren seiner Karriere nicht aus der Hand gibt.
Nach den Wahlen von 1994 übernimmt er zunächst zusätzlich das Ministerium für den öffentlichen Dienst. Als Jacques Santer Anfang 1995 zur EU-Kommission überwechselt, kommt es zu einer Regierungsumbildung, in deren Folge Boden das Landwirtschaftsministerium von Marie-Josée Jacobs übernimmt. Er behält die Ressorts Mittelstand und Tourismus und übernimmt außerdem das Wohnungsbauministerium. Boden behält diese Ressorts bis zu seinem Ausscheiden aus der Regierung am 23. Juli 2009. Seinen ersten Eid als Minister hatte Fernand Boden am 16. Juli 1979 geleistet.
Quelle: Luxemburger Wort, 27. Juli 2009