Gestaltung des gemeinsamen europäischen Hochschulwesens

Eine freie Tribüne vom CSV Abgeordneten Marcel Oberweis

Die Globalisierung, der Mangel an Rohstoffen, die gesteigerte Wettbewerbsintensität, der Übergang zur Wissensgesellschaft und die neue Rollenverteilung der politischen Gewichtung auf der Weltebene stellen die Herausforderungen dar, vor denen sich die Europäische Union befindet. Zu Beginn des neuen Jahrtausends war sich die politisch Verantwortlichen bewusst, dass das Wissen die einzige Rohstoffquelle sein wird, über die Europa noch frei verfügte. 

Die im März 2000 verabschiedete Lissabon-Strategie setzte sich zum Ziel, die Europäische Union zum wettbewerbsfähigsten Wirtschaftsraum der Welt bis 2010 zu entwickeln. Mit ihrer Hilfe sollte ein dauerhaftes Wirtschaftswachstum erreicht und das gemeinsame Hochschulwesen inklusive Forschungsraum aufgebaut werden. 

Die Lissabon-Strategie rückt jetzt angesichts des nahenden Termins 2010 wieder stärker in den Mittelpunkt. Zu Beginn der Dekade hatte man hohe Erwartungen gestellt, leider hat dies die weltweite Wirtschaftskrise vereitelt. Nichtsdestotrotz müssen wir uns weiter bemühen, die Forschung und Innovation müssen wichtige Standbeine im gemeinsamen europäischen Hochschulwesen werden. Durch gemeinsame Anstrengungen und konzertierte Aktionen sollen die geeigneten Maßnahmen in die Wege geleitet werden, damit wir gleich zu Beginn des Aufschwungs mithalten können. Unsere Handlungen sollen von dem folgenden Leitspruch: “Wissen ist die Maschine und Forschung der Motor der Zukunft“ geleitet werden und hier spielt der Bologna-Prozess eine überaus wichtige Rolle.

Der Bologna-Prozess als Katalysator 

Zehn Jahre nach der Einführung des Bologna-Prozesses fand die turnusmäßige Folgekonferenz in Leuven (Belgien) am 28. und 29. April 2009 statt. Das Hauptanliegen der Bildungsminister aus 46 Staaten stellte die Begutachtung der Schaffung des gemeinsamen europäischen Hochschulwesens bis 2010 dar. 

Der Bologna-Prozess wurde in Bologna am 19. Juni 1999 durch die Bildungsminister von 29 europäischen Ländern unterzeichnet, darunter auch Luxemburg. Das vorrangige Ziel dieser Übereinkunft vor der Jahrtausendwende bestand in der gegenseitigen Anerkennung von Hochschulstudienabschlüssen. Durch die Einführung des dreistufigen Studiensystems: Bachelor, Master und Doktorat sollte eine größere Transparenz und eine erhöhte Mobilität eingeführt werden. 

Durch die Qualifikationskriterien auf nationaler und auf europäischer Ebene werden u.a. die einzelnen Fächer der Hochschulen mit den ECTS-Punkten (European Credit Transfer System) behaftet. Das ECTS soll sicherstellen, dass die Leistungen von Studenten an Hochschulen des europäischen Hochschulraums grenzüberschreitend vergleichbar und anrechenbar sind. Der „mobile“ Student kann seine Prüfungsscheine vorlegen, um im anschließenden Semester weitere Kurse an einer anderen Universität im Erasmus-Programm zu belegen. Das Bachelor-Studium dauert sechs oder acht Semester und erbringt 180 bis 240 ECTS-Punkte, wohingegen das Master-Studium, im Anschluss an das Bachelor-Diplom, mit 60 bis 120 ECTS-Punkte verrechnet wird. Die Förderung der Mobilität von Dozenten, Forschern und Studenten stellt ein weiteres Element in diesem Prozess dar. Eine Million Stipendien wurden bereits im Erasmus-Studentenaustausch vergeben. Es wird den Studenten somit ermöglicht, auf eine sympathische Art ihre europäische Heimat kennen zu lernen und dazu beitragen, die europäische Identität zu schaffen. Im Jahr 2006 beteiligten sich nur bereits 7,5 Prozent der Studierenden in der Europäischen Union gegenüber 5,3 Prozent im Jahr 2000 an dieser einmaligen Chance, den europäischen Gedanken besser zu verinnerlichen. 

Die ausgeprägte Praxisorientierung des zweistufigen Systems soll es den Studenten ermöglichen, schneller in das Berufsleben einzusteigen. Die internationale Vergleichbarkeit von Studienabschlüssen fördert die erhöhte Flexibilität auf dem europäischen Arbeitsmarkt.
Es war der Wunsch der Hochschulminister im Jahr 1999, dass der Bologna-Prozess bis 2010 abgeschlossen sein sollte, leider hat man das Ziel verfehlt und das Jahr 2020 wurde als neues Datum festgeschrieben. Der Hochschulbildung fällt eine verstärkte zentrale Rolle zu, mit ihr fördern wir die wirtschaftliche Erholung und stimulieren die Forschung und Innovation. Dass der Bologna-Prozess seine Früchte trägt, beweist zur Genüge, dass sich mittlerweile 46 Länder an dem „Hochschulunternehmen“ beteiligen. 

Dies wird auch durch rezente Eurobarometer-Umfragen belegt, laut denen die Studenten einen breiteren Zugang zur Hochschulbildung wünschen. Des Weiteren fordern sie eine verstärkte Zusammenarbeit der Universitäten mit der Arbeitswelt. Angesichts der Wirtschaftskrise, dem Aufbau der Wissensgesellschaft und dem Wunsch nach der lebensbegleitenden Weiterbildung möchten 97 Prozent, dass sie mit den notwendigen Kenntnissen und Fertigkeiten ausgestattet, um im rauen Klima des Arbeitsmarktes erfolgreich zu bestehen. Auch kann sich ein ständig wachsender Anteil für das Auslandstudium begeistern. 

Dass sich die Wissensgesellschaft etabliert, beweisen die letzten verfügbaren Eurostat-Zahlen über das Hochschulstudium. Im Jahr 2007 hatten in der Europäischen Union 29,9 Prozent der 25- bis 34-Jährigen einen Hochschulabschluss, verglichen mit 24,8 Prozent der 35- bis 44-Jährigen und 19,4 Prozent der 45- bis 64-Jährigen. In Luxemburg lagen diese Werte höher und zwar bei 35,7 Prozent, bei 27,3 Prozent und 20,7 Prozent. Den höchsten Anteil an Absolventen tertiärer Bildungsgänge verzeichnete Zypern mit 47 Prozent für die erste Altersgruppe. In diesen Altersgruppen weist Frankreich 41,5 Prozent auf, Deutschland kommt auf 22,6 Prozent und Belgien 41,3 Prozent. 

Der Bologna-Prozess hat zu einer tief greifenden Veränderung im europäischen Hochschulwesen und darüber hinaus in der Forschungslandschaft beigetragen. Auch wenn wir die Fortschritte würdigen, die in der vergangenen Dekade erzielt worden sind, so darf nicht verkannt werden, dass nach dem Jahr 2010 eine noch engere Zusammenarbeit erforderlich sein werden, damit die Ziele des Bologna-Prozesses aus dem Jahr 1999 verwirklicht werden können. 

Dr.-Ing. Marcel Oberweis, 14. Mai 2009