Sei zwei Monaten sind die Dienstleistungsschecks für Kinderbetreuung in Kraft. Familienministerin Marie-Josée Jacobs im Gespräch mit dem Soziale Fortschrëtt
Bislang wurden rund 30 000 Gutscheine ausgestellt. Das System der „chèques service“ wurde vor seiner Einführung heftig kritisiert. Angesichts der Entwicklung in den letzten Wochen verstummen die Kritiker aber immer mehr. Der Soziale Fortschrëtt hat sich mit Familienministerin Marie-Josée Jacobs über Sinn und Zweck dieser Gutscheine unterhalten, sowie über die Ziele die in Sachen Kinderbetreuung angestrebt werden.
Soziale Fortschrëtt : Marie-Josée Jacobs, was ist Sinn und Zweck der Dienstleistungsschecks?
Marie-Josée Jacobs: Kurzfristig geht es darum, die Kinderbetreuung billiger und mittelfristig darum, sie gratis zu gestalten. Seit dem 1. März 2009 ist es so, dass jedes Kind bis zum Alter von 12 Jahren, das in Luxemburg lebt, jede Woche Anspruch auf drei kostenlose Betreuungsstunden hat. Für weitere 21 Stunden zahlen die Eltern einen ermäßigten Preis von maximal 3 Euro. Ohne zuviel in die Einzelheiten zu gehen, möchte ich aber erwähnen, dass sowohl dem Einkommen als auch dem Rang des Kindes in der Geschwisterreihe Rechnung getragen wird. Mir geht es darum, dass Kinder mit unterschiedlichen Hintergründen zusammen sind. Dies fördert die Integration und den sozialen Zusammenhalt. Ein Kinderhort beziehungsweise eine "maison relais" soll das Spiegelbild unserer Gesellschaft darstellen. Darüber hinaus bieten sie ausländischen Kindern die ideale Chance, die Luxemburger Sprache zu lernen.
Soziale Fortschrëtt: In seiner Rede zur Lage der Nation im Jahr 2008 hatte Staatsminister Jean-Claude Juncker von einer gratis Kinderbetreuung geredet. Wie realistisch ist dieses Ziel?
Marie-Josée Jacobs: Realistisch betrachtet kann dieses Ziel in 5 bis 6 Jahren erreicht werden für alle Kinder in Luxemburg! Bereits jetzt wurde in einem wichtigen Punkt die Finanzierung der "Maisons relais" verändert. Der Anteil des Staates steigt von 50 auf 75%, die Gemeinden zahlen den Rest. In den nächsten Jahren wird die Zahl der Betreuungsplätze massiv ausgebaut. Schließlich müssen wir uns dem gesellschaftlichen Wandel anpassen. Heutzutage gehen in vielen Haushalten beide Elternteile arbeiten. Dazu kommt, dass weniger Großeltern als früher bereit sind, sich die Woche über ganz um ihre Enkel zu kümmern.
Soziale Fortschrëtt: Auf welche Weise wird die Entwicklung der Dienstleistungsschecks gemessen?
Marie-Josée Jacobs: Nach einer gewissen Zeit werden wir eine Bestandsaufnahme machen, um zu sehen, wie groß die Nachfrage ist. Wir dürfen nicht vergessen, dass wir es hier mit einem Paradigmenwechsel zu tun haben; von den Geldleistungen hin zu Sozialleistungen. Ich möchte dies mit Hilfe eines Beispiels verdeutlichen. Es ist für mich wichtig, dass Kinder jeden Tag eine ordentliche Mahlzeit zu sich nehmen. Und dies ist mit Hilfe von Schecks eher garantiert, als wenn wirGeld überweisen, auf dessen Verwendung wir kaum Einfluss haben.
Soziale Fortschrëtt: Dienstleistungsschecks für Kinderbetreuung sind eine Möglichkeit. Welche anderen Ideen schweben Ihnen vor?
Marie-Josée Jacobs: Im Prinzip sind der Phantasie keine Grenzen gesetzt. Ab September sollen die Schecks auch bei der Einschreibung in die Musikschulen zur Anwendung kommen. Darüber hinaus denke ich an kulturelle Aktivitäten wie ein Besuch im Kino oder im Museum. Allerdings soll dieses System nicht auf Kinder beschränkt bleiben. Ich kann mir auch problemlos vorstellen, dass ältere Personen diese Schecks benutzen, um zum Beispiel so genannte "Mini-Jobs" verrichten zu lassen.
Soziale Fortschrëtt: Wie reagieren Sie auf die Kritiken und die Polemik, das System der Dienstleistungsschecks sei überhastet umgesetzt worden?
Marie-Josée Jacobs: Ich glaube, dass die Resultate uns Recht geben. Bisher wurden rund 30 000 Gutschiene ausgestellt, was kein Pappenstiel ist. Wenn man eine neue Idee vorstellt, muss man immer davon ausgehen, dass viele anfangs skeptisch und negativ reagieren. Dies ist aber kein Grund, auf gute Aktionen zu verzichten. Es war mir wichtig nicht noch länger zu warten. Hätte man erst Mitte September mit dem System der "chèques service" begonnen, hätten viele betroffene Kinder 6 Monate "verloren", eine Zeitspanne, die im Leben eines Kindes viel zu bedeuten vermag. Nicht zu vergessen, dass die Sommerferien und im Herbst auch das neue Schulgesetz vor der Tür stehen. Allerdings ist es schade, dass die Dienstleistungsschecks als Mittel zur Polemik benutzt wurden. Mir geht es vorrangig um das Wohl der Kinder, aller Kinder hier in Luxemburg.
Quelle: Soziale Fortschrëtt, Mai 2009