Die Nahrungsmittel müssen dort produziert werden, wo die Hungernden leben

Die Finanzkrise hat auch die Landwirtschaft in den Drittweltländern arg in Bedrängnis gebracht. Von Marcel Oberweis

Die Finanzkrise hat nicht nur negative Auswirkungen auf die Weltwirtschaft, welche sich in einem Schlingerkurs der Rezession befindet, sondern hat auch die Landwirtschaft in den Drittweltländern arg in Bedrängnis gebracht und den Hunger erhöht. Nicht nur dass die Armen der Welt unerbittlich unter den Folgen des Klimawandels zu leiden haben, jetzt werden ihnen auch noch die lebensnotwendigen landwirtschaftlichen Flächen schamlos weggenommen. 

Mit der wachsenden Weltbevölkerung nimmt die Nachfrage nach landwirtschaftlichen Produkten zu, es jedoch verringern sich jedoch die Agrarflächen. Diese werden zu einem knappen Gut und somit von den Reichen dieser Welt begehrt, damit deren Teller immer prall gefüllt bleiben. Seit einigen Jahrzehnten ist gewusst, dass die Kurven der Weltbevölkerung und der zur Verfügung stehenden Agrarflächen immer weiter auseinander driften. Seit den 50er Jahren des vorigen Jahrhunderts ist die Weltbevölkerung von zwei Milliarden Menschen auf 6,8 Milliarden im Jahr 2008 angewachsen, das Verhältnis zwischen der Getreideanbaufläche pro Kopf hat sich jedoch während dieser Zeitspanne von 2400 m2 auf 1200 m2 halbiert. Und den UN-Daten zu Folge wird sich die landwirtschaftliche Nutzfläche pro Kopf auf 500 m2 bis zum Jahr 2050 verringern. Darüber hinaus gilt heute bereits mehr als ein Sechstel der landwirtschaftlichen Flächen als stark beeinträchtigt und sechs bis sieben Millionen ha fruchtbares Kulturland gehen durch Versalzung und Versteppung jährlich verloren. Direkt frappierend liest sich die Aussage, dass weltweit beinahe zwei Drittel der insgesamt 42 Millionen km2 landwirtschaftlicher Nutzfläche brachliegen, nur 15 Millionen km2 werden tatsächlich genutzt. Als Beispiel zitiert die Financial Times Deutschland im April 2008, dass in den Ländern der Sahelzone nur 228 Mio. ha von den potenziell möglichen 1031 Millionen ha agrartechnisch genutzt werden. 

Dass sich Unruhen wegen des Mangels an Nahrungsmitteln ausbreiten, haben wir im vergangenen Jahr an mehreren Orten der Welt erlebt, die Menschen mit knurrendem Magen werden unberechenbar. Dies leuchtet ein, denn wo die Nachfrage stark wächst, werden diejenigen am längeren Hebel sitzen, die über ertragreiche Landstriche und Wasser verfügen. Aufgrund der starken Nachfrage nach Nahrungsmitteln in den Schwellenländern bemerkt einen Ansturm auf die Agrarflächen, der Ausverkauf der armen Länder auf Kosten der reichen Länder hat begonnen. China, Südkorea, Saudi-Arabien und die Vereinigten Arabischen Emirate führen den Reigen an, sie investieren in landwirtschaftliche Flächen in Afrika, in Asien, in Lateinamerika und in Osteuropa. 

Mittlerweile macht sich das geflügelte Wort: “Wer das Land besitzt, wird der grüne Ölscheich von morgen.“ breit gemacht. Die spanische NGO "Grain" spricht bereits von einer neuen Form des Kolonialismus und die Gefahr für die Ernährungssicherheit der Menschen in den Entwicklungsländern wird bewusst in Kauf genommen. Auch wenn die kauffreudigen Investoren ein Verbrechen an der darbenden Bevölkerung begehen, so kann nicht verkannt werden, dass die Machthaber in den einzelnen Ländern sind, die ihr Farmland für Brosamen verpachten oder sogar verkaufen, wie es die folgenden Beispiele unterstreichen möchten. 

Südkorea will Futtermais und Ölpalmen auf einem Areal von 1,3 Millionen ha auf Madagaskar anbauen, ebenfalls sind 690.000 ha im Sudan aufgekauft worden. Vier Mio. t Mais und eine halbe Mio. t Palmöl sollen hier jährlich produziert und nach Südkorea exportiert werden. Die Vereinigten Arabischen Emirate haben 900.000 ha in Pakistan und rund 400.000 ha im Sudan gepachtet, um Früchte und Gemüse anzubauen. Den hier lebenden Menschen wird das Recht auf die Landbenutzung aberkannt. Mit den folgenden Ländern hat China langfristige Verträge abgeschlossen, um der eigenen wachsenden Bevölkerung die lebenswichtigen Nahrungsmittel zur Verfügung zu stellen u.a. 80.000 ha in Russland, 7.000 ha in Kasachstan, 10.000 ha im Kamerun und 1,3 Millionen ha auf den Philippinen. Saudi-Arabien, der Staat mit den größten Erdölreserven hat in verschiedenen Ländern in Afrika ein Areal mit 1,6 Millionen ha aufgekauft und wird hier seine Nahrungsmittel von den ärmsten der Armen anbauen lassen. 

Aus den beschriebenen Fakten ergibt sich die brennende Frage, wie die Welt die aktuelle Hungersnot bekämpfen will und wie sie es schaffen soll, die neun Milliarden Menschen im Jahr 2050 mit genügend Nahrungsmitteln zu versorgen. Die Menschen in den Drittweltländern wollen unsere Brosamen nicht mehr, vielmehr möchten sie mit modernen landwirtschaftlichen Maschinen ihre Felder bestellen, kein OGM-Saatgut einbringen und genügend Wasser zur Bewässerung ihrer landwirtschaftlichen Produkte haben. Sie wollen Selbsternährer und nicht Hungerleider und armselige Empfänger vom Überschuss der Reichen werden. Allein der weltweite Bedarf an Getreide weist eindeutig auf die sich aufbauende Katastrophe hin, die Entwicklungsländer benötigen von aktuellen 1.000 Millionen t im Jahr 1995 etwa 1.800 Millionen t im Jahr 2025. Die benötigte Menge der Industrienationen steigt indes nur von 680 Millionen t auf etwa 810 Millionen t. 

Angesichts der Tatsache, dass mittlerweile eine Milliarde Menschen akuten Hunger leiden und pro Jahr weitere zig Millionen hinzustoßen, muss umgehend Remedur geschaffen werden. Die Europäische Union hat dies erkannt und mittlerweile eine Milliarde Euro zur Tilgung des Hungers zur Verfügung gestellt; dies reicht jedoch nicht, es werden deren mindestens 30 Milliarden pro Jahr gebraucht. 

Wohl lassen die reichen Länder ihre Nahrungsmittel in den armen Ländern anbauen, an sich schon eine extreme Schieflage, aber durch ihr nicht nachhaltiges Handeln werden die benutzten Landflächen durch Versteppung resp. Verwüstung unfruchtbar. Langfristig wird dieses Handeln in soziale und ökologische Katastrophen führen, denn die armen Menschen werden diese Aktivitäten auf Dauer nicht akzeptieren. Sie werden nicht weiter zulassen, dass die Erträge ihrer Böden außer Land gebracht werden, während sie selbst Hunger leiden? 

Die Industrie- und Schwellenländer können sich nicht vor der drohenden Nahrungsmittelkrise retten, wenn dafür anderswo Menschen verhungern. Jacques Diouf, der Generaldirektor der UN-Organisation für Ernährung und Landwirtschaft, warnte kürzlich vor der Schaffung dieses neokolonialen Systems und der hier aufkommende Unfrieden. 

Es kann nicht oft genug hervorgehoben werden, dass alle den Frieden und die Freiheit erst dann voll genießen können, wenn die bittere Armut in allen Teilen der Welt abgeschafft ist. Den Kampf gegen die Armut werden wir jedoch nur dann gewinnen, wenn in der Weltbevölkerung eine globale Solidarität vorhanden ist. Deshalb müssen wir uns für die gerechte Verteilung der Nahrungsmittel einsetzen. Wir müssten wohl den Blick auf jene Menschen richten, die von der Wirtschaftskrise am meisten gebeutelt werden, aber zurzeit ist unser Blick getrübt, die wahren Probleme dieser Welt wollen wir nicht wahrhaben.

Dr.-Ing. Marcel Oberweis, 16. April 2009

Literaturhinweise:
http://www.taz.de/nc/1/archiv/archiv-start
http://www.unet.univie.ac.at
http://www.bundesfinanzministerium.de
http://www.geldio.de/news/geldanlage-agrarflaechen