CSV-Fraktionschef Michel Wolter im Wort-Gespräch über die Krise, die Koalition und eine Erfahrung
“Ich habe mich durch diese Arbeit zu einem vielseitigeren Politiker entwickelt”, so Michel Wolter nach fünf Jahren an der Spitze der CSV-Fraktion im Parlament. Eine gute Zusammenarbeit bescheinigt er dem Koalitionspartner LSAP.
LZ : Herr Wolter, am 7. Juni befinden die Wähler über die Arbeit der CSV/LSAP-Koalition. Geht es den Menschen besser als vor fünf Jahren?
Michel Wolter : Es kommt darauf an, was man unter “besser” versteht. Geht es nur um mehr Geld? Oder um die Lebensqualität? Die eigene Zufriedenheit? Manches ist ziemlich subjektiv. Ich gehe zu diesem Zeitpunkt davon aus, dass es den Menschen allgemein finanziell besser geht, als vor fünf Jahren. Ob sie natürlich zufriedener sind, ist eine andere Sache. Das müssen Sie die Menschen selbst fragen.
LW :Wobei die nackten Wirtschaftsdaten zurzeit nicht sehr rosig aussehen. Das Wirtschaftswachstum ist negativ, die Arbeitslosigkeit ist hoch, die Staatsfinanzen kommen zunehmend in Bedrängnis …
MW : Über fünf Jahre betrachtet, haben wir sicher ein Problem bei der Beschäftigung, die Arbeitslosigkeit ist in den letzten Monaten stark angestiegen. Aber mit weniger als 480 000 Einwohnern verfügen wir über 300 000 Arbeitsplätze. Wir haben also kein strukturelles Defizit. Wir beschäftigen einen erheblichen Teil der Einwohner der Großregion in Luxemburg. Wir finden sicherlich nicht immer die geeigneten Arbeitskräfte. Wie sich das in den kommenden Monaten entwickeln wird, ist schwer vorherzusehen.
LW : Im Dezember 2005 haben Sie auf die Schieflage im Staatshaushalt aufmerksam gemacht. Die Tripartitc beschloss Einsparungen. Haben sich die Anstrengungen gelohnt?
MW : Und ob! Nur so konnten wir die Rücklagen schaffen, die wir jetzt im Konjunkturpaket einsetzen. Ein kleines Land hat nicht viele Möglichkeiten, um Politik aktiv zu gestalten. Eine davon ist ein ausgeglichener Staatshaushalt. Eine andere besteht darin, sich keine Schulden aufzulasten, damit man in schwierigen Zeiten über einen finanziellen Spielraum verfügt, um eine antizyklische Politik betreiben zu können. Die 400 Millionen Euro, die pro Jahr über die Tripartitc-Maßnahmen im Haushalt eingespart werden konnten, machen auf drei Jahre hochgerechnet die 1,2 Milliarden Euro aus, die wir nun im Konjunkturpaket investieren. Ich meine, dass es 2005 auch zu einem Umdenken bei Regierung und Verwaltung kam. Es wurde sich wieder intensiver mit der Einnahmen- und Ausgabenseite des Budgets beschäftigt. Es war richtig und wichtig, dass wir handelten. Unsere Ausgangslage wäre heute sonst wesentlich ungünstiger.
LW : Vermasselt die Krise die Regierungsbilanz?
MW : Das würde ich so nicht sagen. Es ist ja wohl niemandem entgangen, dass es sich um eine weltweite Wirtschaftskrise handelt. Die Bilanz der Mehrheit kann man doch nicht an Hand von Phänomenen analysieren, die nicht durch diese Regierung verursacht oder beeinflusst wurden. Allerdings befürchte ich, dass wir die Krise in den nächsten Monaten durch eine ansteigende Arbeitslosigkeit und vor allem über einen Einbruch der Staatseinnahmen zu spüren bekommen.
LW : Sie schreiben in Ihrer Bilanz-Broschüre, dass die CSV in manchen Politikbereichen gerne weiter gegangen wäre, als dies mit dem Koalitionspartner möglich war. Woran denken Sie dabei?
MW : Beispielsweise an die Einführung von Direktoren an den Grundschulen. Das war mit den Sozialisten nicht zu machen. Auch in Sachen Territorialreform wäre die CSV alleine sicher weiter gegangen. Aber in der Politik muss man zum Kompromiss bereit sein. Alles in allem haben wir mit den Sozialisten gut zusammengearbeitet. Ich habe eine sehr gute Arbeitsbeziehung zu meinem Kollegen Ben Fayot. Er hält sein Wort, das schätze ich sehr.
LW : Welche Schwerpunkte dieser Legislaturperiode bleiben Ihnen in Erinnerung?
MW : Die Reform der Grundschule ist sicher ein Meilenstein. Das Arbeitsrecht wurde durch die Einführung des Einheitsstatuts modernisiert. Die Beschäftigungsinitiativen erhielten ein neues Rahmengesetz. Wir haben in den Ausbau der Kommunikationstechnologien investiert. In der Landesplanung und bei der Neugliederung des Staates sind wir ein gutes Stück vorangekommen. Mit dem Pacte Logement erhielten die Kommunen geeignete Instrumente, um die Schaffung von neuem Wohnraum zu fördern. Und dann erinnere ich noch einmal daran, dass es uns gelungen ist, die öffentlichen Finanzen im Gleichgewicht zu halten. Trotz aller Widrigkeiten.
LW : In der Debatte um das Euthanasie-Gesetz konnten Sie mit Ihren Argumenten nicht überzeugen.
MW : Ich bin weiterhin davon überzeugt, dass das Gesetz, wie es am Ende vom Parlament verabschiedet wurde, nicht die Meinung der Mehrheit unserer Mitbürger widerspiegelt. Es bleibt ein schlechtes Gesetz. Es war nicht möglich, den Standpunkt der Mitte unserer Gesellschaft gegen die Extrempositionen durchzusetzen. Das bedauere ich nach wie vor. Die Diskussion hat sich hochgeschaukelt, was einer sachlichen Auseinandersetzung mit diesem Thema nicht dienlich war.
LW : Nach zehn Jahren in der Regierung haben Sie vor fünf Jahren den Fraktionsvorsitz der CSV übernommen. Wie sieht Ihre persönliche Bilanz aus?
MW : Es ist ohne Zweifel eine spannende Aufgabe. Die CSV-Fraktion setzt sich aus 24 starken und zum Teil sehr unterschiedlichen Persönlichkeiten zusammen. Ich habe mich durch diese Arbeit zu einem vielseitigeren Politiker entwickelt. Als Minister hat man einen abgesteckten Kompetenzbereich. An der Spitze der Fraktion muss man sich nahezu um alle Sachfragen kümmern und sich in die Themen einarbeiten. Im Parlament kommt es darauf an, die Gesamtzusammenhänge zu erkennen.
Laurent Zeimet / Luxemburger Wort vom 14.04.2009