Stunde der Wahrheit für Claude Wiseler: Wir fragten den Minister, ob er schon bestochen wurde, wie er zu seinen Ressorts kam, ob er Premier werden will und wie ein Mensch mit seinem Harmoniebedürfnis sich in der Politik behauptet. Claude Wiseler im Revue-Interview
REVUE: Ihre Vorgänger mussten mit dem Finanzminister um Geld streiten. Sie hat man aufgefordert, mehr als geplant auszugeben.
CLAUDE WISELER: Ich habe in den letzten Jahren alles getan, um die Ausgaben im Griff zu halten. Wenn wir nun im Rahmen der globalen Finanzkrise die öffentlichen Investitionen in die Höhe schrauben, dann heißt das nicht, dass ich diese Disziplin aufgebe. Kontrolle muss bleiben, auch wenn wir Gelder früher als geplant ausgeben.
REVUE: Ihr Beitrag zum Konjunkturprogramm ist doch bescheiden: Die 160 Projekte, die um ein oder zwei Jahre vorgezogen werden, sind alles kleine Fische.
CLAUDE WISELER: Die großen Fische brauchen eine gewisse Vorbereitung, das wäre so schnell nicht möglich gewesen. Es geht darum, kurzfristig zu handeln. Dann werden die größeren Brocken folgen.
REVUE: Egal, mit zehn Millionen Euro 2009 und zehn Millionen Euro 2010 retten Sie keine Konjunktur!
CLAUDE WISELER: Nein, aber es ist ja nur die erste Etappe…
REVUE: Es klappt nicht immer mit Ihrer Disziplin. Was ist bei Projekten wie dem Festungsmuseum schief gelaufen?
CLAUDE WISELER: Das kann ich nicht sagen, es betrifft mein Ministerium nicht.
REVUE: Sie könnten schon etwas dazu sagen, aber Sie wollen nicht einem Kollegen ins Gehege kommen.
CLAUDE WISELER: Ich weiß wohl, um was es geht, aber ich kenne die Details nicht. Ich wäre auch nicht froh, wenn andere über meine Dossiers reden würden.
REVUE: In der Wahlkampagne müssen Sie auf alle Fragen eine Antwort haben…
CLAUDE WISELER: Ja, aber wenn Sie als Journalist eine Auskunft wollen, können Sie sich an die zuständigen Stellen wenden. Bei einer Wahlversammlung ist das anders.
REVUE: Was ist in Ihrem Ministerium schon schief gelaufen?
CLAUDE WISELER: Am Anfang der Legislaturperiode mussten für einige Projekte zusätzliche Geldmittel frei gemacht und für andere die Pläne geändert werden: Cité Judiciaire, Philharmonie, Nordstraße. Ich habe mit dem Parlament präzise Prozeduren eingeführt, damit keine Projekte mehr während der Laufzeit geändert werden.
REVUE: Wie würden Sie erklären, wenn dennoch etwas schief läuft?
CLAUDE WISELER: Ich würde sagen, wie es ist. Läuft etwas schief, sind die Gründe menschlich und daher sehr verständlich.
REVUE: Als Bautenminister verteilen Sie riesige Geldbeträge. Hat noch nie ein Unternehmer versucht, Sie zu bestechen?
CLAUDE WISELER: Ich verteile nicht, ich investiere! Zur Frage: Nein!
REVUE: Sie müssen keine Namen nennen…
CLAUDE WISELER: Trotzdem: Das ist mir noch nicht passiert.
REVUE: Gibt es in Luxemburg keine Bestechungsversuche?
CLAUDE WISELER: Warum sollten wir besser sein als andere? Trotzdem: Zu mir hat noch keiner gesagt, wenn du dies oder das so tust, bekommst du Geld von mir.
REVUE: Wie kommt man eigentlich zu einem Ministerressort? Fragt der Premierminister nach den Wünschen?
CLAUDE WISELER: Zuerst werden die Ressorts unter den Koalitionsparteien aufgeteilt, dann geht es darum, welche Person Kompetenz für welches Ressort hat.
REVUE: Sie haben Literatur studiert. Da können Sie keinem erzählen, vom Straßenbau fasziniert zu sein!
CLAUDE WISELER: Anfangs nein, heute schon! Das Bautenministerium war etwas ganz Neues für mich, ich musste mich erst einarbeiten.
REVUE: Sie träumen doch bestimmt vom Unterrichtsministerium?
CLAUDE WISELER: Das Schulwesen hat mich ungemein interessiert, aber heute bin ich zufrieden im Bautenministerium. Nach zwei Jahren begann es, mich zu faszinieren. Es gibt viele interessante Facetten, die Arbeit ist sehr konkret.
REVUE: Wie sehr ist ein Minister seinen Beamten ausgeliefert?
CLAUDE WISELER: Ausgeliefert nicht, aber man ist sehr auf die Mitarbeiter angewiesen. Ich habe technisch und menschlich hervorragende Beamte. Vielleicht war es auch einfacher für mich, weil ich aus dem Staatsdienst komme.
REVUE: Diese Erfahrungen haben Ihnen dann wohl auch die Arbeit im Ministerium der öffentlichen Funktion erleichtert.
CLAUDE WISELER: Sicherlich.
REVUE: Was haben Sie der CGFP versprochen, damit sie sich mit der bloßen Aussicht auf eine Gehälterrevision zufrieden gibt?
CLAUDE WISELER: Wir haben nichts versprochen, sondern sind dabei, eine Studie über die Laufbahnen zu erstellen. Die neue Regierung soll gegebenenfalls die Gehälterrevision vornehmen.
REVUE: Sie können sich doch nicht für Ihren Nachfolger engagieren…
CLAUDE WISELER: Das habe ich auch nicht getan. Die Studie wird Ende der Legislaturperiode vorliegen, die nächste Regierung entscheidet, was sie damit macht.
REVUE: Ihr Name wurde auch genannt, wenn es um die Nachfolge von Jean-Claude Juncker ging. Wissen Sie davon?
CLAUDE WISELER: Ich lese auch die Presse. Aber Premierminister werden, gehört nicht zu meiner Lebensplanung.
REVUE: Meist hieß es einschränkend, Sie seien zu nett für diesen Posten…
CLAUDE WISELER: Was heißt zu nett?
REVUE: Böse Zungen sagten, zu schwach…
CLAUDE WISELER: Man wird immer von außen beurteilt. Ich bin wie ich bin.
REVUE: Sie glauben also auch, dass Luc Frieden der bessere Nachfolger ist?
CLAUDE WISELER: Einstweilen ist Jean-Claude Juncker der allerbeste. Heute ist diese Diskussion ohnehin nicht angebracht, die Lage ist zu ernst für solche Spielchen.
REVUE: Kann ein Minister überhaupt nett sein, muss er sich nicht eher durchsetzen?
CLAUDE WISELER: Beide Eigenschaften widersprechen sich nicht. Meinem Charakter nach bin ich nicht aggressiv. Das heißt nicht, dass ich nachgebE
REVUE: Man hat allerdings den Eindruck, Sie hätten ein ausgeprägtes Harmoniebedürfnis. Letzte Woche stellten Sie mit einem roten Minister, einem blauen Bürgermeister und einem grünen Schöffen die Stater Tram vor.
CLAUDE WISELER: Es gibt Dossiers, die sich nicht für politische Auseinandersetzungen eignen. Ich sehe nicht, was an der Tram schwarz, rot, blau oder grün sein soll.
REVUE: Gehörten Sie nicht der Mehrheit im hauptstädtischen Gemeinderat an, welche die Tram verhinderte?
CLAUDE WISELER: Nein! Aber wenn ein Blauer, ein Roter, ein Schwarzer und ein Grüner einer Ansicht sind: umso besser!
REVUE: Passt Ihr Harmoniebedürfnis eigentlich in die Politik?
CLAUDE WISELER: Harmoniebedürfnis kann ein Hindernis sein, aber diese Charaktereigenschaft dichten Sie mir an. Wenn ich der Meinung wäre, die Tram wäre nicht wichtig, würde ich es sagen.
REVUE: Im Wahlkampf werden Sie wohl Zähne zeigen?
CLAUDE WISELER: Ich bin auch mit Problemen konfrontiert, in denen weniger Harmonie vorherrscht. Ich will den Ausbau der Autobahnen A3 und A6 auf zweimal drei Fahrspuren. Das unterstützen nicht alle, mit denen ich bei der Tram einer Meinung bin.
REVUE: Können Sie aus der Haut fahren?
CLAUDE WISELER: Ich probiere stets, mich im Griff zu haben, auch wenn es manchmal schwierig ist. Ich habe allerdings festgestellt, dass es nie etwas bringt, wenn man die Nerven verliert.
REVUE: Haben die Kinder es nie fertig gebracht, Sie um den Finger zu wickeln?
CLAUDE WISELER: Meine Tochter schon!
REVUE: Wie waren Sie als Lehrer?
CLAUDE WISELER: Da müssten Sie die Schüler fragen. Ich habe versucht, meine Passion für die französische Literatur zu vermitteln. Ich denke, dass mir das auch gelungen ist. Aber ich war damals zwischen 24 und 27 Jahre alt und würde sicher heute ganz anders unterrichten. Der Lehrerberuf hat viel mit Pädagogik zu tun, die man auf der Universität nicht lernt.
REVUE: Hilft es in der Politik, wenn man unterrichtet hat?
CLAUDE WISELER: Es hilft, wenn man geduldig und einfach erklären kann, was man will und was man tut.
REVUE: Wann haben Sie beschlossen, Politiker zu werden?
CLAUDE WISELER: Ich interessiere mich für Politik, seit ich 16 war. An eine politische Laufbahn dachte ich noch nicht, sonst hätte ich wohl kaum französische Literatur studiert. Am Schluss meiner Studien allerdings schrieb ich meine These zu einem Thema, das eine Mischung aus Literatur und Politikwissenschaft darstellt.
REVUE: Dachten Sie nie daran, sich in einer anderen Partei als in der CSV zu engagieren?
CLAUDE WISELER: Eigentlich nicht, selbst wenn mein Großvater liberaler Bürgermeister von Walferdingen war.
REVUE: Heute aber ist Politik bei Ihnen Familienangelegenheit. Wer hat wen angesteckt?
CLAUDE WISELER: Meine Frau Isabel hat sich erst engagiert, als die Kinder aus dem Haus waren.
REVUE: Besteht nun auch Ihr Privatleben aus Politik?
CLAUDE WISELER: Wir sprechen nur einen Bruchteil unserer Zeit über Politik. Selbst wenn wir beide in der CSV sind, sind wir nicht immer der gleichen Meinung. Wenn einer mir sagt, wie zum Vorwurf, Isabel sehe das anders, kann ich nur antworten: na und?
REVUE: Ist die Opposition in der Hauptstadt nicht kompromissbereiter, wenn es um Projekte geht, in die der Bautenminister verwickelt ist?
CLAUDE WISELER: Kommt Ihnen die CSV im Gemeinderat zahm vor? Ich finde, sie macht eine korrekte Oppositionsarbeit. Gute Projekte soll man nicht bekämpfen, nur weil man in der Opposition ist.
REVUE: Möchten Sie auch nach den Wahlen im Juni 2009 Mitglied der Regierung bleiben?
CLAUDE WISELER: Ich habe das Gefühl, als Minister viel bewegen zu können, der Beruf gefällt mir. Aber der Wähler wird entscheiden.
REVUE: Und wenn der Wähler Sie nicht mehr haben will?
CLAUDE WISELER: Dann respektiere ich das. Auch wenn die Politik mir sehr viel Genugtuung gibt, könnte ich doch ohne leben.
REVUE: Bislang ist noch nie ein gewesener Minister in den Klassensaal zurückgekehrt.
CLAUDE WISELER: Ich würde das nicht als Unehre empfinden. Ich habe liebend gern unterrichtet.
REVUE: Vermissen Sie die Freizeit? In der Politik hat man deren scheinbar wenig.
CLAUDE WISELER: Man hat schon noch Freizeit, aber manchmal vermisse ich, Bücher lesen zu können. Ich kann das eine oder andere Thema nicht mehr so vertiefen wie ich es gern möchte.
REVUE: Es ist ja nicht das Arbeiten, aber die vielen Empfänge, Einweihungen und Vernissagen kosten Zeit…
CLAUDE WISELER: Ich habe kein Problem damit, nicht überall dabei zu sein, und die Menschen verstehen das auch. Allerdings ist es nicht unwichtig, Menschen zu begegnen und mit ihnen zu reden. So erfährt man die Sorgen aus erster Hand.
REVUE: Gehen Sie dafür in die Kneipe?
CLAUDE WISELER: Am Wochenende schaue ich mir sehr gerne ein Basketballspiel an.
REVUE: Was war Ihre größte Enttäuschung in der Politik?
CLAUDE WISELER: Eine permanente Enttäuschung ist die Feststellung, dass es nicht so schnell geht, wie ich es wünsche. Große Enttäuschungen hatte ich allerdings keine…
REVUE: Ah ja, die Steine des Pei-Museums waren vor Ihrer Zeit…
CLAUDE WISELER:… ich habe versucht, aus den Schwierigkeiten meiner Vorgänger zu lernen und habe neue Regeln und Prozeduren festgelegt.
REVUE: Dann sind Sie ja selber schuld, dass es nicht mehr so schnell geht.
CLAUDE WISELER: Nein, wenn es schief läuft wie mit den Steinen, kostet das wesentlich mehr Zeit.
REVUE: Und was ist Ihre größte Genugtuung?
CLAUDE WISELER: Wir haben in dieser Legislaturperiode sehr viel neuen Schulraum gebaut. Das war mir schon als Schulschöffe in der Stadt Luxemburg gelungen und freut mich enorm. Im öffentlichen Dienst bin ich froh, das Zukunftsprojekt e-Luxembourg nach vorne gebracht zu haben. Wir sind im europäischen Ranking um einige Plätze nach vorne gerückt. Es geht um die Wettbewerbsfähigkeit des Landes.
REVUE: Es heißt, Politiker müssen mit Eilbögen arbeiten, nach dem Motto Feind, Erzfeind, Parteifreund. Haben Sie diese Erfahrung auch gemacht?
CLAUDE WISELER: Unser Wahlsystem bedingt innerparteiliche Rivalitäten, da der Wähler die Reihenfolge der Kandidaten einer Liste bestimmt, und nicht die Parteispitze. Ich finde das jedoch viel besser als Listen mit festgelegter Reihenfolge, wie sie den Wählern in Frankreich und in vielen anderen Ländern vorgelegt werden. In Zeiten wie heute müssen diese Rivalitäten jedoch in den Hintergrund treten.
REVUE: Haben Ihnen nie Parteifreunde ein Bein gestellt?
CLAUDE WISELER: Was ich als solches empfunden habe, war vielleicht gar nicht so gemeint.
REVUE: Haben Sie denn niemandem ein Bein gestellt?
CLAUDE WISELER: Auch das ist Sache des Empfindens. Ich nehme an, dass ich die Grenzen der gesunden Rivalität nie überschritten habe.
REVUE: Von Ihrem Büro im Bautenministerium aus haben Sie eine schöne Sicht auf die Adolphe-Brücke. Wie lange steht sie noch?
CLAUDE WISELER: Ich reiche in den kommenden Tagen ein Bauprogramm im Parlament ein, auf dem auch der Bau der provisorischen Ersatzbrücke steht. Die Arbeiten an der Adolphe-Brücke werden voraussichtlich 2012 beginnen und sollen 2014 fertig sein, wenn die Tram fahren soll.
REVUE: Wenn sie nicht vorher einstürzt.
CLAUDE WISELER: Da kann ich Sie beruhigen. In diesem Winter haben Tests erwiesen, dass die Brücke stabil ist. Das hat auch mich enorm beruhigt. Ein gewisser Druck in meiner Magengegend ist weg.
ZUR PERSON Der 49-jährige Claude Wiseler ist seit 2004 Bautenminister und Minister der öffentlichen Funktion. Der frühere Lehrer und Regierungsrat im Unterrichts- und im Familienministerium war in der Parteijugend aktiv und von 1995 bis 2000 Generalsekretär der CSV. Der Vater von zwei Söhnen und einer Tochter im Alter von 23, 21 und 19 Jahren war Präsident des Basketballverbandes und von 2000 bis 2004 Schöffe der Stadt Luxemburg. Seine Frau Isabel wurde 2005 in den hauptstädtischen Gemeinderat gewählt.
Quelle: Revue, 18. März 2009, Romain Meyer, Claude Wolf