“Dies war eine einmalige Gelegenheit, die der Staat sich nicht entgehen lassen durfte.” Staatssekretärin Octavie Modert über den Kauf des Codex mariendalensis und eine offensive Kulturgut-Erhaltungspolitik.
Vesna Andonovic: Zu allererst die Frage, die bei einem solchen Kauf die Öffentlichkeit am brennendsten interessiert: Wieviel hat sich die Staatskasse den "Codex mariendalensis" kosten lassen?
Octavie Modert: Es ist klar, dass wir solch ein außergewöhnliches Stück nicht umsonst bekommen haben. Es sollte im Vorfeld auch hervorgestrichen werden, dass der Staat nicht nur den Codex erstanden hat, sondern sozusagen ein ganzes "Paket", das auch die 3 000 Bände der Bibliothek, sowie das gesamte Archiv der Grafen von Ansemburg, das die Zeitspanne vom 13. bis zum 18. Jahrhundert umfasst. Wir haben internationale Experten für eine Schätzung hinzugezogen, und sind infolge dieser mit den Erben auf einen Verkaufspreis von 3,1 Millionen Euro übereingekommen – wobei dies unter dem eigentlich veranschlagten Wert liegt. Den Erben war sehr daran gelegen, dass die Sammlung zusammen- und im Großherzogtum bleibt, und in öffentliche Hand übergeht.
Vesna Andonovic: Was erwidern Sie möglichen Kritikern, die den Kauf in Frage stellen könnten?
Octavie Modert: Es handelt sich um ein einmaliges Dokument, das nun in den Besitz des Landes und somit aller seiner Bewohner übergeht – übrigens einer der Gründe, weshalb ich darauf bestanden habe, ihn so schnell wie möglich Letzteren in einer Ausstellung zu zeigen. Jeder Bürger hat das Recht zu sehen, was durch öffentliche Mittel, also letztlich seinen steuerlichen Beitrag, erstanden wird. Der "Codex mariendalensis" ist kulturhistorisch, aber auch sprachwissenschaftlich ein herausragendes Original und Unikat – der Staat konnte nicht zulassen, dass es ins Ausland verkauft wird, oder in eine Privatsammlung übergeht.
Vesna Andonovic: So wie der "Codex aureus" …
Octavie Modert: Sicherlich. Die finanzielle Situation und die Umstände waren aber Mitte der 50er-Jahre ganz andere. Beim "Codex aureus" handelt es sich äußerlich natürlich um ein "imposanteres" Werk, inhaltlich ist der "Codex mariendalensis" jedoch ein weitaus bedeutenderes Dokument. Man darf auch nicht vergessen, dass der damalige Verkaufspreis auf heutige Zeiten umgerechnet rund 80 bis 100 Millionen Euro ausmachen würde. Eine riesige Summe …
Vesna Andonovic: Wie schwierig war es für Sie auch im Hinblick auf die aktuelle, wirtschaftlich prekäre Situation -Ihre Regierungskollegen zu überzeugen, dieser doch erheblichen Ausgabe zuzustimmen?
Octavie Modert: Nun, die Transaktion ist ja bereits vergangenes Jahr über die Bühne gegangen, als die wirtschaftlich schwierige Lage noch nicht so ausgeprägt war. Natürlich musste ich ausführlich die Bedeutung des betreffenden Dokuments unterbreiten. Die Regierung hat selbst recht schnell seine Einzigartigkeit erkannt, und dem Kauf zugestimmt. Dies war eine einmalige Gelegenheit, die der Staat sich nicht entgehen lassen durfte – das war uns allen klar. Für solche außergewöhnlichen Gelegenheiten werden dann auch die nötigen finanziellen Mittel zur Verfügung gestellt.
Vesna Andonovic: Ist die Kultur nicht der erste Bereich, der wirtschaftlichen Einschränkungen zum Opfer zu fallen droht?
Octavie Modert: Diese Angst ist im Kulturmilieu zur Zeit natürlich spürbar. Doch es wird hierzulande viel für die Kultur getan. Das sieht man nicht nur an den infrastrukturellen Bereiche-, rungen der vergangenen Jahre und auch daran, dass die uns zur Verfügung gestellten Gelder nicht weniger werden. Wenn ein Land sich jedoch in einer schwierigen Lage befindet, dann muss überall aufgepasst und gespart werden, das ist ebenso klar wie natürlich.
Vesna Andonovic: Nach dem Kauf von Paul Wurths Benz Velo ist der Codex ein weiterer Beweis der offensiven Erhaltungspolitik nationaler Kulturgüter …
Octavie Modert: Die Kulturgut-Erhaltungspolitik ist etwas, das mir persönlich sehr am Herzen liegt, wobei ich hier natürlich auf die wertvolle Arbeit meiner Vorgänger im Amt aufbauen kann. Dazu gehört natürlich ebenfalls eine regelmäßige Erweiterung der Sammlungen unserer Häuser. Solche unersetzbaren Stücke, wie die beiden genannten, sind kultur-historische Güter, die der Allgemeinheit nicht nur erhalten bleiben sollten, sondern müssen. Nicht zu unterschätzen ist hierbei auch die internationale Bedeutung eines Dokuments wie des Codex. Dieses trägt zweifelsohne auch zum Image des Großherzogtums bei. Falschen Bezeichnungen wie "Steuerparadies" kann so ein anderes, richtiges Bild des Landes entgegengesetzt werden.
Quelle: Luxemburger Wort, 7. März 2009, Vesna Andonovic