Seit 1. Februar 2008 hat Luxemburg turnusgemäß den Vorsitz der Großregion übernommen. Ab heute fängt im Senninger Schloss das sogenannte Kamingespräch mit den Partnerregionen an, die eine Zwischenbilanz der bisher geleisteten Arbeiten ziehen. Der zuständige Innenminister und derzeitige Präsident der Großregion, Jean-Marie Halsdorf, steht dem „Luxemburger Wort“ Rede und Antwort zu aktuellen grenzüberschreitenden Fragestellungen und wagt einen Ausblick auf die noch bis Juni 2009 bevorstehenden Projekte
Angesichts der aktuellen Finanzkrise, welche Bedeutung wird der Großregion in Zukunft beigemessen?
Die aktuelle Finanzkrise betrifft natürlich alle Partnerregionen und ich bin der Meinung, dass man gerade in solch schwierigen Zeiten mehr miteinander kommunizieren muss. Die Krise dämpft erheblich die Laune unserer Mitbürger, die sich auf schwierigere Zeiten einstellen und dementsprechend den Gürtel enger schnallen. Nicht nur die Bürger sind verunsichert, aber auch die Unternehmen. In solch einer Lage scheint es mir besonders wichtig, dass die Großregion zusammenhält. Unabhängig von der jetzigen Finanzkrise behandelt die luxemburgische Präsidentschaft im zweiten Themenbereich seines Arbeitsprogramms die wirtschaftliche Thematik: Wir möchten die wirtschaftliche Attraktivität der Großregion, seine Wettbewerbsfähigkeit und seine Innovationskraft insbesondere im Handwerk stärken, damit die Großregion sich innerhalb Europas besser positionieren kann. Mit seinen kleinen und mittleren Betrieben stellt das Handwerk einen zentralen Wirtschaftsfaktor dar. Im Jahr 2005 waren im Handwerk 156 000 Unternehmen mit insgesamt 753 000 Beschäftigten tätig. Das bedeutet, dass beinahe 19 Prozent aller Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in der Großregion in dieser Branche beschäftigt waren. Ich bin davon überzeugt dass die Unternehmer in allen Partnerregionen ihre Aktivitäten in der Großregion schon immer entwickeln wollten und die jetzige wirtschaftliche Lage wird meines Erachtens diesen Wunsch noch weiter verstärken. Folglich müssen die Politiker in der Großregion den wirtschaftlichen Akteuren adäquate Rahmenbedingungen zur Verfügung stellen, die der bestmöglichen Entfaltung der Betroffenen dient.
Impulse für grenzübergreifende Planungen
Stichwort „Plan directeur sectoriel transports“. Wie Sie selbst schon anmerkten, platzt der Grenzverkehr aus allen Nähten. Allerdings trägt der „Plan directeur transports“ wenig zu der Verbesserung des Grenzverkehrs bei. Wie erklären Sie sich das?
Der sektorielle Plan „transports“ ist ein nationaler Plan und betrifft folglich nur das Land Luxemburg. Das bedeutet aber nicht, dass wir beim Erstellen des Plans nicht über unseren Tellerrand geschaut haben. Ganz im Gegenteil, im Gegensatz zum IVL, haben wir beim Aufbau des Transportplans den internationalen Kontext und den Kontext der Großregion sowie den Impakt des grenzübergreifenden Verkehrs in Betracht gezogen. Wir erwarten uns mit diesem Plan auch Impulse für grenzübergreifende Planungen. Der sektorielle Plan „transports“ soll die nationalen Prioritäten in Sachen Mobilität für die kommenden Jahrzehnte festlegen. Es geht also um die Koordinierung, aber auch um die Organisation der gesamten Mobilität. Und dazu gehören natürlich die Pendlerströme. Zwischen 2002 und 2007 ist das Verkehrsaufkommen um zwölf Prozent angestiegen, wobei 60 Prozent aller Pendlerströme in der Hauptstadt münden. Im Transportbereich besteht akuter Handlungsbedarf. Diese Problematik können wir auch nur lösen, indem wir den Kontext Großregion mitbehandeln. Die Verkehrspolitik spielt eine wesentliche Rolle für die Raumentwicklung der Großregion, und dies nicht nur für die internen Verbindungen, sondern auch und vor allem, was die Anbindungen zur und aus der Großregion angeht. Indem die Erreichbarkeit der Großregion verbessert wird, kann die Anziehungskraft der Großregion in Europa vergrößert werden. Das ist ein Hauptanliegen meiner Präsidentschaft und wird im ersten Themenbereich des Arbeitsprogramms behandelt. Mein Ziel ist die Bestimmung einer Arbeitsmethode, um kurzfristig einen gemeinsamen Ansatz im Bereich der grenzübergreifenden integrativen Raumplanung und Raumentwicklung zu erstellen.
Trotzdem bemängeln Sie, dass die Dimension der Grenzpendler im IVL damals nicht berücksichtigt wurde! Warum hat man jetzt nicht die Chance ergriffen, einen großen Wurf zu machen, um beiden Problemen, nämlich in und um das Großherzogtum, eine zukunftsweisende Lösung vorzuschlagen?
„Gut Ding will Weile haben“, sagt der Volksmund. Für die Großregion trifft das manchmal ins Schwarze. Trotzdem werden sie erkennen, dass wir in diesem Bericht den Faktor Großregion/Pendlerverkehr zumindest teilweise mit berücksichtigt haben. Um nur ein Beispiel zu nennen, da wäre die südliche Anbindung „Micheville“. Sie spielt im sektoriellen Plan eine zentrale Rolle, aber auch in der Verbesserung des Pendlerverkehrs nach Frankreich ist sie Teil der Lösung. Die Verbesserung der Bus- und Bahnverbindungen ist ebenfalls Teil unseres Konzeptes, damit wir international wettbewerbsfähig bleiben.
Am 22. Oktober fand der Tag der Grenzgemeinden in Echternach statt. Dort wurde nochmals der Gedanke einer polyzentrischen Metropole angesprochen. Wie sehen Sie die Zukunft dieses Vorhabens?
Die luxemburgische Präsidentschaft hat eine Prozedur zur langfristigen Entwicklung einer grenzüberschreitenden polyzentrischen Metropolregion (GPMR) für die Großregion eingeleitet, genannt „Metroborder“. Die europäische Raumpolitik und die Ansätze auf gemeinschaftlicher Ebene haben sich in den letzten Jahren stark weiterentwickelt. Das beste Beispiel für diese Entwicklung ist die Einbeziehung des Prinzips der territorialen Kohäsion, einer Art Raumentwicklungspolitik der EU, in den neuen Lissabon-Vertrag. Es erscheint wesentlich für die Großregion, diesen grundsätzlich günstigen Entwicklungen zuvorzukommen und deren Auswirkungen vorzugreifen, um ihre Position als Modellregion der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit innerhalb der Europäischen Union zu wahren. Da die Großregion jedoch nicht über eine Metropole im europäischen Sinne verfügt, die fähig wäre, mit anderen europäischen Metropolen zu konkurrieren, besteht die Vorgabe des Projekts ganz klar in der Stärkung der Positionierung der Großregion innerhalb Europas und der Erhöhung der Wettbewerbsfähigkeit und Attraktivität sowie darin, ihr die nötigen Mittel zu geben, um den Entwicklungen auf europäischer Ebene zu begegnen, wissend, dass die Europäische Kommission eine Stärkung der Metropolen fördern wird aus Gründen der globalen Wettbewerbsfähigkeit.
Zufrieden mit der derzeitigen Entwicklung
Zeit für eine Zwischenbilanz: Seit Februar dieses Jahres hat Luxemburg den Vorsitz der Großregion für 18 Monate. Seitdem sind zehn Monate verstrichen. Drei Hauptprioritäten gehören zur Zielsetzung der Luxemburger Präsidentschaft: Raumplanung, Wirtschaft und Identität bzw. Zusammengehörigkeitsgefühl. Wie sieht ihre Bilanz aus?
Wir sind sehr zufrieden mit der derzeitigen Entwicklung. Wir haben zurzeit 18 Arbeitsgruppen laufen, die insgesamt 59 grenzüberschreitende Projekte bearbeiten. Wir haben ein „Comité d’accompagnement“ auf die Beine gestellt, das sich insbesondere im Themenkomplex Raumplanung konzertiert. Der Zwischengipfel ist und bleibt jedoch ein Zwischengipfel. Es geht also darum, eine Zwischenbilanz zu ziehen. Die endgültigen Ergebnisse werden wir für den 11. Gipfel der Großregion vorlegen. Aber wie gesagt, ich bin sehr zufrieden mit dem, was wir in so kurzer Zeit erreicht haben, sei es im Themenbereich Raumplanung, in der wirtschaftlichen Entwicklung und Förderung des Hochschulwesens oder im dritten Bereich, der vor allem das Zugehörigkeitsgefühl anbelangt.
Das Haus der Großregion hat durch das Interreg- und das Wirtschafts- und Sozialratsekretariat eine Aufwertung erhalten. Andere Grenzregionen haben professionelle Informationsnetzwerke für grenzüberschreitende Fragen zwischen Frankreich, Deutschland und der Schweiz geschaffen. Wäre es denkbar, ein vergleichbares Modell, d. h. ein Netzwerk von mehreren Häusern der Großregion, in unserem Raum aufzubauen?
Das Netzwerk der vier sogenannten Infobest Palmrain in Village-Neuf, Vogelgrun/Breisach, Kehl/Strasbourg und Pamina in Lauterbourg ist sicherlich ein erfolgversprechendes Modell und trägt auch seine Früchte. Wir sind dabei, mit unseren Partnern auch konkrete Überlegungen anzustellen, wie wir den professionellen Informationsbedarf besser abdecken können. Allerdings stellt sich dabei immer die Frage nach der Finanzierung. Hier fehlen bis jetzt ganz klar die nötigen Finanzmittel. Trotzdem blicken wir positiv in die Zukunft und hoffen, mit dem neuen Rechtsinstrument „Europäischer Verbund für territoriale Zusammenarbeit“ (EVTZ/Gect) eine gutes Instrument zu haben, was die grenzüberschreitende Arbeit beflügeln wird.
Apropos „EVTZ/Gect“: Wie weit sind die Bemühungen, aus der Grenzgemeinschaft Esch/Belval ein „EVTZ/Gect“ zu machen?
Wir haben ganz klar die Absicht und den geäußerten Willen der betroffenen Gemeinden, u. a. auch mit dem lothringischen Präfekten Bernard Niquet und den luxemburgischen und französischen Gemeinden um Esch/Belval ein funktionierendes EVTZ zu machen, das auch über die nötigen finanziellen Mittel verfügen könnte. Doch sind noch eine Reihe administrativer Fragen zu klären. Bis Mitte Januar 2009 wird es dazu ein Vorbereitungstreffen mit den zuständigen Verantwortlichen auf staatlicher und Gemeindeebene geben.
Bis Juni läuft noch der Luxemburger Vorsitz der Großregion. Welche Schwerpunkte wollen Sie noch setzen, bzw. wagen Sie jetzt schon einen konkreten Ausblick in die Zukunft?
Wir wollen die sektoriellen Ministertreffen stärken und fördern, weil wir uns im direkten Austausch der zuständigen Minister den wertvollsten Beitrag für ein Weiterkommen in der Großregion erwarten. Wir müssen uns die Mittel unserer Ambitionen geben, wir brauchen dazu die geeigneten menschlichen und finanziellen Mittel. Und ich denke, dass das EVTZ das beste Instrument ist, um dieses Ziel einer verstärkten Zusammenarbeit zu erreichen. Ich werde mit meinen Kollegen am 18. November beim Kamingespräch das ansprechen. Ich bin gespannt, was sie dazu sagen werden, aber eines ist sicher: ich will, dass die Zusammenarbeit vorangeht, ich will konkrete Maßnahmen, ich will nach vorne schauen. Sonntagsreden genügen den Bürgern nicht mehr, sie wollen sehen, dass den schönen Worten auch Taten folgen.
Quelle: Luxemburger Wort, Christophe Langenbrink, 18. November 2008