“Ich erwarte ein Vertrauenssignal”

Mehr als 20 Staats- und Regierungschefs der grössten Weltwirtschaftsmächte wollen an diesem Wochenende in Washington den Grundstein für eine neue Weltfinanzordnung legen. Die Herausforderung ist angesichts der nach wie vor nict beendeten Finanzkrise sowie vor dem Hintergrund der Rezession in vielen Ländern enorm. Mit dem Premierminister Luxemburgs und Präsident der Eurogruppe, Jean-Claude Juncker, sprach das LW über die schwierige Aufgabe des Weltfinanzgipfels und seine Erfolgsaussichten.

Kann der Weltfinanzgipfel dazu beitragen, Vertrauen und Stabilität an den Märkten zu schaffen? 

Jean-Claude Juncker: Allein das Treffen der 20 wichtigsten Wirtschaftsnationen, um sich gemeinsam den großen Herausforderungen zu stellen, ist eine Botschaft an sich. Insofern muss von diesem Gipfel, was auch die Erwartung der Europäer ist, ein Vertrauenssignal ausgehen. Es wird darauf ankommen, dass IWF, Weltbank, USA, Europa, Japan und die Schwellenländer an einem Strang ziehen. Ich wünsche mir eine substanzielle Vertrauensdosis für die Finanzmärkte.

Andreas Holpert: Wird man sich angesichts zahlreicher nationaler Interessen überhaupt auf eine Reform des Finanzsystems einigen können?
Jean-Claude Juncker: Man darf die Sitzung in Washington nicht mit Erwartungen überfrachten. Es wird darum gehen, dass man sich auf einige wenige aber dafür fundamentale Grundprinzipien einigt.

Andreas Holpert: Welche sind das?

Jean-Claude Juncker: Stärkere Transparenz bei Finanzprodukten, die Sicherstellung, dass kein Finanzakteur den Überwachungsinstanzen entfliehen kann, neue weltweit angewandte Buchungsregeln und eine gemeinsame Regelung über die Bewertung der Eigenkapitaldeckung von Banken durch Ratingagenturen. Zu den Zielen gehört auch ein Verhaltenskodex für Bankmanager, denen man beibringen muss, dass sie unübersichtliche Risiken nicht deshalb eingehen, weil ihr Besoldungssystem eine direkte Folge der erzielten Gewinne ihres Institutes ist. Auf diese Ziele wird man sich einigen können. Über die technischen Details und die Umsetzung in die nationalen Rechtssysteme wird Aufgabe von Finanzministern und ihren Mitarbeitern sein.

Andreas Holpert: Die EU-Regierungschefs haben sich für umfassende und schärfere Kontrollen ausgesprochen. Wie lassen sich konkret Lücken in der Finanzaufsicht schließen?

Jean-Claude Juncker: Wenn man eine zusätzliche Transparenz schafft und wenn man ohne die Akteure zu strangulieren zu einer Regulierung kommt, die die Menschen schützt.

Andreas Holpert: Droht durch zuviel staatlichen Einfluss nicht eine Überregulierung?

Jean-Claude Juncker: Ich habe nie zu denjenigen gehört, die der Deregulierungs-, Privatisierungs- und Entfesselungseuphorie nachgelaufen sind. Im Gegenteil. Man sollte nicht vergessen, dass in den demokratischen Staaten Regierungen legitimiert sind, allgemeine Interessen wahrzunehmen. Ich halte es für eine Fehlentwicklung internationaler und europäischer Politik, wenn man sich dem Deregulierungswahn bedingungslos unterwirft. Ich habe schon vor Jahren erklärt, dass es modern ist, modern zu sein. Wirtschaft hat dem Menschen zu dienen, Wirtschaft ist kein Selbstzweck.

Andreas Holpert: Welche Rolle sollte der IWF künftig spielen?

Jean-Claude Juncker: Ich bin seit längerem der Auffassung, dass der IWF die Stelle ist, an der alle relevanten Wirtschaftsdaten zusammenlaufen. Der IWF ist im Grunde die einzige internationale Institution, die Schnittmengen-Analysen herstellen kann. Ich könnte mir vorstellen, dass der IWF eine zentrale Rolle spielen könnte, wenn ein internationales Frühwarnsystem für Finanz- und Wirtschaftskrisen aufgebaut wird. Ich bin mit dem IWF-Chef einer Meinung, dass der Währungsfonds seinen weltweiten Einfluss vergrößern muss.

Andreas Holpert: Während der Krise wird auch viel über Ungleichgewichte und Wechselkurse gesprochen. Welche Rolle kann die Eurogruppe als informelles Gremium der Eurozone in der globalen Währungspolitik spielen?

Jean-Claude Juncker: Wir sind in der Eurogruppe stets der Meinung gewesen, dass das internationale Finanzsystem von gobalen Ungleichgewichten bedroht wird. Seit unseren bilateralen Gesprächen mit den USA weisen wir die Amerikaner daraufhin, ihr doppeltes Defizit abzustellen. Als Chef der Eurogruppe habe ich vor den G-7-Gesprächen immer wieder mit den USA, China und Japan gesprochen, dass globale Ungleichgewichte ein bleibendes Problem darstellen. Ich würde mir wünschen, dass während der G-20-Sitzung in Washington auch über dieses Thema gesprochen wird.

Andreas Holpert: Wie lässt sich denn sicherstellen, dass Leistungsbilanzdefizite nicht zu globalen Risiken werden?

Jean-Claude Juncker: Das lässt sich durch intensive Gespräche mit den Amerikanern gewährleisten. Die USA müssen begreifen, dass sie sich nicht auf Kosten der ganzen Welt verschulden können, dass ihre nicht existierende Sparquote ein Problem darstellt und dass ihr exzessiver Konsumdrang, der zwar auch die Konjunktur antreibt, Risiken birgt, wenn private Marktteilnehmer nicht mehr zahlungsfähig sind.

Andreas Holpert: Braucht die Welt nach dem Rettungspaket für die Banken jetzt ein globales Hilfspaket zur Rettung des Wachstums?

Jean-Claude Juncker: Meine größte Sorge gilt derzeit erstens der Behebung der Folgen der Finanzkrise für die Realwirtschaft. Zweitens will ich durch internationale Abstimmung verhindern, dass realökonomische Errungenschaften zunichte gemacht werden. Ich glaube nicht, dass die Finanzkrise bereits überstanden ist. Sie hat wider Erwarten massiv auf die Realwirtschaft übergegriffen. Die Eurozone befindet sich jetzt auch amtlich in der Rezession. Also müssen wir nachdenken, wie wir die Eurozone vor einem realökonomischen Rückgang bewahren können. Ich bin gegen schuldenfinanzierte Konjunkturprogramme, die jedes Mitgliedsland individuell gestaltet. Es bedarf jedoch einer stärkeren Koordinierung der Wirtschafts- und Finanzpolitik in der Eurozone. Das ist Aufgabe des Präsidenten. Die Regeln dafür stehen fest. Ich führe derzeit darüber viele Gespräche mit den Euro-Mitgliedsländern, um eine geschlossene Antwort auf die aktuelle Wirtschaftskrise zu formulieren. Ich bin aber dagegen, dass man die jetzigen Probleme auf Kosten der nachfolgenden Generation löst. 

Quelle: Luxemburger Wort, 15. November 2008, Andreas Holpert