Mehr Individualität bei Steuern und Sozialversicherung

Unsere Gesellschaft ändert sich, seit langer Zeit schon, und sie ändert sich weiter. Eine der Veränderungen, denen wir uns im Lauf der Jahre stellen mussten, ist die erhebliche Zahl der Scheidungen: Mittlerweile erreicht diese über die Hälfte der Eheschließungen, die während eines Jahres zelebriert werden. Die Tendenz scheint weiter steigend zu sein. Laurent Mosar zu Gast im Land, 29. August 2008

Die Gründe für die hohen Scheidungsraten sind vielschichtig. Sie im Detail zu beleuchten, wäre einer sozialwissenschaftlichen Arbeit würdig, deswegen soll an dieser Stelle nur gesagt werden: Die Politik kann an der Entschlossenheit verheirateter Partner, eine Scheidung zu beantragen, wenig ändern – außer, indem sie dafür sorgt, dass die finanzielle Attraktivität langwieriger und "schmutziger" Scheidungen gemindert wird. Sie muss sich vor allem aber um die Konsequenzen einer gesellschaftlichen Realität kümmern, die insbesondere geschiedene Frauen, sofern sie nicht ohne wesentliche Unterbrechung berufstätig waren, ohne eigene Sozialversicherungsansprüche aus einer gescheiterten Ehe entlässt. 

Dieser Zustand ist unhaltbar. Es kann nicht länger sein, dass im Fall der Aufgabe eines Berufes, zu dem noch immer sehr viel mehr Frauen tendieren als Männer, jener Partner, der sich um den Haushalt und die gemeinsamen Kinder kümmern will, aus der Sozialversicherung entlassen wird. Ziel muss es sein, dass jeder Mensch im arbeitsfähigen Alter über eine autonome, eine eigene Sozialversicherung verfügt, die er im Krankheitsfall und im Alter beanspruchen kann. Das ist eine Frage der Gerechtigkeit: Die langfristige Kostenfreiheit der Kinderbetreuung außer Haus, die von der CSV gewünscht wird, muss mit dem Erhalt eigener Sozialversicherungsansprüche auch jener Menschen einhergehen, die – verheiratet oder nicht – ihre Kinder zu Hause erziehen und betreuen wollen. Die CSV stand immer für die Wahlfreiheit jeder Frau, und im Übrigen auch jedes Mannes, sich zwischen Beruf und Familie zu entscheiden, oder für beide gemeinsam. Demnach wollen wir auch beide Entscheidungen entsprechend politisch und finanziell begleiten. 

Eine eigene Sozialversicherung für alle wirft natürlich die Frage auf, ob die gemeinsame Besteuerung von verheirateten Paaren noch zeitgemäß ist. Tatsächlich entspringt sie einer Zeit, in der das gesellschaftliche Leitbild der mehr oder weniger gut verdienende Mann war, der eine nicht (mehr) berufstätige Frau mit versorgt. Auf solche Familienmodelle ist die kollektive Besteuerung ausgelegt, und nur ihnen kommt sie auch materiell entgegen. Dieses Leitbild gibt es jedoch nicht mehr. Deshalb ist die Zeit gekommen, ernsthaft zu prüfen, wie man eine allgemeine individuelle Besteuerung ohne soziale Verschlechterungen einführen könnte. Diese individuelle Besteuerung könnte gegebenenfalls mit einer Option auf gemeinsame Besteuerung koexistieren, die von solchen Paaren – verheirateten oder in eingetragener Partnerschaft lebenden – in Anspruch genommen würde, die hiervon einen finanziellen Vorteil hätten. Das wären langfristig betrachtet nicht mehr viele: die weitgehend angeglichenen Einkommensrealitäten von Männern und Frauen sowie die Tatsache, dass immer weniger Frauen über längere Zeit auf eine berufliche Tätigkeit verzichten, werden dazu führen, dass eine individuelle Besteuerung generell die attraktivere sein wird. 

Solche Reformen entsprechen dem Willen der CSV, in der Gesellschaftspolitik prägend zu wirken. Konkrete Vorschläge liegen bereits auf dem Tisch oder werden in den kommenden Monaten ausformuliert werden. Sie müssen nun in der politischen Debatte aufgegriffen werden. Die Ausgestaltung von Steuer- und Sozialversicherungsmechanismen ist ein Kernelement der sozial gerechten Gesellschaft. Der Herausforderung einer Modernisierung dieser Mechanismen wollen wir uns stellen. 

Laurent Mosar, CSV Abgeordneter

Quelle: Lëtzebuerger Land, 29. August 2008