Die Wort-Sommerserie: Schwarz-Rot unter der Lupe. Inneres und Landesplanung: Schritt für Schritt ins 21. Jahrhundert
Politikbereich wurde im Koalitionsabkommen so viel Platz eingeräumt wie der Landesplanung. Das von der CSV/DP-Regierung entworfene IVL-Konzept sollte unter Schwarz-Rot seine Gültigkeit behalten. Vor allem die CSV hatte sich im Wahlkampf dieses Integrative Verkehrs- und Landesentwicklungskonzept auf die Fahne geschrieben. Unter der Federführung von Michel Wolter waren die Leitgedanken für das Großherzogtum des 21. Jahrhunderts festgeschrieben worden und sollten nun in die Tat umgesetzt werden.
Doch nach den Landeswahlen gehörte Michel Wolter dem Kabinett nicht mehr an. Sein Erbe übernahm Kollege Jean-Marie Halsdorf. Der Bürgermeister von Petingen fand sich auf einer unübersichtlichen Baustelle wieder.
Premier Jean-Claude Juncker fasste die Herausforderung in der Regierungserklärung zusammen: "Eine große Debatte kündigt sich an. Wie können wir mit allem, was wir erdenken, wünschen, brauchen, verbrauchen und verwalten ins 21. Jahrhundert kommen?"
Dieses 21. Jahrhundert, das im August 2004 immerhin schon vier Jahre alt war, sollte die Politik in Atem halten. Es ging derart drunter und drüber, dass selbst die Beteiligten bisweilen den Überblick verlieren sollten. Dabei hatte sich die neue Regierung feierlich vorgenommen, eine gediegene Arbeitsgruppe von hohen Beamten zu beauftragen, ein Konzept zur Neuaufteilung der Zuständigkeiten zwischen Staat und Kommunen zu erarbeiten. Da hatte man aber wohl die Rechnung ohne den Wirt gemacht. Im Spätherbst 2004 schaltete sich die Abgeordnetenkammer ein und riss das Dossier an sich. Eine Spezialkommission unter der Leitung der Alpha-Tiere Michel Wolter und Alex Bodry wollte den Weg Luxemburgs ins besagte 21. Jahrhundert ebnen. Somit hatte Neuling Halsdorf gleich zwei seiner Vorgänger im Nacken sitzen. Wobei es vor allem dem Parteifreund des Ministers manchmal schwer fiel, das Schwiegermuttersyndrom zu unterdrücken.
Dem Innenminister drohte zu dieser Zeit Ungemach an einer anderen Front. Kurz vor den Landeswahlen hatte die liberal-konservative Koalition ein neues Gesetz über die kommunale Flächenordnung im Parlament verabschiedet. Das altehrwürdige Bebauungsgesetz von 1937 hatte ausgedient. Eine neue Philosophie sollte in den Rathäusern Einzug halten und der Zersiedlung des kleinen Landes Einhalt gebieten. Doch die neuen Bestimmungen führten zu Interpretationsschwierigkeiten. Plötzlich befürchteten Politiker, für jede Gartenlaube einen Teilbebauungsplan verlangen zu müssen. Besonders die neuerdings oppositionellen Liberalen taten sich mit heftiger Kritik am Gesetz hervor. Halsdorf sah sich gezwungen, ein erstes Mal nachzubessern. Doch das Flächennutzungsgesetz hat das Potenzial einer "never ending story", weitere Anpassungen und Nachbesserungen sind unterwegs.
Das Gesetz schreibt den Gemeinden vor, ihre Bebauungspläne bis 2010 zu überarbeiten. Diese Zielsetzung sollte sich rasch als utopisch herausstellen. Ärgerlich ist zudem, dass der Staat mit seinen eigenen sektoriellen Leitplänen in Verzug geraten ist, wobei die Gemeinden diese Vorgaben aber berücksichtigen sollen. Die Vorstellung der Leitpläne über Naturschutzgebiete und Verkehrswege wurde kurzfristig vor der Sommerpause wieder abgesagt. Es besteht noch interministerieller Klärungsbedarf, hieß es.
Fortschritte konnten indes bei der interkommunalen Kooperation der Nordstad und zwischen der Hauptstadt und ihren Speckgürtel-Gemeinden erzielt werden.
Die Wolter/Bodry-Kommission tagte während gut drei Jahren. Im Mittelpunkt stand die Neuordnung der kommunalen Landschaft. Die Auffassungen der Parteien lagen zum Teil meilenweit auseinander. Erst als der Gemeindeverband Syvicol sich zum Prinzip der Fusionen von Gemeinden mit weniger als 3 000 Einwohnern bekannte, gelang der Durchbruch. Gemeinsam mit dem Innenminister soll der Kommunalverband nun eine Kartografie der interkommunalen Zusammenarbeit erstellen. Im Herbst will man die Vorlage mit den Kommunalpolitikern diskutieren. Bis 2017 soll dann eine neue kommunale Landkarte entstehen, auf der einige der heutigen 116 Gemeinden nicht mehr wiederzufinden sein werden. Damit wäre ein erster Schritt ins 21. Jahrhundert vollbracht. Einige Lokalpolitiker interessierte die Fusionsdebatte weit weniger als die Aufstockung des politischen Urlaubs, also die Freistellung zur Erfüllung ihres Mandats. Im Regierungsprogramm hatte sich die Koalition vorgenommen, diese Frage zu prüfen und eine Professionalisierung der Schöffenräte in Erwägung gezogen. Schnell sollte sich aber die Meinung durchsetzen, dass diese Frage nur im Zusammenhang mit einer Reorganisierung des kommunalen Sektors diskutiert werden könne. Unmut machte sich in allen politischen Lagern breit. Als Halsdorf beim Bürgermeistertag 2007 ankündigte, bis zum Ende des Jahres zu handeln, und sich dann doch nichts tat, drohte das Fass überzulaufen. Mitte Juli kam es im Kabinett zu einem ersten Meinungsaustausch, und wenn nicht wieder etwas dazwischenkommt, dürfte die langersehnte Aufstockung des Conge politique demnächst Wirklichkeit werden. Wenig Fortschritte konnte bislang in einem anderen kommunalpolitischen Dauerbrenner erzielt werden: die Reform der kommunalen Finanzordnung. Die Gemeindeväter wurden zunehmend nervös, als 2005 die Zuwendungen des Staates an die Kommunen niedriger als erwartet ausfielen. Niemand bestreitet, dass sich Änderungen am Finanzierungsmodus aufdrängen. Über den geeigneten Weg konnte man sich bisher allerdings nicht einigen. Auch hier wurde immer wieder auf die Schlussfolgerungen der Spezialkommission verwiesen.
Die Hausaufgaben:
Erledigt – Debatte über Territorialreform
In der Prozedur:
– Wasser-Rahmengesetz
– Gesetz über interkommunale Zusammenarbeit
– Gesetz über Agents municipaux
In Arbeit:
– Anpassung des Conge politique
– Sektorielle Leitpläne
– kommunale Kartografie
Quelle: Luxemburger Wort, 18. August 2008, Laurent Zeimet