Die Luxemburger Wort Sommerserie: Schwarz-Rot unter der Lupe “Die Welt in konzentrischen Kreisen” – Die multipolaren Ansichten des Jean Asselborn
VON JOELLE MERGES
Europa, Europa und noch einmal Europa: Die Vorgaben des Regierungsprogramms für das Ressort Außenpolitik lesen sich ziemlich einseitig. Doch dieser Schwerpunkt kommt nicht von ungefähr, stand doch gleich zu Beginn der Legislaturperiode dem CSV/LSAP-Kabinett ein Lackmustest bevor: die EU-Ratspräsidentschaft im ersten Halbjahr 2005.
Um diese Mammutaufgabe angemessen vorzubereiten und zu bewältigen, wurden gleich zwei Minister in die Verantwortung genommen: einmal Ressortchef und Vizepremier Jean Asselborn, zum anderen Nicolas Schmit als delegierter Minister im Außenressort. Nicht zu vergessen natürlich der Premierminister als amtierender EU-Ratspräsident, der zum Jahreswechsel 2004/2005 die inhaltliche Agenda vorgab: Europa muss seine Wettbewerbsfähigkeit steigern, und deswegen wird die Lissabon-Strategie unter die Lupe genommen, lautete ein Wunsch zu Beginn des Ratsvorsitzes. Ebenso sollte der Euro-Stabilitätspakt reformiert werden.
Dieser beiden Aufgaben entledigten sich die Luxemburger mit Bravour. Als Sternstunde dürfte wohl auch die Unterzeichnung der Beitrittsakten durch Rumänien und Bulgarien in Erinnerung bleiben, die Ende April 2005 in der Abtei Neumünster im Club der damals 25 willkommen geheißen wurden. Allerdings gelang es der amtierenden Ratspräsidentschaft nicht, die schwierigen Verhandlungen über den europäischen Finanzrahmen für den Zeitraum 2007 bis 2013 unter Dach und Fach zu bringen. Ein endgültiger Kompromiss in der Budgetfrage wurde erst ein Jahr später unter Federführung der Österreicher gefunden.
Überschattet wurde das erste EU-Halbjahr aber vor allem vom Nein der Franzosen und der Niederländer zum Europäischen Verfassungsvertrag. Eine Scharte, die das luxemburgische Ja zum gleichen Vertragskonvolut am 10. Juli 2005 nicht wieder auswetzen konnte. Denn der Verfassungsvertrag galt bereits zuvor als endgültig gescheitert. Und mit der Suche nach einem Ersatz tun sich die Europäer bis heute schwer. Obwohl es nach dem geglückten Referendum in Luxemburg noch hieß, Europa sei auf dem Weg der Besserung.
Eine neue Dynamik für Europa stellte auch Jean Asselborn am 21. November 2006 in seiner außenpolitischen Erklärung in der Abgeordnetenkammer in Aussicht. Heraus kam der Vertrag von Lissabon, mit dem es der europäischen Politikerkaste aber wieder nicht gelang, die Massen zu begeistern (siehe Irland), so dass die europäische Krise drei Jahre, nachdem sie ihren Anfang nahm, noch lange nicht ausgestanden ist.
Während es mit dem „Kernstück der luxemburgischen Außenpolitik“ (Asselborn im November 2006 über die Europapolitik) derzeit also nicht zum Besten steht, kommt es mit einem anderen Anliegen der nationalen Diplomatie so langsam voran. Für die Jahre 2013 bis 2014 strebt das Großherzogtum einen Sitz im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen an – einer Organisation, der sich der amtierende Hausherr im Hotel Sankt Maximin ebenso wie seine liberale Vorgängerin in der Legislaturperiode 1999 bis 2004 mit Herzblut widmet. Die Weltordnung ist eine multipolare, doziert Jean Asselborn stets, und um den Überblick in diesen geostrategisch unübersichtlichen Zeiten zu behalten, bedarf es einer starken Weltengemeinschaft. Und eben dazu will das Großherzogtum sein bescheidenes Scherflein beitragen. Als nicht ständiges Mitglied im Weltsicherheitsrat werde Luxemburg „im Sinn einer wirklich gemeinsamen Außenpolitik für die Positionen der EU eintreten“, stellte der Chef der nationalen Diplomatie am 21. November 2006 in Aussicht.
Doch mit der gemeinsamen europäischen Außenpolitik ist es so eine Sache. Jüngstes Beispiel: das Kosovo, das am 19. Februar dieses Jahres seine Unabhängigkeit erklärte und die Europäer vor die Frage stellte: anerkennen oder nicht? Das CSV/LSAP-Kabinett hat diese Frage nur einen Tag später für sich mit Ja beantwortet. Ein Schritt, der nicht bei allen christlich-sozialen Volksvertretern auf Wohlwollen stieß. Mit seinen Warnungen vor einer Verschärfung der ethnischen Spannungen in der Balkanregion holte sich Laurent Mosar allerdings den geballten Harnisch der übrigen Fraktionen auf Krautmarkt ein.
Zu politischen Scharmützeln in diplomatischen Fragen kam es in den vergangenen vier Jahren allerdings nicht nur beim Fallbeispiel Kosovo. Ungemach auf höchster Regierungsebene rief auch ein Abstecher Jean Asselborns in den Nahen Osten hervor. Allerdings ging es beim Wortgefecht zwischen dem Premierminister und seinem Vize nicht um inhaltliche Fragen, sondern um die mediale Außenwirkung von besagter Reise. Asselborn solle seine Gaza-Politik bloß nicht überbewerten, lautete die Mahnung des Regierungschefs an die Adresse des Außenministers. Wie eine beleidigte Leberwurst antwortete Asselborn ein paar Tage später: Die luxemburgischen Vermittlungsversuche in Nahost seien mindestens ebenso wichtig wie die Zinspolitik im Euroraum.
Wie ein klärendes Gewitter wirkte dieser verbale Schlagabtausch, denn seitdem scheint die koalitionäre Welt wieder in Ordnung. Und internationale Krisen, die die Koalitionspartner entzweien könnten, sind gegenwärtig auch keine in Sicht. So schwimmt man zum Beispiel auf einer Linie, was die Beziehungen zu China angeht. Und die Frage eines EU-Beitritts der Türkei wird zumindest bis zum Wahlkampf ausgeklammert.
Die Zeiten, in denen sich die Regierungsprotagonisten von heute in Sachen Irakkrieg in den Haaren lagen, liegen gottlob schon eine Weile zurück.
Die Hausaufgaben
Erledigt:
– EU-Ratspräsidentschaft
– Referendum zum EU- Verfassungsvertrag
– Verabschiedung des Lissabonner Reformvertrags durch das Parlament
Auf dem Weg:
– Schnellere Umsetzung der EU-Direktiven
Noch nicht umgesetzt:
– Nicht ständiger Sitz im Weltsicherheitsrat
Quelle: Luxemburger Wort, 1. August 2008, Seite 2