Neuerscheinung zur Geschichte der CSV
Ein Gespräch mit dem Historiker Gilbert Trausch
VON LAURENT ZEIMET
Vor kuzem erschien bei den éditions saint-paul die „Geschichte der Christlich-Sozialen Volkspartei im 20. Jahrhundert“, herausgegeben von Gilbert Trausch. Wir unterhielten uns mit dem Historiker über das neue Standardwerk zur Geschichte der CSV.
Was macht die Geschichte einer Partei aus? Ihre Wahlresultate? Die Persönlichkeiten, die sie prägten? Das Programm und ihre Ideen? Die großen und kleinen Intrigen aus dem Innenleben?
Die Christlich-Soziale Volkspartei prägte die vergangenen 100 Jahre des Großherzogtums wie kaum eine andere politische Kraft. Nahezu ununterbrochen führten Politiker aus ihren Reihe die Geschicke des Landes. Seit „Ursprung und Leistung einer Partei“ von Emile Schaus aus dem Jahr 1974 war kein Versuch mehr unternommen worden, die Geschichte der CSV zu dokumentieren.
Nun liegt mit „CSV – Spiegelbild eines Landes und seiner Politik?“ ein neues Standardwerk vor, das für die politische Geschichtsschreibung Maßstäbe setzen dürfte. Die Idee zum Buch ging von der früheren CSV-Vorsitzenden Erna Hennicot-Schoepges aus. 2001 fragte sie beim Historiker Gilbert Trausch nach, ob es ihn nicht reizen würde, die Geschichte der Christlich-Sozialen nachzuzeichnen. Trausch erklärte sich bereit, stellte allerdings eine Reihe von Bedingungen. Eine freie Wahl der Mitarbeiter und eine absolute wissenschaftliche Freiheit. Beides wurde ihm von Hennicot-Schoepges „ohne Zögern“ – wie Trausch im Vorwort präzisiert – zugesagt. 13 Autoren wirkten am Ende mit. Neun Historiker, ein Soziologe, ein Philosoph, ein Journalist und ein Bibliothekar. Drei waren oder sind aktive Mitglieder der CSV, die sich aber laut Trausch „eine kritische Distanz“ bewahrt haben und das Unterfangen durch ihr „Insiderwissen“ bereicherten.
Die CSV gewährte den Geschichtsforschern freien Zugang zu ihrem Archiv, soweit es noch erhalten ist. Vieles aus der Vorkriegszeit wurde „aus Ignoranz“ bei einer Räumungsaktion im Generalsekretariat der Partei in den 80er-Jahren entsorgt. Ihre Offenheit schienen die CSV-Verantwortlichen manchmal zu bereuen, stellt Gilbert Trausch leicht amüsiert fest. Nicht nur Schmeichelhaftes konnte aus den Tiefen des Archivs zutage gefördert werden. Zur Rekonstrution der CSV-Geschichte führten die Autoren zudem Gespräche mit einigen Zeitzeugen. „Allerdings sind diese Erinnerungen immer mit Vorsicht zu genießen“, erklärt Gilbert Trausch. „Politiker tendieren dazu, ihre eigene Rolle rückblickend zu beschönigen oder aufzuwerten. Das ist nur menschlich.“ Obwohl sich die Aussagen der Politiker manchmal widersprachen, war die Oral history dennoch bei der Abwägung und Einschätzung von Ereignissen hilfreich. „Die Objektivität gebietet, dass man allen Dokumenten Rechnung trägt und nachgeht“, so Gilbert Trausch. Ohne Rücksicht auf Verluste, ist man geneigt anzufügen. Manche Beiträge und Zitate aus internen Papieren und Sitzungsberichten überraschen in der Tat durch ihre Offenheit und kritische Distanz. Natürlich habe ein Historiker immer eine gewisse Zuneigung zum Objekt seiner Recherche. „Diese schließt den kritischen Blick aber nicht aus.“
Keine Geschichte der Regierungsarbeit
Trausch und seine Mannschaft wollten die Geschichte der Christlich-Sozialen von ihren Anfängen als Rechtspartei bis zum Wahlerfolg 2004 niederschreiben. „Es ist nicht die Geschichte der Regierung und auch nicht der Regierungsarbeit der CSV“, präzisiert der Historiker. Eine Einschränkung, die nicht unbedingt allen Politikern leicht zu vermitteln gewesen sei. Da einige sich – nach eigenem Dafürhalten – nicht angemessen im Buch berücksichtigt fanden.
Trausch wollte nicht lediglich eine chronologische Abhandlung vorlegen, sondern auch den Ursprung der CSV und deren Umfeld beschreiben. Die Autoren widmen den ersten Teil der Geschichte der CSV im 20. Jahrhundert. Im zweiten Teil wird das christlich-soziale Netzwerk von „Luxemburger Wort“, christlichen Gewerkschaften und katholischen Vereinigungen sowie deren nicht immer spannungsfreies Verhältnis zur CSV ausgiebig durchleuchtet. Die These vom „CSV-Staat“ lehnt der Historiker ab. Die CSV habe ihre Vormachtstellung nie im eigenen Interesse ausgenutzt und ihren Mitgliedern keine Bevorzugung zukommen lassen, die sich von den Gepflogenheiten der anderen Parteien unterscheiden würde.
Pierre Lorang bringt es in seinem Beitrag auf den Punkt: Luxemburg ist nicht Bayern und die CSV ist nicht die CSU. Im Gegenteil habe die CSV eine Logik des „Wir gegen alle“ stets abgelehnt. Die Christlich-Soziale Volkspartei hat laut Gilbert Trausch seit ihrer Gründung im Jahr 1914 erstaunlich konsequent an ihren Grundsätzen festgehalten, ohne es zu versäumen, im Laufe der Zeit die nötigen Anpassungen vorzunehmen. Wie ein roter Faden ziehe sich die Ablehnung des Klassenkampfes und die Selbstwahrnehmung als „Volkspartei“ durch die Geschichte der Partei. „Die CSV ist weiterhin die politische Kraft, die am ehesten dem Volksparteicharakter entspricht“, befindet Trausch. Nur noch die Sozialisten würden diesem Anspruch einer alle Schichten des Volkes umspannenden Partei immer näher kommen. „Die Liberalen haben sich dagegen nie als Volkspartei verstanden.“ Der Übergang der Rechtspartei zur Christlich-Sozialen Volkspartei nach Kriegsende war nahtlos und von langer Hand von den Vordenkern Emile Reuter und Pierre Dupong vorbereitet worden. Dupong zählt für Gilbert Trausch zu den dominierenden Figuren der CSV-Geschichte. Nach ihm habe es bislang nur Jean-Claude Juncker geschafft, die Partei für sich zu vereinnahmen. Als Bruch in der Parteigeschichte macht Trausch die bittere Wahlschlappe von 1974 aus. Die Christlich-Sozialen waren danach zur Modernisierung gezwungen. Diese forcierte Erneuerung beflügelte den Aufstieg der Generation Juncker, die bis heute innerhalb der CSV das Zepter schwingt. Auf die Titelfrage „CSV – Spiegelbild eines Landes und seiner Politik?“ will der Herausgeber Gilbert Trausch keine Antwort vorgeben. Der Leser soll sich seine eigene Meinung bilden.
CSV – Spiegelbild eines Landes und seiner Politik?, Geschichte der Christlich-Sozialen Volkspartei im 20. Jahrhundert, herausgegeben von Gilbert Trausch, Editions Saint-Paul 2008, 992 Seiten, 49 Euro.
Quelle: Luxemburger Wort, 26. Juli 2008