Die europäische Integration hat Europa, jedoch vor allem Luxemburg, in den letzten 50 Jahren Frieden, Aufschwung und Wohlstand gebracht. Ohne offene Grenzen hätte Luxemburg nicht die wirtschaftliche und soziale Aufwärtsentwicklung der letzten Jahrzehnte gekannt. Bei jeder Erweiterung sind nicht, wie oft befürchtet, in den Kernländern Arbeitsplätze vernichtet und Löhne gekürzt worden, sondern die neuen Mitgliedsländer haben immer einen wirtschaftlichen und sozialen Aufschwung verzeichnet. Das europäische Projekt ist somit in sich schon sozial. Profil-Leitartikel von François Biltgen, CSV Parteipräsident
Vor 50 Jahren waren die Gründerväter übrigens der Meinung, dass es genau deshalb keinerlei spezifischer sozialer Bestimmungen bräuchte. Wirtschaftliche Integration würde automatisch zu allgemeiner sozialer Besserstellung führen.
Nun stimmt dies nicht, oder zumindest nicht mehr. Man bringt es zu Wohlstand über gute Arbeitsplätze, und gute Arbeitsplätze bedingen eine gute Ausbildung. Doch nicht alle unsere Bürger haben diese Chance. Es genügt nicht, mehr Beschäftigung zu schaffen. Wenn diese Jobs schlecht bezahlt, prekär und schlecht geschützt sind, ermöglichen sie es dem Arbeitnehmer nicht, sich und seiner Familie eine Zukunft aufzubauen.
Dofir brauche mer méi Europa
Deshalb wird seit den 70er Jahren versucht, dem sozialen Europa eine legale Basis im Vertragswerk zu schaffen. Vieles wurde bereits erreicht, u.a.die Bestimmungen über Gesundheit und Sicherheit am Arbeitsplatz, die Gleichstellung von Mann und Frau oder die Mindestnormen bei atypischen Verträgen. Vieles mehr verdanken wir auch in Luxemburg den Bestimmungen über ein soziales Europa.
Dennoch ist es klar, dass das soziale Europa dem wirtschaftlichen hinterherhinkt. Deshalb brauchen wir mehr und nicht weniger Europa. Deshalb brauchen wir den Lissabonner Vertrag mit seiner “horizontalen” Sozialklausel, die alle europäischen Vorhaben auf ihre Sozialverträglichkeit überprüfen würde und einklagbar macht. Die vorgesehene Früheinbindung der nationalen Parlamente würde einen zusätzlichen Fortschritt bringen.
Deshalb brauchen wir endlich – wie Premierminister Jean-Claude Juncker es immer wieder fordert – einen europäischen Mindestsockel von sozialen Rechten. Der Vorstoß von Jean-Claude Juncker und Angela Merkel, dem Lissabonner Vertrag ein Sozialprotokoll hinzuzufügen, fand bislang leider keine Zustimmung.
Dofir brauche mer politeschen Asaz
Zu bedauern ist auch die Tatsache, dass nicht alle europäischen Akteure es so sehen wie wir. Viele sehen Sozialrecht als wirtschaftshemmend. Dabei wird dann vergessen, dass heute viele Menschen Angst vor einem Wirtschaftsraum ohne soziale Grundrechte haben.
Diese Angst wurde besonders deutlich nach einigen rezenten Rechtssprechungen des Europäischen Gerichtshofes. Dieser hat die Möglichkeiten des Gastlandes, aus anderen Ländern entsendeten Arbeitnehmern aus sozialpolitischen Ordnungsgründen gleiche Rechte wie den einheimischen Arbeitnehmern zuzuerkennen, restriktiv interpretiert,
Das Luxemburger Gesetz muss somit schnellstens nachgebessert werden, vor allem um auch in Zukunft mögliches soziales Dumping und unlauteren Wettbewerb durch effiziente Kontrollen der Gewerbeinspektion zu verhindern, dies vor allem im Bauwesen. Die Rechtssprechung stellt unser Arbeitsrecht und unser Sozialsystem nicht in Frage.
Allerdings stellen viele Arbeitnehmer über Luxemburg hinaus sich die Frage wie es mit dem sozialen Europa weitergeht. Und deshalb braucht es starke sozialpolitische Stimmen in Europa. Dass man damit anecken kann, ist gewusst. Das ist ein Risiko. Doch ein Politiker, der das Risiko scheut, für seine Sache zu kämpfen und vielleicht nicht zu gewinnen, sollte die Politik an den Nagel hängen.
Politik braucht Mut, Einsatz und Risiko.
Die CSV wird nicht müde werden für mehr soziales Europa, also für mehr Europa zu kämpfen.
François Biltgen, CSV Parteipräsident