Der Bologna-Prozess: Mehr als nur Bachelor- und Masterdiplome

Durch den beständigen Fortschritt der Wissenschaft und der allumfassenden Technik kommt es notwendigerweise, wenn auch von vielen Menschen nicht erwünscht, zur Bildung einer tiefen Kluft. Wenn einerseits Hunderte von Millionen Menschen, vornehmlich in den industrialisierten Ländern über die modernen Kommunikationstechnologien und über eine grenzenlose Mobilität verfügen, so gibt es andererseits mehrere Milliarden Menschen, die diese „Freiheiten“ nicht haben, sich hingegen jeden Tag fragen wie den Magen füllen, von Kommunikation und Mobilität kann keine Rede sein. Das Gefälle der technischen Errungenschaften zwischen den Kontinenten und Ländern ist gewaltig und die globale Verfügbarkeit von Informationen mittels den modernen weltumspannenden Telekommunikationstechnologien prägten den Übergang von der Industrie- zur Informationsgesellschaft, heute unter dem Begriff Wissensgesellschaft bekannt. Eine freie Tribune von Marcel Oberweis, CSV Abgeordneter

Es drängt sich aber die Frage auf, wie denn diese von Energie angetriebenen Dienstleistungen durchgeführt werden sollen, angesichts der aktuellen Energieknappheit. Neben diesem Mangel fehlen uns in den Industrieländern in einem erschreckenden Maß, die Wissenschaftler, die Ingenieure, die Techniker und die Meister, die Garanten des technischen Fortschritts. Die Forschungszentren, die Industrien, die Klein- und Mittelunternehmen suchen händeringend nach diesen Nachwuchskräften. Laut Angaben des Instituts der Deutschen Wirtschaft fehlen allein hier, nun doch die Lokomotive der europäischen Wirtschaft rund 100.000 Ingenieure sowie 45.000 IT-Fachkräfte. Auch Luxemburg, man möge die Inserate einsehen, fehlen in vielen Bereichen der Wirtschaft die Talente des Fortschritts. 

Bis zur Schaffung der Universität Luxemburg im Jahr 2003 bildete das frühere „Institut Supérieur de Technologie“ über den vierjährigen Studiengang die viel gefragten „Ingénieurs industriels“ für die Wirtschaft und die Verwaltungen aus. Sie waren willkommene Wissensträger mit hohem Praxisbezug. Durch die Integration in die Hochschule können diese Diplome nicht mehr vergeben werden.

Ein Pfeiler der europäischen Hochschullandschaft 

Anlässlich der 900-Jahr-Feier der Universität Bologna, der ältesten Universität Europas, wurde die „Magna Charta Universitatum" am 18. September 1988 von den Bildungsministern aus Frankreich, Italien, Deutschland und Großbritannien unterzeichnet. Die Charta besagte, dass die Zukunft der Menschheit vor allem auf einer stetigen kulturellen, wissenschaftlichen und technischen Entwicklung beruht. Als Ziele wurden u.a. die Förderung der Mobilität und die Kompatibilität und Vergleichbarkeit der Hochschulsysteme definiert. Diese Erklärung wurde durch die „Sorbonne-Erklärung" anlässlich der 800-Jahr-Feier der Universität Paris am 25 Mai 1998 vertieft, welche die Harmonisierung der Architektur der europäischen Hochschulbildung als Kernpunkt ansieht. Und die Bologna-Erklärung sowie deren Umsetzung durch den Bologna-Prozess wurden am 19. Juni 1999 von 29 Ländern, auch Luxemburg, unterzeichnet. Mittlerweile hat sich die Mitgliederzahl von 29 Staaten auf 46 Staaten erhöht.
Insbesondere der Lernende mit seinem Arbeitsaufwand und seinen Kompetenzen steht im Mittelpunkt des Bologna-Prozesses. Die Erhöhung der Transparenz des Studienangebots, die Förderung der Mobilität, die Internationalisierung des Hochschulstudiums, die Flexibilisierung der Ausbildungswege, die Verringerung der Studiendauer sowie der Abbrecherquoten sowie die Akkreditierung und Qualitätssicherung der Bachelor- und Masterstudiengänge stellen die wichtigen Elemente des Prozesses dar. Ebenfalls möchte man die Studiengangsstruktur, die Studieninhalte, die internen Hochschulorganisationsabläufe sowie der Verwaltungsaufwand vergleichen. Der gegenseitigen Anerkennung von Abschlüssen und die damit verbundene Mobilität der Studenten gelten als Eckpunkte. Außerdem strebt man enge Beziehungen zwischen der Technik und den Naturwissenschaften an und möchte die Bindungen zum wirtschaftlichen und sozialen Leben verstärken.

Mit Leonardo da Vinci über das zweistufige Studiensystem zur Promotion 

„Studiere zunächst Wissenschaft, erst dann folgt die Praxis daraus“ schrieb Leonardo da Vinci, Universalgenie der Renaissance und Ingenieur, im ausgehenden 15. Jahrhundert. Und er fügte hinzu: “Lass Dich leiten von der Lust auf das Neue und dem Willen zu erkennen, was die Welt im Innersten zusammenhält, aber achte darauf, dass es kein minderes Ziel ist, die Welt mit dem, was Du forschend und entwickelnd tust, zusammenzuhalten.“ 

Die faszinierende Welt der modernen Technik, welche mich seit meiner frühesten Berufserfahrung im Jahr 1962 beeindruckt, bedarf aber mehr jungen Menschen, die sich mit ihr zukünftig auseinandersetzen möchten. Wenn wir in der aufkommenden Wissensgesellschaft Schritt mit den anderen wichtigen Wirtschaftspartnern Schritt mithalten möchten, dann müssen wir junge Mensche für die Technik begeistern. Wir dürfen nicht vergessen, dass das Ingenieurwesen wie nur wenig andere Berufsfelder für die Leistungs- und Wettbewerbsfähigkeit unserer Wirtschaft verantwortlich zeichnet. 

Eine der größten Herausforderungen des Bologna-Prozesses ist die Einführung der gestuften Bachelor- und Masterstudiengänge sowie die damit zusammenhängenden Neuerungen u.a. das ECTS-Punktesystem, das „Diploma Supplement“ und die Akkreditierung. Das Bachelordiplom als erste Stufe (Studiendauer über sechs resp. sieben Semester, acht sind selten) soll mehr Studenten ermutigen, sich dem Hochschulstudium zuzuwenden und mit einem akademischen Hochschultitel in die Berufswelt einzutreten. Durch dieses Diplom erhält der Student einen ersten berufsqualifizierenden Hochschulabschluss mit 180 bis 240 ECTS-Punkten und es sollen ihm wissenschaftliche Grundlagen sowie Fach- und Sozialkompetenz vermittelt werden. In Gesprächen mit Vertretern der Wirtschaft und den Verwaltungen stellt man noch viele Wissenslücken bezüglich des Wissenstandes sowie der möglichen Einstufung fest. Vielfach wird gesagt, man warte lieber auf die Masterstudenten, da dieses Diplom eher dem bisherigen Diplomingenieur gleichzusetzen wäre. Es verbleiben die Befürchtungen, dass ein verkürztes Studium, das Bachelordiplom zu einem geringeren Qualifikationsniveau und zu einem weniger praktischen und berufsqualifizierenden Abschluss führt. 

Der Masterstudiengang stellt den weiterführenden berufsqualifizierenden Abschluss mit einem hohen wissenschaftlichen Niveau. Hier soll der Student durch die fachliche jedoch vernetzte Ausbildung für den Arbeitsmarkt vorbereitet werden. Das Masterdiplom mit 60 bis 120 ECTS-Punkten fördert die Kommunikationsfähigkeit, die Selbstständigkeit und die Kreativität. Die Gesamtstudienzeit für den konsekutiven Bachelor- & Masterstdiengang beträgt in der Regel fünf Jahre. Zusätzlich zu seinem Diplom erhält der Student das "diploma-supplement", welches Auskunft über das Studium und die erworbene Qualifikation gibt. 

Der Abschluss des zweistufigen Studienangebots an der Universität Luxemburg erlaubt den Eintritt in das Berufsleben, jedoch auch die Promotion, dies in enger Kooperation mit renommierten Universitäten. Durch das rezente Gesetz über die „Formation-Recherche“ sollen die Arbeitsbedingungen und die finanzielle Unterstützung für die Forscher, insbesondere die Doktoranden und Post-Doktoranden, verbessert werden. Diese Unterstützung soll es dem Wirtschaftsstandort Luxemburg erlauben, das gewünschte Ziel der Lissabon-Strategie: “Die Europäische Union möchte bis 2010 der wettbewerbsfähigste und wissensgestützte Wirtschaftsraum werden“ zu erreichen.

Aufbau des europäischen Hochschulraums 

Durch die Qualitätssicherung der Studien wird dem Aufbau des gewünschten Europäischen Hochschulraum Vorarbeit geleistet, diese „Bolognaropa“ erstreckt sich von Wladiwostok nach Las Palmas und Reykjavik und bietet Studenten, Professoren und Forschern einen weitgespannten geographischen Raum für Forschung und Lehre. Bis zum Jahr 2010 soll dieser mutige Schritt abgeschlossen sein, erste Erfolge sind bereits sichtbar. Anlässlich der Bologna-Konferenz in Leuwen (Belgien) im April 2009 wird man weitere Auskünfte erhalten. 

Die Universität Luxemburg hat sich auch für den Bologna-Prozess entschieden. Den Abiturienten werden derzeit in den drei Fakultäten elf verschiedene Bachelor-Studiengänge angeboten u.a. in den Bereichen Ingenieur-, Wirtschafts- und Naturwissenschaften, Recht und Psychologie. Man unterscheidet zwischen dem berufs- und dem akademischorientierten Bachelordiplom. Weitere 18 Master-Studiengänge stehen zu Verfügung u.a. Nachhaltige Entwicklung, Veterinärmedizin, „Enterpreneurship“ und Bankwissenschaften. Hier wird auch zwischen dem berufs- und dem akademischorientierten Masterdiplomdiplom unterschieden. Laut den Aussagen der Verantwortlichen der Universität Luxemburg werden im Studienjahr 2007-2008 zwischen 200 bis 240 Bachelordiplome vergeben, davon aber nur 15 bis 20 in der Fakultät Wissenschaft. Man mag sich die Frage stellen, wo denn die technisch orientierte Welt ihren Nachwuchs her nehmen soll? 

Vielleicht vermag das Angebot des berufsorientierten „Master in der Nachhaltigen Entwicklung“ ab dem Wintersemester 2008-2009 in enger Kooperation mit der Universität Lüttich mehr junge Menschen dazu bewegen, sich den Gedanken von Leonardo da Vinci anzuschließen. Möge die Aussage von Antoine de Saint-Exupéry: “Wenn du ein Schiff bauen willst, dann trommle nicht die Männer zusammen, um Holz zu beschaffen, Aufgaben zu vergeben und die Arbeit einzuteilen, sondern lehre die Männer die Sehnsucht nach dem weiten, endlosen Meer.“ viele junge Menschen für die technische Welt begeistern.

Dr.-Ing. Marcel Oberweis, CSV Abgeordneter

Weiterführende Literatur
www.uni.lu
www.hrk.de/bologna
www.htw-dresden.de
europa.eu/scadplus/leg/de