Das Agrargesetz für die Zeitspanne 2007/13 ist – wenn auch mit etwas Verspätung – unter Dach und Fach gebracht worden. Nun wartet mit dem sogenannten Gesundheitscheck der Gemeinsamen Agrarreform die nächste große agrarpolitische Aufgabe auf Fernand Boden. Im Interview mit dem „Luxemburger Wort“ bezieht der langjährige Landwirtschaftsminister Stellung zu den einzelnen Arbeitsfeldern; als eine der bedeutendsten Herausforderungen sieht er dabei die Absicherung der Futterversorgung.
Luxemburger Wort: An diesem Wochenende findet in Ettelbrück die Foire agricole statt. Welche Bedeutung hat Luxemburgs größte Agrarmesse für die Branche und die Bevölkerung?
Fernand Boden: Die Foire agricole stellt eine gute Gelegenheit dar, auf die bedeutende Rolle der Landwirtschaft hinzuweisen. Wir wollen eine multifunktionelle Landwirtschaft, die qualitativ hochwertige Produkte aus der Region erzeugt. In Ettelbrück bietet sich den Besuchern die Chance, sich ein Bild davon zu machen. In der heutigen Zeit, die von der Information und Kommunikation geprägt ist, ist es unumgänglich, dass die Agrarbranche ihre Türen öffnet, sich der Bevölkerung präsentiert, über den vielseitigen Beruf des Bauern informiert und Werbung in eigener Sache betreibt. Und für die Landwirte selbst ist Ettelbrück die Möglichkeit schlechthin zum Erfahrungs-, Informations- und Meinungsaustausch.
Luxemburger Wort: Apropos Informationsaustausch. Ein Schwerpunkt ist in diesem Jahr die internationale Grünlandtagung.
Fernand Boden: Wenn man weiß, dass die Milchwirtschaft das wichtigste Standbein der luxemburgischen Landwirtschaft ist, dann muss man dafür sorgen, dass dieses Standbein auch ein solides Fundament hat. Und dazu gehört ohne Zweifel die Sicherung der Futtermittelversorgung. Es muss uns daran gelegen sein, das vorhandene Weideland optimal zu nutzen und dadurch die Importabhängigkeit überschaubar zu halten. Den Bauern soll in Ettelbrück Einblick in die effizientesten Herstellungs- und Verarbeitungsmethoden gegeben werden. Auch gebe ich zu bedenken, dass man den globalen Kontext in Zeiten sich zuspitzender Versorgungsmöglichkeiten nicht vernachlässigt.
Luxemburger Wort: Dieser globale Kontext sorgte zuletzt mit den Lebensmittelkrisen und, damit einhergehend, der Diskussion um die Agrokraftstoffe für Schlagzeilen. Welche Meinung hat der Landwirtschaftsminister zur Nutzung von Biosprit?
Fernand Boden: Für mich muss die Lebensmittelproduktion in der Landwirtschaft stets Vorrang haben. Es geht nicht an, dass es in vielen Teilen der Erde zu Konflikten und Krisen kommt, weil landwirtschaftliche Nutzflächen in massivem Maße zum Anbau von Energiepflanzen verbraucht werden. Ich habe von Anfang an zu denjenigen gehört, die das EU-Ziel der zehnprozentigen Beimischung von Agrotreibstoffen als zu ambitiös ansehen. Hier brauchen wir unbedingt strenge, nachhaltig ausgerichtete Produktionskriterien.
Wir sollten die ganze Angelegenheit aber insofern nuanciert betrachten, als Biosprit in erster Linie in den Schwellen- und Drittweltstaaten zum Problem geworden ist. Dort zeigt sich nun in dramatischer Weise, dass der Agrarsektor während Jahrzehnten sträflich vernachlässigt wurde. Über den Weg der Kooperationshilfe müssen wir in den kommenden Jahren der Landwirtschaft in den Entwicklungsländern auf die Sprünge helfen. Heute kommen gerade mal vier Prozent der Entwicklungsgelder Ackerbau und Viehzucht zugute. Damit kann man keine konkurrenz- und lebensfähige Landwirtschaft aufbauen.
Luxemburger Wort: Die europäischen Milchbauern sorgen sich derweil um die angemessene Entlohnung für ihr Produkt. Wie sehen Sie die Zukunft des wichtigsten Pfeilers der luxemburgischen Landwirtschaft?
Fernand Boden: Ich bin optimistisch. Es wurden in jüngster Vergangenheit erhebliche Anstrengungen unternommen und Investitionen getätigt, um die Wettbewerbsfähigkeit der hiesigen Milchwirtschaft zu sichern und zu stärken. Die Rechnung ist einfach: Die Produktionskosten dürfen die Einnahmen nicht überbieten. In puncto Einnahmen sind die Milchproduzenten gut aufgestellt, da ihr Litererlös hierzulande nahe an der 40-Cent-Marke liegt. Diese günstige Ausgangslage rührt auch daher, dass die Verbraucher ein großes Vertrauen in regionale Produkte haben und sich eine Luxlait demzufolge in einer stärkeren Verhandlungsposition wiederfindet. Dies war und ist im Ausland anders, wo die großen Handelsketten aus einer übertriebenen Machtposition heraus agieren können.
Was nun die Produktionskosten angeht, muss man wissen, dass die Bauern teilweise selbst durch zu hohe Quotenzahlungen dazu beigetragen haben, dass die Kosten in die Höhe geschnellt sind.
Luxemburger Wort: Nun sind die Tage der Quoten gezählt. Die unlängst beschlossene Anhebung wird indes von Kritik begleitet.
Fernand Boden: Seit der tief greifenden Agrarreform von 2003 ist gewusst, dass das Quotenregime 2015 auslaufen wird und demnach eine Übergangslösung gefunden werden muss. Dem haben die EU-Landwirtschaftsminister vor dem Hintergrund einer steigenden Nachfrage Rechnung getragen. Es ist eine begrenzte Anhebung von zwei Prozent, die mit dem Zusammenspiel von Angebot und Nachfrage vereinbar ist. Die vereinzelt geforderte EU-weite Saldierung ist ein zweischneidiges Schwert. Sie kann zu enormen Einbußen führen, falls es in ganz Europa zu Überproduktionen kommt.
Luxemburger Wort: Über die Quotenfrage hinaus geht es beim Gesundheitscheck um die Prüfung der Agrarreform aus 2003. Was dürfen die Bauern davon erwarten?
Fernand Boden: Es wird mit Sicherheit keine fundamentale Reform wie vor fünf Jahren geben. Es wird darum gehen, anhand einer detaillierten Bestandsaufnahme Defizite festzustellen und daraufhin Verbesserungsvorschläge zu machen. Bei der "cross compliance" beispielsweise ist der Wille zur Vereinfachung gegeben. Nun müssen Mittel und Wege gefunden werden, wie diese Vereinfachung bei der Kontrolle der Auflagen beim Tierund Umweltschutz praktisch umgesetzt werden kann.
Daneben müssen wir uns den neuen Herausforderungen stellen. Ich denke da ganz besonders an die Energiefrage.
Luxemburger Wort: Kann man in dem Zusammenhang eine Renaissance der Waldwirtschaft erwarten?
Fernand Boden: Wir können heute schon beobachten, dass die Holznachfrage stark angezogen hat. An der Politik liegt es, für angemessene Rahmenbedingungen zu sorgen, beispielsweise bei der Bezuschussung auf dem Gebiet der erneuerbaren Energien. Das Hauptproblem in Luxemburg sind die vielen kleinen Parzellen, die sich in Privatbesitz befinden und deren Bewirtschaftung sich als wenig interessant erweist.
Luxemburger Wort: Nach langen und zähen Verhandlungen konnte sich auf EU-Ebene auf eine Reform des Weinmarktes verständigt werden. Wie sieht es mit der konkreten Umsetzung aus?
Fernand Boden: Erst einmal will ich daran erinnern, dass wir aus luxemburgischer Sicht Schlimmes haben verhindern können. So behalten die traditionellen önologischen Verfahren ihre Gültigkeit. Positiv an der Reform ist sicher, dass die Beihilfen künftig rationeller eingesetzt werden sollen. Da heute schon eine Reihe von Fördermaßnahmen in Luxemburg Realität sind, müssen wir darauf Acht geben, dass keine Gelder verloren gehen. Also müssen wir mit der EU-Kommission einen gangbaren Weg zwischen Betriebsprämie ("payement unique") und nationaler Beihilfe finden.
Luxemburger Wort: Nicht zuletzt die Auseinandersetzungen um Artikel 17 haben gezeigt, dass das Miteinander von Landwirtschaft und Umwelt ein sehr schwieriges Terrain ist. Wäre die politische Zusammenlegung ein Ansatz, um das Verhältnis zu verbessern?
Fernand Boden: Es ist ein Versuch wert. Wenn ein Minister für beide Ressorts zuständig ist, kann dies durchaus dazu führen, die Situation zu entschärfen. Es kann aber auch zu Zerreißproben führen. Viel wichtiger als die Ressortaufteilung erscheint mir, dass der Wille zur Zusammenarbeit auf allen Ebenen vorhanden ist, besonders vor Ort. Es geht um Dialog und Partnerschaft. Ökologie und Ökonomie müssen sich ergänzen. Bei aller Sorge um die Umwelt muss die Rentabilität der Landwirtschaft gewährleistet sein. Seit geraumer Zeit ist ein Annäherungsprozess unverkennbar. Auf beiden Seiten muss man aber darauf bedacht sein, sich nicht von Scharfmachern leiten zu lassen.
Quelle: Luxemburger Wort, 3. Juli 2008, Marc Schlammes