Drei Fragen an Staatsminister Jean-Claude Juncker

“Eigentlich habe ich nie etwas dagegen, von den Leuten zur Rechenschaft gezogen zu werden. Macht man Politik, so geschieht dies, weil man bestimmte Ideen, Pläne und Ambitionen für sein Land hat. Wenn die Wähler einen dafür zur Rechenschaft ziehen und darüber urteilen, halte ich das für einen demokratischen Normalfall. Ich fühle mich nirgends so wohl wie in einem demokratischen Normalfall. “Drei Fragen an Staatsminister Jean-Claude Juncker:

Bei Ihrer Visite in Kasachstan werden Sie als Europapolitiker von- internationalem Format gewürdigt. Wie steht es nunum Ihre politische Zukunft, nachdem der Lissabon-Vertrag durch das Nein der Iren nicht termingerecht in Kraft treten dürfte und damit auch die Ihnen nachgesagte Option als erster EU-Ratspräsident fraglich geworden ist? 

Wenn ich unser Land in Europa und im nichteuropäischen Ausland vertrete, halte ich es für eine gute Wirkung für Luxemburg, dass dann auch auf die europäische Dimension hingewiesen wird, die mir regelmäßig in der internationalen Presse nachgesagt wird. Trotz des Versuchs, bescheiden zu bleiben, bilde ich mir ein, dass die von mir erledigten europäischen Angelegenheiten, insbesondere der Vorsitz in der Euro-Zone, sich aispositiv für das eigene Land erweisen. Dies wohlwissend, dass die meisten Luxemburger finden, ich würd« des einen zu viel und des anderen nicht genug tun. Weil der Lissabon- Vertrag nicht zum kommenden 1. Januar in Kraft tritt, gehört die Frage, ob ich bei der Besetzung von neu geschaffenen europäischen Posten dabei sein werde, der Vergangenheit an. Sie kann vielleicht einer länger gestreckten Zukunft zugeordnet werden, ist jedoch nicht aktuell. 

Ihr Name wurde nicht allein mit dem Posten des EU- Ratspräsidenten in Verbindung gebracht, sondern auch mit anderen hohen europäischen Ämtern … 

Alle Gerüchte, denen zufolge ich Präsident der EU-Kommission oder, wie verstärkt in den letzten Tagen, Vorsitzender der Europäischen Zentralbank werden soll, sind nicht fundiert. Würde ein solcher Wunsch an mich herangetragen werden, würde ich ihn ablehnen, weil ich das schon einmal beim Kommissionsvorsitz getan habe und es nicht tun will. 

Demnach werden Sie also in der nationalen Politik bleiben und sich auf den Wahlkampf im nächsten Jahr freuen? 

Das ist eine Entscheidung, die meine Partei treffen muss, doch halte ich ein solches Szenario nicht für absurd. Übrigens habe ich während der ganzen Zeit, in der über den Wechsel nach Brüssel gemutmaßt wurde, immer wieder gesagt, ich wäre gerne in Luxemburg. Dem ist ganz einfach so. Wenngleich meine Präferenz Luxemburg gilt, habe ich jedoch auch stets gesagt, das andere nicht ausschließen zu wollen, wenn es Sinn macht. Auch sei angemerkt, dass ich nie Kandidat für den Posten des Ratspräsidenten war. Falls ich gewählt werde, kann ich von Luxemburg aus vieles auf europäischer Ebene bewirken, das auch seinen Niederschlag in und für Luxemburg findet. Ich erhielt in letzter Zeit unzählige Briefe von Luxemburgern, die mich darum baten, nicht nach Brüssel zu gehen, was wirklich ergreifend ist. Eigentlich habe ich nie etwas dagegen, von den Leuten zur Rechenschaft gezogen zu werden. Macht man Politik, so geschieht dies, weil man bestimmte Ideen, Pläne und Ambitionen für sein Land hat. Wenn die Wähler einen dafür zur Rechenschaft ziehen und darüber urteilen, halte ich das für einen demokratischen Normalfall. Ich fühle mich nirgends so wohl wie in einem demokratischen Normalfall.

Quelle : Luxemburger Wort, Samstag, den 28. Juni 2008, Joseph Lorent