Sozialpolitik ist Gesellschaftspolitik

Gesellschaftspolitik geht für die CSV weit über das hinaus, was andere darunter verstehen. Gesellschaftspolitik ist vor allem Sozialpolitik. Die Gesellschaft besteht nun eben nicht (nur) aus Bürgern, die genug Geld haben, um sich selbst und ihrer Familie alles zu bieten, was sie möchten. Doch die Gretchenfrage ist immer die nach dem Einwirken des Staates. Profil-Leitartikel von Parteipräsident François Biltgen

Sozialpolitik kennt verschiedene Varianten. 

Traditionell wird sie als Einkommenspolitik wahrgenommen. Deshalb wird oft soziale Gerechtigkeit mit Verteilungspolitik gleichgesetzt: Steuerpolitik, soziale Zuwendungen wie Kindergeld, RMG, usw. sollen den Schichten mit weniger Einkommen durch den solidarischen Beitrag der Besserverdienenden den notwendigen materiellen Ausgleich bieten. Im Nachhinein („a posteriori“) verteilt der Staat die Einkommen um und schafft somit materiellen Ausgleich. 

Nur stößt diese Politik heute an ihre Grenzen, verbunden mit neuen Herausforderungen an die Politik: 

– Verteilungsgerechtigkeit geht nicht ohne Leistungsgerechtigkeit. Leider wird in einer globalisierten Welt Arbeit gegenüber Kapital stärker belastet. 

– Bei den sozialen Zuwendungen hingegen stellt sich die Frage der Selektivität. Werden Zuwendungen nur nach einkommenspolitischen Kriterien bemessen, können sie die Einkommenspolitik verzerren. Werden sie jedoch unbesteuert, jedem Haushalt gleichmäßig zugeteilt, verfehlen sie jegliche sozialpolitische Wirkung. 

– Schließlich stellen wir fest, dass Luxemburg, wie die anderen Länder auch, immer stärker zu einer Zweiklassengesellschaft mutiert. Die Frage der Armut stellt sich auch bei uns, obwohl die Armutsrisikogrenze (die allerdings eine rein statistische Größe ist) gegenüber dem Ausland sehr hoch angesetzt ist. Dieses Armutsrisiko nur rein materiell über die Verteilungsgerechtigkeit zu bekämpfen, wird keinesfalls ausreichen! Denn Armut ist vor allem ein Teil der sozialen Ausgrenzung. Diese entsteht besonders durch mangelnde Ausbildung und infolgedessen unzureichender Einbindung in die Berufs- und Arbeitswelt. Eine weitere immer wieder festzustellende Tatsache ist, dass Armut sich vererbt. In Luxemburg sind zuvorderst Immigrantenfamilien und Familien mit einem speziell problematischen sozialen Hintergrund besonders gefährdet. Geldzuwendungen allein werden der Armut daher nur bedingt Einhalt bieten können. Das Problem der Armut ist umfassender anzugehen. 

– Hinzu kommt, dass vermehrt Familien mit besserem sozialem Umfeld Gefahr laufen, ebenfalls sozial ausgegrenzt zu werden. Denn auch bei gutem Einkommen kann man sich nicht unbedingt einfach so eine Eigentumswohnung leisten. Viele Kinder und Jugendliche, auch aus so genannten „normalen“ Verhältnissen, haben schulische Probleme und bringen es nicht zu einem qualifizierten Abschlussdiplom. Funktionierte früher der so genannte „soziale Aufzug“ vor allem nach oben, gibt es heute vermehrt Beispiele des Umkehrschlusses. 

Miteinander für soziale Kohäsion 

Der soziale Zusammenhalt, bestehend sowohl aus einem Zugehörigkeitsgefühl (das aktive Mitdabeisein) als auch aus der Möglichkeit, den Anschluss „nach oben“ zu erreichen, steht vermehrt unter Druck. 

Deshalb darf die Sozialpolitik nicht nur „im Nachhinein“ für materiellen Ausgleich sorgen. Sie muss „von Vorneherein“ die Weichen stellen für den Erhalt und den Ausbau des sozialen Zusammenhaltes. Der Staat muss eine stärkere Kinder- und Jugendbetreuung anbieten. Er muss eine Schule anbieten, die sich noch verstärkter und effizienter an den individuellen Bedürfnissen der Schüler und Studenten orientiert. Er muss für jedermann erschwinglichen Wohnraum zur Verfügung stellen. Und er muss, gegebenenfalls, über die Finanzierung von Beschäftigungsmaßnahmen, auch den weniger produktiven Mitmenschen das Recht auf Ausübung einer Arbeit anbieten. Diese Sozialpolitik ist also mehr als Verteilungspolitik, sondern eine echte Chancengerechtigkeitspolitik. Sie ist nicht passiv, sondern aktiv. Sie versucht nicht nur, im Nachhinein, materielle Unterschiede auszugleichen, sondern von Vorneherein, die Weichen so zu stellen, dass weniger materielle Unterschiede geschehen. 

Das alles kostet Geld. Nun steht es nicht an, die „passive“ Sozialpolitik zu vernachlässigen, anderenfalls der Graben zwischen Reich und Arm noch größer wird. Aber, wenn die „aktive“ Sozialpolitik finanziert werden soll, muss die frühere im Sinne einer besseren Selektivität und Effizienz überdacht werden. 

Das sind die Herausforderungen der Gesellschaftspolitik der Zukunft. Im Vorfeld der Rede von Staatsminister Jean Claude Juncker zur sozialen und wirtschaftlichen Lage des Landes, wollen wir, die CSV und ihre Mandatäre, diese Aspekte mit unseren Mitbürgern ausdiskutieren. 

Zesumme plangen. Am Sënn vum Land. 

François Biltgen
Parteipräsident