Ein neues Grundsatzprogramm, eine intensive Auseinandersetzung mit dem politischen Tagesgeschehen und die politische Fortbildung der Mitglieder: Serge Wilmes, der vor einer Woche zum neuen Präsidenten der Chrëschtlech Sozial Jugend gewählt wurde, hat sich viel vorgenommen. Im LW-Interview spricht der 25-jährige Historiker über die Rolle politischer Jugendorganisationen, das Verhältnis zur CSV und das Erbe von Mai ’68.
Herr Wilmes, es gibt den Spruch „Wer mit 20 nicht Sozialist ist, hat kein Herz“. Können Sie als CSJ-Politiker damit etwas anfangen?
Eher weniger. Jedenfalls haben die Sozialisten nicht das Monopol des Herzens. Gerade eine Partei wie die CSV, die das Christliche und das Soziale im Namen trägt, kann für sich behaupten, das Herz am rechten Fleck zu tragen. Das trifft aber genauso auf alle anderen Parteien zu. Ein Alleinvertretungsanspruch steht keiner Bewegung zu.
Ein Spruch wie der eben erwähnte hätte gut in die Zeit von Mai ’68 gepasst. Was verbinden Sie mit der Zeit von vor 40 Jahren?
Mai ’68 war der Aufstand der Jugend gegen den gesellschaftlichen Stillstand. Doch weil dieser Kampf mit radikalen Mitteln geführt wurde, weil die demokratische Grundordnung mit Pflastersteinen unter Beschuss geriet, lehnen wir diese Revolte ab. Ganz anders der Prager Frühling. Dort waren die Barrikaden gegen die kommunistische Diktatur durchaus berechtigt. Man mag unsere Haltung als angepasst kritisieren. Doch Radikalismus und Gewalt in der Politik kommen für die CSJ nicht in Frage. Wir sollten vernünftig bleiben.
Deswegen auch die CSJ-Kampagne gegen Extremismus? Aktuell ist dieses Thema ja nicht gerade.
Die Kampagne sollte als Warnung an die Jugendlichen verstanden werden, sich nicht von Extremisten und Populisten um den Finger wickeln zu lassen. Zum Beispiel Che Guevara, dessen Bild nach wie vor auf vielen T-Shirts prangt. Und dabei war dieser Mann nicht der Held, als der er von den Linken immer dargestellt wird. Er mag zwar gegen eine Diktatur gekämpft haben. Doch gleichzeitig hat er einer anderen Diktatur den Weg bereitet. Solche Extremisten, die ihre Ideologie über Menschenleben stellen, können keine Vorbilder für junge Leute in demokratischen Gesellschaften sein. Dann schon lieber Mutter Teresa, die sich uneigennützig für das Wohl ihrer Mitmenschen eingesetzt hat.
Um das Wohl der Mitmenschen wird es der CSJ wohl auch bei der Definition des neuen Grundsatzprogramms gehen, das Sie in Aussicht gestellt haben. Ist das aktuelle nicht mehr zeitgemäß?
In der Tat stellt unser aktuelles Grundsatzprogramm eine Momentaufnahme der 90er-Jahre dar. Weltweite Herausforderungen wie Klimawandel, Globalisierung oder den 11. September 2001 konnte damals niemand voraussehen. Ebenso wenig wie vor 15 Jahren das Ausmaß von manch nationalem Phänomen wie die Entwicklung der Immigration oder die Zunahme der grenzüberschreitenden Pendlerströme abzusehen waren. Darauf müssen wir heute eine Antwort finden.
Wobei sich eine Jugendorganisa- tion wie die CSJ mehr Gedanken über das Zusammenleben mit den Ausländern zu machen scheint als die etablierten Parteien. Vielleicht weil die Jugend verinnerlicht hat, dass die Luxemburger demnächst in der demografischen Minderheit sind?
In der Tat gehört für die jungen Luxemburger der Umgang mit Menschen unterschiedlicher Herkunft zum Alltag. Und natürlich machen wir uns Gedanken, wo unsere Gesellschaft in Zukunft hinsteuern soll. Ein gemeinsames Projekt muss her, und dabei spielt die Sprache eine wichtige Rolle. Luxemburgisch muss in Zukunft das zentrale Kommunikationsmittel bleiben.
Immigration, Integration, Erziehung: Welche anderen Akzente soll das CSJ-Programm setzen?
Wir wollen Denkanstöße und Visionen liefern. Es mag sein, dass die CSJ in der Vergangenheit sehr zurückhaltend zur politischen Aktualität Stellung bezogen hat. Das soll sich aber in Zukunft ändern. Und darin unterscheidet sich die CSJ vielleicht am meisten von den übrigen politischen Jugendorganisationen, die zwar schnell im Reagieren und Kritisieren sind, sich mit konkreten Gegenvorschlägen aber schwertun.
Und Sie glauben, dass die CSJ bei der Mutterpartei Gehör finden wird?
Meiner Meinung nach besteht unsere Aufgabe jedenfalls darin, der programmatischen und personellen Erneuerung der Partei den Weg zu bereiten und sie an ihre Grundwerte zu erinnern, wenn sie diese aus den Augen verlieren sollte. Ob sich die CSV unsere Vorschläge dann auch zu Herzen nimmt, steht auf einem anderen Blatt.
Apropos personelle Erneuerung: Welche Ziele verbinden Sie persönlich mit Ihrem politischen Engagement?
Auch wenn ich jetzt als Karrierist verschrien werden sollte: Natürlich wäre es eine große Ehre, sollte meine Partei mir einen Listenplatz bei den kommenden Landeswahlen anbieten. Wobei unser Augenmerk aber über das Jahr 2009 hinausreichen sollte. Ich will, dass die CSV für die Zukunft gut gewappnet ist.
Luxemburger Wort, Joelle Merges, 21. April 2008