Das neue Gesicht des Hungers trifft wieder die Ärmsten der Welt

In vielen Regionen der Welt führen die gewalttätigen Auseinandersetzungen wegen der Preissteigerungen der Grundnahrungsmittel uns vor Augen, dass die bisher mühsam erzielten wirtschaftlichen Fortschritte im Rahmen der Milleniumsziele zunichte gemacht werden. Begonnen haben die Unruhen im letzen Jahr in Mexiko, als die Menschen mit ansehen mussten, wie die US-Amerikaner ihre Maisernte zum Teil aufkauften, um diesen, in Ethanol umgewandelt, in der US- Autoflotte zu „verbrennen“, dies nach dem, für mich ethisch nicht vertretbaren, Motto: „Leere Mägen aber volle Tanks“. Ebenfalls in Vietnam, in Ägypten, in Haiti, in Burkina Faso und Senegal hat es Proteste gegeben; die Menschen in den Entwicklungsländern halten nicht mehr still, der Hunger treibt sie zum Aufruhr. Eine freie Tribüne von Marcel Oberweis, CSV Abgeordneter

Die grassierende Armut in den Entwicklungsländern zwingt die Menschen zu Massenbewegungen, sie wandern aus den ländlichen in die städtischen Gebiete, um anschließend den Weg in die reichen Länder anzutreten. Derzeit leben über 100 Millionen Menschen als Flüchtlinge außerhalb ihrer angestammten Heimat und diese Zahl wird ansteigen. Die UNO gibt zu bedenken, dass bereits Hunderte von Millionen Menschen in den Entwicklungsländern, südlich der Sahelzone in Afrika gelegen, vom Hunger bedroht sind, weil sie sich die elementaren Nahrungsmittel zum Überleben nicht mehr leisten können. Und dies angesichts der bereits vorhandenen problematischen Wasserversorgung. Die anhaltende Bodenerosion führt unmittelbar zur Verschlechterung der Bodenfruchtbarkeit und die Ernährung der wachsenden Weltbevölkerung ist mehr denn je in Frage gestellt. Die Bodendegradierung und die Armut haben zur Folge, dass bereits 800 Millionen Menschen Probleme haben, jeden Tag eine Mahlzeit zu erhalten. Die Weltbevölkerung wird bis 2050 auf etwa 10 Milliarden ansteigen, dies führt unweigerlich zu einer erheblichen Nachfrage an Lebensmitteln, an Wasser und an Energie. 

Die Gründe für die gestiegenen Preise sind vielfältig: Vor allem in China und Indien wächst die Nachfrage nach Lebensmitteln und Fleisch, dessen Produktion im Verhältnis zu Gemüse oder Getreide mehr Fläche verbraucht. In Afrika selbst haben Landflucht und Bevölkerungszunahme das Verhältnis von Produktion zu Verbrauch verschlechtert. Im Sahelgürtel kommt die Ausbreitung der Wüsten hinzu, überall in Afrika verschlechtert zudem der Klimawandel die Bedingungen für Kleinbauern. Dürren und Überschwemmungen sind weitere negative Einflüsse auf die Produktion von Nahrungsmitteln und dazu gesellen sich die Korruption und die Spekulation. 

Der hohe Erdölpreis hat die Kosten für Transport und Düngemittel auch rasant ansteigen lassen. Der Drang der Industrieländer, ihre Abhängigkeit von den fossilen Energieträgern zu verringern, hat zur Folge, dass die Agrikraftstoffe in den Mittelpunkt des Geschehens rücken und dies verlockt die Bauern ihre Nahrungsmittel in die Produktion dieser Kraftstoffe zu leiten. In den traditionellen Weizenexportnationen u.a. USA und Kanada spielt die gestiegene Nachfrage nach Agrikraftstoffen eine eminent wichtige Rolle in der aktuellen Nahrungsmittelkrise, so wird die Ethanolherstellung in den USA in diesem Jahr etwa ein Drittel der Maisernte verbrauchen.

Milleniumsziele in weite Ferne gerückt 

Das hehre Ziel der Staatengemeinschaft, das Millenniums-Entwicklungsziel, die Zahl der Hungernden bis 2015 zu halbieren, kann nicht eingehalten werden. Im Gegenteil, weitere Millionen von Menschen sind bedroht, die bisher nicht bedroht waren. Es sind die Menschen, die mit einem  Dollar oder weniger am Tag auskommen müssen, d.h. die Ärmsten der Armen. 

Um die prekäre Weltenernährungsproblematik zu lindern, muss der politische Wille zur Umkehr vorhanden sein. Es muss uns daran gelegen sein, dass die Entwicklungsländer die Ernährung ihrer Menschen durch die eigenen Ressourcen durchführen können Wir werden die Landwirte in den Entwicklungsländern unterstützen, ihre Erzeugnisse marktgerecht abzusetzen; die Industrieländer dürfen ihre mit hohen Subventionen hergestellten Nahrungsmittel nicht mehr in diese Länder exportieren. 

Eine weitere Möglichkeit die Armut u.a. in den Ländern südlich der Sahelzone zu begrenzen, besteht in der Möglichkeit, die anwachsende Wüste und die verheerende Bodenerosion durch die Pflanze Jatropha zu bremsen. Sie erlaubt die Rekultivierung von erodierten Flächen, um diese wieder landwirtschaftlich als Einkommensquelle zu benutzen. Es handelt sich hierbei um ein nichtessbares und dürretolerantes Gewächs, Jatropha kann als 4 m hoher Busch das Voranschreiten der Wüste verhindern und durch die Schattenbildung die Verdunstung der geringen Wassermengen stark verringern. Sie bildet außerdem keine Konkurrenz mit Flächen, auf denen die Menschen ihre Nahrungsmittel anpflanzen müssen. Auf einer Anbaufläche von einem Hektar lassen sich etwa 2.500 kg Früchte erwirtschaften und daraus etwa 750 Liter Agrikraftstoff gewinnen. Dies bedeutet für den ländlichen Raum die Bereitstellung einer lokal verfügbaren Energieform. Anstatt ihre bescheidenen finanziellen Mittel für den Erwerb von Dieselkraftstoff auf Basis der fossilen Energien zu verwenden, können die Landwirte „ihren grünen Kraftstoff“ zum Antrieb der Arbeitsmaschinen einsetzen, hier gilt es die Ökonomie und die Ökologie bestens zu verbinden. Eine wichtige Folge: Die Frauen und Mädchen werden nicht mehr genötigt sein, auf mühsame Weise Reisig und Holz zu sammeln. Des Weiteren werden wir den Menschen die Technologien der Sonnennutzung auf breiter Ebene zur Verfügung stellen müssen.

Die Europäische Union muss umdenken und Vorreiter werden

Am 23. Januar 2008 hat die EU-Kommission in Brüssel ihre Pläne über die Nutzung der Agrikraftstoffe vorgestellt. Das ausgemachte Ziel ist die Beimischung von Agrikraftstoffen zu Benzin und Diesel auf 10 Prozent bis 2010 zu erhöhen. Der dadurch benötigte Ethanol- und Biodiesel kann nur zu einem geringen Teil in Europa selbst hergestellt werden, sodass auf hohe Importe aus Entwicklungsländern zurückgegriffen werden muss. 

Es ist gewusst, dass die Nutzung von Pflanzen hin zur Herstellung von Agrikraftstoffen der ersten Generation die bestehenden Ökosysteme bedroht und keinesfalls als nachhaltiger Weg angegeben werden kann. Die Abholzaktionen zur Herstellung von Palmölplantagen in Südostasien resp. von Zuckerrohrplantagen im Amazonasbecken weisen darauf hin, dass die aktuelle Entwicklung aus dem Ruder läuft. Nur durch den Einsatz von Agrikraftstoffen der zweiten Generation werden wesentlich bessere Resultate erbracht. 

Folgende Zahlen sprechen eine eindeutige Sprache: Europa wird etwa 15 Millionen ha für den Anbau von Biomasse zur Energiegewinnung im Jahr 2010 zur Verfügung stellen und bis 2020 maximal 22 Millionen ha. Für den gewünschten Ersatz von 10 Prozent Beimischung durch Agrikraftstoffe der ersten Generation wäre aber eine Anbaufläche von etwa 30 Millionen ha erforderlich, eine erschreckende Diskrepanz. Und wo sollen dann die Nahrungsmittel für die Bürger der Europäischen Union angepflanzt werden? Und Agrikraftstoffe aus fernen Ländern nach Europa bringen, widerspricht jeder ökologischen Wahrheit. Die bittere Wahrheit lautet, es wird zur Konkurrenz zwischen der Landnutzung für die Agrikraftstoffe und die Erzeugung von Nahrungsmitteln kommen. 

Wäre es deshalb jetzt nicht angebracht, dass die Europäische Kommission sich dafür ausspricht, die 10-prozentige Beimischung kritisch zu hinterfragen und möglicherweise auf die Beimischung zu verzichten, mindestens so lange bis die Forschung die Agrikraftstoffe der zweiten Generation zur Verfügung stellt und dies gemäß der nachhaltigen Entwicklung. 

Die Europäische Union soll Vorreiter und Vorbild werden, unsere Regierung soll sich in den Umdenkprozess einklinken, denn noch ist es Zeit, den festgefahrenen Karren der Ernährungskrise auf festen Grund zu ziehen. Die Menschen in den Entwicklungsländern werden es und danken und dies nach dem Motto: „Volle Mägen gegen leere Tanks“.

Dr.-Ing. Marcel Oberweis CSV Abgeordneter
Präsident der parlamentarischen Kommission Landwirtschaft