Der Nationalrat der CSV führt offene Diskussion. Die CSV steht von Seiten der politischen Konkurrenz unter Verdacht, gesellschaftspolitische Themen tabuisieren oder totschweigen zu wollen. Parteipräsident François Biltgen hält dagegen, dass die Christlich-Sozialen offen diskutieren, getreu seinem Motto “konservativ in den Prinzipien, fortschrittlich in den Positionen”. Am Wochenende widmete sich der CSV-Nationalrat Fragen der Familienpolitik.
Als François Biltgen vor fünf Jahren den Vorsitz der Christlich-Sozialen übernahm, definierte er seine Partei als "Denkfabrik". Offene Diskussionen im Nationalrat (nach dem Kongress das zweithöchste Beschlussorgan der Partei) seien Ausdruck seines Verständnisses der Volkspartei als Denkfabrik.
"Wer einer Partei beitritt, tut dies aus Überzeugung, weil er sich mit der Politik einer Partei identifizieren kann. Trotzdem sollen wir uns nicht scheuen, unsere Überzeugungen auch einmal in Frage zu stellen. Manchmal ist diese Übung sehr hilfreich, um die Begründung eines Standpunkts wieder ins Bewusstsein zu rufen", so François Biltgen am Samstag. Diese Bereitschaft, die eigene Politik in Frage zu stellen, unterscheide die CSV von ihrer Konkurrenz, die allzu oft und vor allem in gesellschaftpolitischen Fragen ideologisch-gefärbte Ansichten vertreten würde. "Es gibt aber in diesen Fragen nicht bloß Schwarz und Weiß. Wir müssen auch die Nuancen wahrnehmen", mahnte Biltgen weiter.
Als Vorbereitung zur Tagung des Nationalrats am Samstag Morgen hatte die CSV bereits am Freitag Abend zu einer öffentlichen Konferenz eingeladen. Die Wissenschaftler Antonio Autiero der katholisch-theologischen Fakultät der Universität Münster, Walter Lesch von der Fakultät für Theologie und Philosophie der Universität Louvain-la-Neuve sowie Jean-Michel Longneaux, Philosoph und Ethikberater für Mediziner, diskutierten über Familienbilder, Adoption, die medizinischen Möglichkeiten bei der Kindererzeugung und deren Unwägbarkeiten. Für François Biltgen diente die offene Debatte nicht zuletzt zur Klärung des CSV-Standpunkts in aktuellen Fragen. Das Adoptionsrecht soll noch in dieser Legislatur reformiert werden.
Das Gesetz kann nicht alles regeln "Eins steht für mich fest: Das Gesetz kann nicht alles regeln. Vor allem kann es nicht alle Einzelfälle vorhersehen. Wir müssen bereit sein, nach Recht und Billigkeit zu entscheiden. Gerechtigkeit walten zu lassen", so Biltgen. Die Gesellschaft müsse sich von der Idee verabschieden, in Schablonen denken zu können. "Wir kommen nur weiter, wenn wir uns an Werten orientieren." In der eigenen Partei sieht der Vorsitzende, dass sich eine Konsensmeinung bildet, die nicht das Recht auf ein Kind in den Vordergrund stellt, sondern die Rechte und Bedürfnisse des Kindes für ausschlaggebend ansieht. Ein Kind habe Anspruch auf eine dauerhafte und komplementäre Erziehung. Wie Jean-Michel Longneaux ausführte, besteht die Aufgabe der Familie darin, sich auf eine Trennung von den Kindern vorzubereiten. Die Kinder müssen gewappnet werden, ihr eigenes Leben zu führen. "Leben spenden und Lebenssinn spenden sind zweierlei", resümierte François Biltgen.
Die Diskussionsrunde wurde von der Abgeordneten Martine Stein-Mergen moderiert. Familienministerin Marie-Josée Jacobs, Generalsekretär Marco Schank und CSV-Vizepräsidentin Marie-Josée Frank nahmen am Nationalrat teil. Ziel der Tagung war es nicht, eine Standortbestimmung der Christlich-Sozialen vorzunehmen, sondern eine globale Vorstellung der familienpolitischen Herausforderungen zu vermitteln.
Quelle: Wort, 28. Januar 2008, Laurent Zeimet