Die Armut des ADR

Seitdem der ADR-Generalsekretär Roy Reding sich und seine Partei mit der Aussage ins Gespräch brachte, man müsse das “RMG radikal kürzen”, (1) gab es viel Getue in der ADR, um die Wogen wieder zu glätten.’ Freie Tribüne von Jean-Paul Schaaf, CSV-Abgeordneter im tageblatt

Dabei ging es dem Zurückgepfiffenen laut eigenem Wortlaut darum, "einen Stein ins Rollen zu bringen" und zu verhindern, dass sich der RMG-Bezug zum "Lifestyle" entwickelt.

Traurig an dieser Angelegenheit ist weniger, dass der Generalsekretär weder Gesetz noch Kontrollmechanismen der seit 21 Jahren bestehenden und regelmäßig angepassten RMG-Gesetzgebung kennt. Traurig ist, dass hier so getan wird, als wenn alle Personen, welche einen RMG-Zuschuss beziehen, ein gemütliches Leben auf Staatskosten führen würden. Deshalb seien zur Objektivierung einige Dinge klargestellt: 

Im Augenblick wird in Luxemburg an 7.510 Haushalte eine Leistung im Rahmen des RMG ausbezahlt. Das Spektrum reicht von geringen Zuschüssen bis hin zu ganzen Mindesteinkommen, je nach Haushaltszusammensetzung und je nachdem, über welche eigenen Ressourcen die jeweiligen Haushalte verfügen. Die Bedingungen zum Erhalt dieser Sozialleistung sind streng und werden vom nationalen Solidaritätsfonds pedantisch geprüft. 

In diesen Haushalten wohnen 14.252 Personen. Nur rund 1.200 Personen sind im arbeitsfähigen Alter und gesundheitlich als arbeitsfähig eingestuft. Von diesen sind 950 (6,7%) auch beim Arbeitsamt gemeldet, da sie den Bedingungen des freien Arbeitsmarktes gerecht werden können. 

Alle anderen (30% Kinder, 15% Invaliden, 10% Rentner, 9% in regulärer Arbeit, 14% ohne Recht auf Eigenleistung, aber Mitbewohner in einem RMG-Haushalt, usw.) sind nach eingehender Prüfung von den Sozialarbeitern des SNAS (2), ärztlichen Kontrollstellen und Arbeitsamt als nicht zur Verfügung stehend für den Arbeitsmarkt eingestuft. Die heile Welt, in der alle RMG-Bezieher arbeiten könnten, gibt es so nicht. Wie in jeder Gesellschaft leben auch in Luxemburg Menschen, welche sich zeitweilig oder definitiv nicht durch eine eigene geregelte Arbeit über Wasser halten können. 

Das garantierte Mindesteinkommen hilft diesen Menschen nicht über die Armut hinweg. Es ermöglicht aber, ein menschenwürdiges Dasein zu führen und die soziale Ausgrenzung zu verhindern. 

Roy Reding möchte, dass ein Unterschied zwischen jenen gemacht wird, die arbeiten, und jenen, die nicht arbeiten (wollen). Letztere dürften keinen Zuschuss erhalten. Gut, dass die Regierung nicht auf Roy Reding gewartet hat, und genau dieses Prinzip 1986 eingeführt hat. 

Der als vermittelbar eingestufte RMG-Bezieher muss sich beim Arbeitsamt eintragen und jede Arbeit annehmen. Seit Bestehen des Mindesteinkommens müssen alle RMG-Bezieher, sofern sie dazu in der Lage sind, an sozialen Eingliederungsmaßnahmen (Bildungsseminare, Beschäftigungsmaßnahmen, Wiedereingliederungsverträge in Betrieben, usw.) teilnehmen. Ein Verstoß gegen diese Bedingungen führt zum Entzug des garantierten Mindesteinkommens. Im diesem Monat gehen 1.189 Personen einer Arbeits- und Integrationsmaßnahme nach. Auch sie leisten einen Beitrag zum gesamtgesellschaftlichen Fortschritt. 

Ich habe über zehn Jahre mit RMG-Beziehern gearbeitet, Wiedereingliederungspläne ausgearbeitet und begleitet. Ich kenne die schwierige Praxis. 

Die Personen, welche an den gesetzlichen Wiedereingliederungsmaßnahmen teilnehmen, erhalten übrigens keinen RMG-Betrag mehr für ihre Arbeitsleistung (bei öffentlichen oder privaten Trägern), sondern einen Mindestlohn, welcher gleichermaßen gepfändet werden kann wie jeglicher Lohn hierzulande. Der Vorwurf, RMG wäre ein "Lifestyle" für jene, welche nicht arbeiten wollten und sich einer Pfändung entziehen wollten, ist so nicht haltbar. Es entspricht polemischen Denkens ohne den geringsten Wahrheitsbezug. Wer die Armut bekämpfen will, sollte nicht die Armen bekämpfen. 

Auch wenn sich Herr Giberyen von den Aussagen seines Generalsekretärs distanziert, muss man sich fragen, wie sich Menschen am Rande unserer Gesellschaft fühlen, wenn sie öffentlich und ohne Grund in solcher Weise gebrandmarkt werden. 

Einzig in einem Punkt gibt es einen möglichen Diskussionsbedarf. Die gesetzlichen Pfändungsbestimmungen und die daran gekoppelten Tranchen mit den jeweiligen Pfändungssätzen müssten, wie es Marc Fischbach verlangt, überdacht werden. Hier könnte eine Abstimmung mit den Mindesteinkommensgrenzen des RMG sich durchaus rechtfertigen. Oder es könnte zu einer teilweisen, wenngleich auch sehr geringen Pfändung des RMG kommen, um auch hier die Verantwortlichkeit gegenüber seinen Gläubigern zu untermauern. 

Armut in unserer Gesellschaft bleibt ein Sorgenkind. Die Kluft zwischen Arm und Reich vergrö-ßert sich, woraus sich eine Erhöhung der statistischen Armutsgrenze und somit der Zahl der potenziell von Armut betroffenen Menschen ergibt. Die Anzahl der Personen, welche unter die Armutsgrenze fallen, ist auf 14% (!) gestiegen. Der sogenannte "Kinderbonus" ab nächstem Jahr ist eine zielorientierte Maßnahme für alle Eltern und ein wichtiger Schritt zu mehr Verteilungsgerechtigkeit. 

So sieht die Sozialpolitik der Regierung aus. 

Es reicht eben nicht, auf einer Internetseite zu schreiben: "Mir mussen eng Aequidistanz fannen teschent dem Erhengeren an dem Schmarotzen". So sehen keine Lösungen aus. So sieht die Armut der ADR aus. 

Jean-Paul Schaaf, CSV Abgeordneter, tageblatt, 23. November 2007

(1) Wort, 31 Oktober 2007
(2) Service national d’action sociale des Familienministeriums