Erna Hennicot-Schoepges: kein Etikettenschwindel

LW-Gespräch mit der Europaabgeordneten und früheren CSV-Präsidentin: Erna Hennicot-Schoepges

d’Wort: Vor fünf Jahren wurde das Grundsatzprogramm verabschiedet. Was bleibt von „Jidder Eenzelnen zielt“?

Erna Hennicot-Schoepges:
Die CSV hat ja nicht so viele Grundsatzprogramme erarbeitet. Das vorige datierte von 1974. Ein Grundsatzprogramm ist keine Bibel und soll sich auch nicht dem Zeitgeist anpassen. In großen Zügen stimmt die praktische Politik der CSV mit den Grundsätzen von 2002 überein.

d’Wort: Könnte das Grundsatzprogramm nicht behilflich sein, um gewisse parteiinterne Turbulenzen zu glätten?

Erna Hennicot-Schoepges: Es ist immer schwer, von außen solche „Turbulenzen“ wie Sie sagen zu beurteilen. Am Ende wurde die Linie in Sachen Sterbebegleitung ja vom Premier festgelegt und die stimmt mit dem Grundsatzprogramm überein. Dabei ist jeder einzelne Abgeordnete immer noch frei, nach seinem Gewissen zu entscheiden. Das Grundsatzprogramm gibt dabei sicherlich Orientierung.

d’Wort: Einige meinen, die CSV sei keine katholische, sondern eine christlich-soziale Partei…

Erna Hennicot-Schoepges: Das sind Nuancen. Ein subtiler Unterschied, der eher Theologen als eine Partei beschäftigen sollte. Man sollte keinen Etikettenschwindel betreiben. Ich habe eher den Eindruck, dass die CSV über diese Frage ins Abseits gedrängt werden soll. So wie 1974.

d’Wort: Tut sich die CSV denn nicht schwer mit gesellschaftspolitischen Fragen?

Erna Hennicot-Schoepges: Mit „Jidder Eenzelnen zielt“ haben wir bewiesen, dass unsere Partei offen ist für die Fragen der Zeit. Ich erinnere zum Beispiel an das Arbeitspapier zur Union libre, das damals unter der Regie von François Biltgen erstellt wurde. Es gibt aber sicherlich noch Sachprobleme, die eine Antwort erfordern.

d’Wort: Wird denn noch genügend über grundsätzliche Fragen diskutiert?

Erna Hennicot-Schoepges: Ich kann nur für meine Arbeitsgruppe zu Europa sprechen. Da stellen wir uns schon grundsätzliche Fragen. Über die Identität, den Pluralismus der Kulturen. Eigentlich ist jede politische Diskussion, auch eine grundsätzliche Debatte. Mit Ausnahme vielleicht von rein technischen Fragen.

d’Wort: Als Sie die CSV-Präsidentschaft niederlegten, meinten Sie, gemeinsam mit der LSAP habe die CSV den Religionsunterricht an den Schulen gerettet. Nun deuten Stimmen aus der CSV an, der katholische Unterricht könne in einem einheitlichen Werteunterricht aufgehen. Wie deuten Sie diese Diskussion?

Erna Hennicot-Schoepges: Es muss jedem doch freigestellt sein, sagen zu können, dass nicht alles im katholischen Unterricht so ist, wie es in einer idealen Welt sein müsste. Ich halte es aber nicht für opportun, den Religionsunterricht an den Schulen in Frage zu stellen. Im Gegenteil, wir sollten uns überlegen, ob nicht andere Religionen auch ihren Platz in der Schule haben könnten. Die Politik sollte nicht unterschätzen, dass die religiöse Dimension vielen Menschen sehr wichtig ist. Dieses Thema eignet sich nicht für politische Schaukämpfe. Im Europäischen Parlament haben sich Sozialisten, Liberale und Grüne klar dagegen ausgesprochen, die Religion als reine Privatangelegenheit anzusehen.

d’Wort: Sie haben über muslimischen Unterricht an den Schulen nachgedacht und wurden dafür gleich kritisiert…

Erna Hennicot-Schoepges: Meine Überlegungen wurden missverstanden. Wir zählen in Luxemburg mehrere muslimische Gemeinschaften mit vielen Nuancen. Mir scheint es wichtig, dass wir wissen, was in diesen Gemeinschaften unterrichtet wird. Ich habe auf das Modell in Niedersachsen verwiesen. Dort haben sich – immerhin in einem CDU-regierten Bundesland – alle muslimischen Gemeinschaften zu einem einheitlichen Unterricht verpflichtet, der auf Deutsch gehalten wird. Die Lehrer werden an deutschen Universitäten ausgebildet. Die Kehrseite der Medaille einer Konvention des Staates mit den Muslimen ist ja gerade, dass die Gemeinschaft sich an Regeln und Bedingungen halten muss, die mit den Grundsätzen unserer Verfassung übereinstimmen.

d’Wort: Passt die CSV als „fortschrittliche Partei der Mitte“ – wie sie sich im Grundsatzprogramm definiert – denn noch in die Europäische Volkspartei, die eigentlich eher konservativ ausgerichtet ist?

Erna Hennicot-Schoepges: Was wäre denn die Alternative? Ich bedauere, dass verpasst wurde, eine große europäische christdemokratische Partei nach der Wende 1989 aufzubauen. Die Konservativen denken übrigens daran, im Europaparlament eine eigene Fraktion zu bilden.

INTERVIEW: LAURENT ZEIMET

Quelle: d’Wort, 17. November 2007