Eine glaubwürdige Politik

Unter dem Thema „Politik. Am Sënn vum Land.“ findet heute in Moutfort der Parteitag der CSV statt. Im Vorfeld dieses mit einer gewissen Spannung erwarteten Nationalkongresses blickt Parteipräsident François Biltgen im „Wort“-Interview auf die internen Turbulenzen der vergangenen Wochen zurück und stellt klar, dass seine Partei dem Anspruch gerecht werden will, das Land zu führen.

d’Wort: Mit dem Slogan „De séchere Wee“ hat die CSV 2004 die Landes- und Europawahlen auf eindrucksvolle Weise gewonnen. Wie kommt es, dass die CSV in jüngster Zeit bisweilen den Eindruck erweckte, als sei sie selbst von diesem sicheren Weg abgekommen?

François Biltgen: Das sehe ich nicht so. Erst einmal sollten wir uns darauf verständigen, was „De séchere Wee“ bedeutet. Es geht darum, die für das Land und die kommenden Generationen notwendigen Strukturreformen einzuleiten und durchzuführen, ohne dabei den sozialen Zusammenhalt aufs Spiel zu setzen. Ich denke da ganz besonders an den Arbeitsmarkt, das Bildungswesen, die Familienpolitik, den Wohnungsbau, die Lebens- qualität.

d’Wort: Und die Gesellschaftspolitik? Auf diesem Gebiet hat die Partei eine eher unglückliche Figur in ihrer Außendarstellung abgegeben.

François Biltgen: Wir sind eine echte Volkspartei mit vielen verschiedenen Meinungen, die gebündelt werden müssen. Das gilt selbstverständlich auch für die Gesellschaftspolitik …

d’Wort: … wo die CSV von den anderen Parteien in die Defensive gedrängt wurde.


François Biltgen:
Dafür gibt es aber eine simple Erklärung: Die anderen Parteien wollen dem Wähler eine Koalition aufdrängen, ohne Rücksicht auf das Wahlresultat zu nehmen. Und als gemeinsamen Kitt nehmen sie die Gesellschaftspolitik. Die Gesellschaftspolitik ist gewiss ein wichtiges Thema. Aber sie eignet sich nicht als parteipolitische Spielwiese. Das wäre gefährlich. Man darf die Gesellschaftspolitik nicht ideologisieren. Im Übrigen wehre ich mich dagegen, dass die anderen Parteien der CSV vorschreiben wollen, wie sie das „C“ zu interpretieren hat. Ich rate jedem zur Lektüre unseres Grundsatzprogramms. Wir sind eine christliche Partei. Wir sind aber weder eine dogmatische noch eine religiöse Partei. Wir stehen Nichtchristen und Nichtgläubigen offen, wenn sie unsere Vision des christlichen Menschenbilds und des christlichen Humanismus teilen. Wir sind konservativ in unseren Prinzipien, aber nicht in unseren Positionen.

d’Wort: Wie aber erklären Sie sich, dass die CSV durch Äußerungen einzelner Abgeordneten derart in die Bredouille geraten ist?

François Biltgen:Da hat es in der Tat ein paar unbedachte Nebensätze gegeben, die, aus ihrem Kontext gerissen, in den Medien für einigen Wirbel gesorgt haben.

d’Wort: Zum Beispiel beim Thema Sterbehilfe.

François Biltgen:
Wobei mich bei dieser Diskussion am meisten gestört hat, dass so getan wurde, als ob die CSV verschiedene Meinungen hätte. Unsere Haltung lässt sich in drei Punkten resümieren. Erstens sollte der Mensch, wissend dass er nicht allmächtig ist, sich nicht anmaßen, über das Leben zu verfügen. Zweitens müssen wir, gemäß unserem Menschenbild, die Rahmenbedingungen für ein menschenwürdiges Lebensende schaffen. Mit der Gesetzesvorlage zur Palliativbetreuung versuchen wir hier eine angemessene Antwort zu geben. Wir schaffen das Recht auf Palliativmedizin, das mehr ist als die Zurverfügungstellung von schmerzlindernden Medikamenten. Und wir schaffen das Recht, vor allem im Rahmen einer Patientenverfügung, eine künstliche Lebensverlängerung abzulehnen. Wie auch der Staatsrat festhält, brauchen wir somit nicht der Err/Huss-Euthanasie-Vorlage zu folgen, die unüberschaubare ethische Probleme schaffen kann. Unsere Position ist also klar und logisch. Drittens allerdings ist es eine Frage der christlichen Toleranz, dass in Fragen des Lebens und des Sterbens jeder einzig und allein seinem Gewissen verpflichtet ist. In solchen Fragen ist ein von oben verordneter Fraktionszwang fehl am Platz.

d’Wort: Kommen wir zum Kongress. Welche Botschaft wird der Parteipräsident seiner Basis vermitteln?

François Biltgen:
Die CSV muss als stärkste Partei den Anspruch erheben, das Land führen zu wollen. Das bedeutet aber auch, dass wir an uns selbst andere Ansprüche stellen müssen, als nur bis zum nächsten Wahltermin zu denken und zu handeln. Dazu gehört auch, je nach Sachlage, unpopuläre Schritte anzukündigen und auszuführen. Es geht darum, wie ich bereits sagte, heute die erforderlichen Strukturreformen für morgen durchzuführen. Wir definieren uns mit unserer Politik nicht gegenüber den anderen Parteien. Wir definieren uns gegenüber dem, was mittel- und langfristig gut für Land und Leute ist.

d’Wort: Und wie sieht es da mit der politischen Gewichtung aus? Wo müssen die Hebel prioritär angesetzt werden?

François Biltgen: Ich glaube schon, dass ein Hauptaugenmerk dem Schulwesen gelten muss. Wir müssen die richtigen Akzente im Bereich der Bildung setzen, damit die Schüler später eine Chance auf dem Arbeitsmarkt haben. Wir müssen uns aber auch mit Erziehungsfragen auseinandersetzen. Hier hat die gesellschaftliche Entwicklung zu einer Verlagerung von der Familie in die Schule geführt. Dem müssen wir Rechnung tragen. Die soziale Rolle der Schule dürfen wir nicht unterschätzen. Die Reform des Schulgesetzes von 1912 ist ein erster, wichtiger Ansatz. Es sind aber noch weitere Lösungen nötig.

d’Wort: Mehr denn je verkörpert François Biltgen die CSV. Der neue Generalsekretär Marco Schank hält sich, im Gegensatz zu seinem Vorgänger, vornehm zurück.

François Biltgen:
Das hat mit der Aufgabenteilung zu tun. Der Präsident ist gewissermaßen das Gesicht der Partei. Als solcher muss ich als glaubwürdiger Botschafter der CSV in der Öffentlichkeit auftreten. Der Generalsekretär wiederum ist in der Hauptsache mit dem Meinungsbildungsprozess innerhalb der Partei beschäftigt und bereitet die Wahlen vor. Da hat Marco Schank bis jetzt sehr gute Arbeit geleistet. So wie angekündigt, will er das Potenzial unserer rund 10 000 Mitglieder mobilisieren.

d’Wort: Womit er sich mit Ihrer Idee der Denkfabrik ergänzt. Wie steht es um dieses Vorhaben?

François Biltgen: Wir haben zwölf Arbeitsgruppen eingesetzt, die zu verschiedenen Themen den Meinungsbildungsprozess der Partei gestalten. Ich erinnere auch an das Parteienfinanzierungsgesetz, das zehn Prozent für Bildungszwecke vorsieht. Der Staatsrat hat diesen Passus zwar in seinem Gutachten gestrichen. Damit bin ich aber nicht einverstanden.

d’Wort: Jean-Claude Juncker wird als Anwärter auf den EU-Präsidentenposten gehandelt. Würde ein solcher Wechsel kurz vor den Wahlen die CSV nicht vor eine enorme Herausforderung stellen?

François Biltgen:
Jean-Claude Juncker hat gesagt, dass er seiner Partei 2009 zur Verfügung steht. Dem habe ich nichts hinzuzufügen. Sollte sich die Frage der EU-Präsidentschaft doch stellen, dann wird die CSV eine angemessene Antwort finden. Das war 1995 beim Wechsel Santer-Juncker auch der Fall. Oder 1984, als Jacques Santer als Spitzenkandidat in die Parlamentswahlen ging und Pierre Werner als Regierungschef beerbte. Im Übrigen stellt sich diese Frage zurzeit nicht. Erst einmal muss der Grundlagenvertrag in den 27 Ländern ratifiziert werden.

d’Wort: Bleiben wir bei der Europapolitik. Beim letzten Kongress in Roodt/Syr haben Sie für 2009 getrennte CSV-Listen für Luxemburg und Europa angekündigt …

François Biltgen:
… und dabei wird es auch bleiben. Es handelt sich um eine Frage der Glaubwürdigkeit. Selbst auf die Gefahr hin, dass wir 2009 den dritten Sitz verlieren, wird die CSV getrennte Listen für das Europaparlament und für die Abgeordnetenkammer aufstellen.

INTERVIEW: MARC SCHLAMMES UND LAURENT ZEIMET

Quelle: d’Wort, 17. November 2007