Technisches Wunderwerk – die fahrdrahtlose Straßenbahn

“Tram”: Gegebenenfalls die Möglichkeit der unterirdischen Stromeinspeisung prüfen. Freie Tribüne von Marcel Oberweis, CSV Abgeordneter

Bordeaux, die Welthauptstadt des Weins, wird durch das Ufer der träge dahin fließenden Garonne begrenzt und von zwei Hauptachsen geteilt. Die Stadt mit viel Flair liegt 45 km im Landesinnern und wird außerdem von den Flüssen Dordogne und Gironde umspült. Der historische Kern der Weinstadt, innerhalb der Stadtmauer gelegen, wurde in diesem Jahr in das Register des UNESCO-Weltkulturerbes ernannt. 
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Die von Norden nach Süden verlaufende eineinhalb km lange Fußgängerzone, die „rue Sainte-Catherine“, beginnt an der „Place du Grand Théâtre“ und führt zur „Place de la Victoire“. Das Zentralelement „Pont de Pierre der Ost-West-Achse wurde unter der Regentschaft von Napoleon Bonaparte erbaut. Der Turm des alten Rathauses mitsamt der „Grosse Cloche“ stellt einen weiteren faszinierenden Blickfang dar. Die Mondsichel im Wappen der Stadt möchte auf die Biegung der Garonne hinweisen, deshalb trägt Bordeaux auch den Namen „Port de la Lune“.
Insbesondere im historischen Zentrum bietet die Stadt überraschende Eindrücke, u.a. durch die pittoresken Plätze und die beeindruckende Harmonie der Häuserzeilen. Schmale Bürgerhäuser am Ufer werden durch Prunkbauten u.a. das „Palais de la Bourse“, der früheren Hafenbörse, unterbrochen. Vor diesem Palast hat man den „miroir d’eau“ am Ufer der Garonne erstellt, herrliche Spiegelbilder lassen sich bei schönem Wetter photographisch festhalten. Die Granitplatte weist die beachtlichen Dimensionen von 130 m Länge und 42 m Breite auf. Der Wasserspiegel mit einer Höhe von 2 cm erlaubt es, dem Besucher die Häuserfassaden aus dem XVIII. Jahrhundert „kopfüber » zu betrachten, sofern ihm die Sicht nicht durch den alle 15 Minuten auftretenden Nebel genommen wird. 

Weitere Höhepunkte der Stadtbesichtigung stellen die „Cathédrale Sainte-Anne“ dar, ein einschiffiger angevinisch romanischer Bau mit gotischen Erweiterungsbauten, mit ihren 127 m Länge ist sie eine der größten Kathedralbauten Frankreichs. Der freistehende Turm Pey-Berland im „style flamboyant“ wurde zwischen 1440 und 1450 hinzugefügt. Die gotisch-flamboyante „Basilique Saint-Michel“ verfügt auch über einen freistehenden Turm, der mit seinen 114 m den Pey-Berland noch überragt Die „Place des Quinconces“ stellt mit 126.000 m² den größten unbebauten Platz Europas dar, er wurde 1820 nach der Schleifung der Festungsanlagen an der Stelle des ehemaligen „Château de la Trompette“ angelegt. Geht man noch weiter in der Geschichte zurück, so lassen sich auch römische Spuren erkennen, immerhin hieß Bordeaux in jener Zeit „Burdigala“. 
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Bedingt durch die verschiedenen Bodenschichten haben sich hervorragende Weinsorten entwickelt u.a. Médoc, Graves, St.Emilion, Fronsac und Pomerol. Die Vermarktung des Rebensaftes erfolgt in den nahezu 4000 „Château“ genannten Weingütern, einige der hier produzierten Weinsorten haben es zu Weltruf gebracht und sind manchen Luxemburgern sehr bekannt.

Die fahrdrahtlose Straßenbahn, ein Erfindung mit Weltruhm 

Die Entwicklung der Straßenbahnen begann mit der Einführung der Pferdebahn, in New York wurde am 26. November 1832 die erste Bahn eröffnet, die Pferde wurden später durch die Dampfmaschine ersetzt. Doch nach dem Siegeszug der elektrischen Energie schwenkte man sehr schnell auf den elektrischen Antrieb aufgrund dessen Leistungsfähigkeit auf kleinster Fläche über. Die erste elektrische Straßenbahn der Welt nahm in Lichterfelde bei Berlin am 16. Mai 1881 den Probebetrieb auf. Federführend zum Gelingen war Werner von Siemens, die Straßenbahn wies bereits eine Maximalgeschwindigkeit von 20 km/h auf und die Stromaufnahme erfolgte über die Stromabnehmer von den Oberleitungen. Aus ästhetischen Gründen wurde anfangs des 20. Jahrhunderts auf die oberirdische Stromabnahme verzichtet und die elektrische Energie wurde aus den unterirdischen Stromschienen eingespeist, die Wiener Ringstrasse war während der Zeitspanne 1898 bis 1915 mit dieser Stromeinspeisung ausgestattet. 

Bedingt durch den aufkommenden Individualverkehr, die verminderte Lebensqualität und abgasgeschwängerte Atemluft hatte sich die Bordeaux auch für die Straßenbahn als Lösung für eine bessere Mobilität entschieden. Angesichts des historischen Kerns der Stadt sprach sich der Stadtrat für einen fahrdrahtlosen Antrieb für die erste Phase aus. Auf etwa 11 km der geplanten 24,5 km sollte technisches Neuland betreten werden. 

Das Unternehmen Innorail, Tochter der weltweit agierenden Gruppe Alsthom, wurde mit dem Projekt der unterirdischen Stromzuführung betraut. Das System beinhaltet eine dritte 8 m lange Stromschiene in der Mitte der beiden Gleise, die einzelnen Stromschienen sind durch 3 m lange Isolierelemente gegeneinander getrennt. Die Stromzuführung aus dem Untergrund erfolgt über Stromeinspeisepunkte, welche 22 m voneinander getrennt angeordnet sind. Damit die Stromschiene unter 750 V Gleichspannung gesetzt werden kann, muss sich die Straßenbahn in ihrer gesamten Länge über der spannungsführenden Schiene befinden, damit die Gefahr für die Passanten gleich Null ist. Durch Funksignal aus der Fahrerkabine wird die jeweilige 8 m lange Stromschiene unter Spannung gesetzt und die Zufuhr der elektrischen Energie aus der Stromschiene geschieht über zwei Rollbürsten. Sobald der Wagenkasten den Strom einspeisenden Bereich verlassen hat, wird die Stromschiene außer Spannung gesetzt. Um jedoch für eventuelle Stromausfälle gewappnet zu sein, verfügt die Straßenbahn auch noch über Akkumulatoren.
Nachdem die Bauarbeiten im Jahr 2003 abgeschlossen waren, sollte am 21. Dezember 2003 der Start zu diesem innovativen Unterfangen beginnen. Leider stand dieser Tag für den jungen Ingenieur Hubert Peugeot unter einem schlechten Stern, denn die Straßenbahn bewegte sich nicht. An alles war gedacht worden, man hatte jedoch Bierkästen hinsichtlich der Feier auf die unterirdischen Einspeisekasten gesetzt und da diese nicht optimal gegen die Feuchtigkeit isoliert waren, kam es Kurzschlüssen und der Start misslang. Ein Jahr lang dauerte die Behebung der Fehlerquellen und am 21. Dezember 2004 herrschte eitel Freude, als vermeldet wurde, dass die Verfügbarkeit den Wert von 99,6 Prozent erreicht hatte, fürwahr eine stolze Ingenieurleistung, im Mai 2005 schaffte man sogar 99,8 Prozent. 
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Bedingt durch die hohe Akzeptanz seitens der Bürger wird die Straßenbahn bis zum Jahr 2012 noch erweitert und soll das regionale Kongresszentrum sowie das Ausstellungsgelände „Parc des Expositions“ an das öffentliche Verkehrsnetz anbinden. Um die umliegenden Weingegenden näher an Bordeaux anzuschließen, wird eine neue Linie von 1,5 km die nordwestlichen Vororte mit dem Zentrum von Bordeaux verbinden. Um in das „Médoc“ zu gelangen, ohne jedoch die kostbaren Weinanbauflächen in Mitleidenschaft zu ziehen, wird auf das brachliegende Eisenbahnnetz zurückgegriffen. 

Aus der gesamten Welt kommen die Besucher nach Bordeaux, um dieses Wunderwerk der Technik zu bestaunen. Die 160.000 bis 180.000 Fahrgäste pro Tag zeigen den Zuspruch der Menschen im Großraum Bordeaux, die Straßenbahn, welche teilweise über einen grünen Fahrdamm verfügt, weit eine hohe Laufruhe und angenehmen Fahrkomfort aus, mit Freunden konnte ich mich selbst davon überzeugen. Als Vorteile gelten die hohe Sicherheit des Systems, der Wegfall der störenden Oberleitungen sowie der Befestigungen. 

Da sich auch Luxemburg seit einiger Zeit mit der Wiedereinführung der „Tram“ auf dem Gelände der Stadt Luxemburg beschäftigt, sollten die Verantwortlichen diese Form der unterirdischen Einspeisung in ihre Überlegungen miteinfließen lassen, die Akzeptanz seitens der Bürger könnte genau wie in Bordeaux gesteigert werden.

Dr.–Ing. Marcel Oberweis, Abgeordneter

Quellennachweis:
http://www.bfai.de
http://www.charite.de