Die Europaabgeordnete Astrid Lulling zur Liberalisierung der Postdienste in der EU
Seit 17 Jahren, als die schrittweise Liberalisierung der Postdienste aufgrund europäischer Richtlinien eingeleitet wurde, ist gewusst, dass eines Tages das Monopol der Post fallen würde. Ich war zwar grundsätzlich der Meinung (und vertrat diese auch seit dieser Zeit im Europäischen Parlament), dass das Monopol bei der Zustellung von Briefen bis zu 50 Gramm, verbunden mit der Verpflichtung des Universaldienstes, im Binnenmarkt durchaus aufrechtzuerhalten wäre. Eine Haltung, die im Übrigen auch von der Luxemburger Regierung bis zum Schluss der Verhandlungen eingenommen wurde.
Ich gehörte auch zu denen, die ständig versucht haben, die verschiedenen Etappen der Liberalisierung so lange wie möglich für unsere Post hinauszuschieben. Aber spätestens vor einigen Monaten musste jeder, der die Lage realistisch einschätzte, einsehen, dass es weder im Europäischen Parlament, noch im Ministerrat eine Mehrheit gab, um die letzte Etappe der Postliberalisierung zu verhindern. Die Europäische Kommission, in der jedes der 27 Mitgliedsländer Recht auf einen Kommissar hat, wollte, dass schon ab dem 1.Januar 2009 Briefe bis zu 50 Gramm auch von privaten Unternehmen zugestellt werden dürften. Besonders den Bemühungen im Europäischen Parlament ist es zu verdanken, dass dieses letzte Monopol der Post erst zwei Jahre später fällt, nämlich am 1. Januar 2011.
Als sich herausstellte, dass an einer weiteren Schonfrist von zwei Jahren für die neuen Länder, die erst nach 2004 der Europäischen Union beitraten sowie für Griechenland, wegen seiner Randlage und seinen vielen Inseln, gebastelt wurde, war für mich die Zeit gekommen, wenigstens auf diesen Zug aufzuspringen. Das war nicht einfach, weder in meiner eigenen politischen Fraktion, noch im Parlament insgesamt. In engem Kontakt mit dem zuständigen Kommunikationsminister Jean-Louis Schiltz, habe ich meine „Erfindung“, für Luxemburg diese zusätzliche Gnadenfrist herauszuschlagen, selbstverständlich abgesprochen.
Selten musste ich im Europäischen Parlament von Seiten mancher Kollegen, auch von meiner Fraktion, so viele höhnische Bemerkungen über mich ergehen lassen. Es ist ja auch nicht gerade glorreich für einen Gründerstaat, dessen Pro-Kopf-Einkommen zu den höchsten in der EU und sogar weltweit gehört, der u.a. einer der größten Nutznießer der Liberalisierung der Finanzdienstleistungen ist, sich an Schonfristen anzuhängen, die für die neuen Länder aus dem Osten erfunden wurden.
Aber was soll’s! Ich musste schließlich sogar das Argument unseres Natobeitrags aufführen und erklären, dass Armeefreiwillige eine Priorität haben, in den Staatsdienst, u.a. als Briefträger einzutreten, um die Kollegen von der Berechtigung meines Vorschlags zu überzeugen. Das gelang im Europäischen Parlament. Luxemburg hielt im Ministerrat zwar seine ablehnende Haltung, Minister Schiltz konnte aber schließlich erreichen, dass auch für Luxemburg die vom Parlament vorgeschlagene Frist bis 2013 gilt. Unser Einsatz sollte sich demnach lohnen. Politik ist eben die Kunst des Erreichbaren!
Dass der Postdirektion ebenfalls ein Stein vom Herzen fiel, weiß ich aus monatelangen, engen Kontakten, auch wenn sie sich bewusst sein muss, dass unverzügliches Handeln und viel Phantasie erforderlich sind, um diese letzte Gnadenfrist und die im Paket enthaltenen Möglichkeiten (Sozialklausel, Fonds zur Finanzierung des Universaldienstes) zu nutzen. Das muss geschehen, ohne drastische Preiserhöhungen auf den Briefmarken, bei guter Qualität des Dienstes für den kleinen Endverbraucher. Aber auch die Gewerkschaften und die Regierung sind gefordert.
Weil nicht mehr drin war, muss jetzt aus dem was noch drin ist, das Beste gemacht werden: für die Beschäftigten der Post, für den Kunden und für den Steuerzahler. Je eher man sich dazu aufmacht und sich dazu machbare Lösungen einfallen lässt, umso besser für alle Betroffenen. Mein Beitrag als Europaabgeordnete ist geleistet.
Astrid Lulling
Europaabgeordnete