„Zu viele Kleider und zu viele Möbel aus dem Ausland”

Mittelstandsminister Fernand Boden über die Mission: “Luxemburg, das Einkaufsparadies der Großregion”
Wieso Auehan Gasperich IVL-kompatibel ist, warum Wickringen genehmigt werden musste und wieso Ikea sich hinter der Grenze niederließ

Sie beschäftigen Politiker und Geschäftsleute, Juristen und Journalisten, Lobbyisten und Leserbriefschreiber: die beiden großen Einkaufszentren, die der zuständige Minister Fernand Boden binnen neun Monaten auf luxemburgischem Boden genehmigte. In Gasperich errichtet Auehan den größten Einkaufstempel des Landes und in Wickringen bei Steinbrücken soll ein Shoppingcenter nach amerikanischem Vorbild entstehen. An Argumenten mangelt es den Gegnern der beiden ehrgeizigen Projekte aber nicht: Sie führen Umweltbelastungen und Verkehrsprobleme, IVL-Vorgaben, Konkurrenzängste und die Gefahr eines Überangebots ins Feld gegen die hochfliegenden Pläne der Investoren. Im Interview mit dem "Wort" schildert der Mittelstandsminister seine Sicht der Dinge und erklärt, dass es im Großherzogtum zurzeit zwei Quadratmeter Verkaufsfläche pro Einwohner gibt.

d’Wort: Herr Minister, bereits zwei Mal haben Sie in diesem Jahr eine umstrittene "Autorisation grande surface" gegeben. Sowohl die Entscheidung für Auehan in Gasperich als auch die für eine "Mall" in Wickringen fand nicht nur Zustimmung. Wie groß ist der Druck, der jeweils vor der Entscheidung auf Sie als Mittelstandsminister ausgeübt wurde? 

Fernand Boden: Nun, es wird immer wieder versucht, Druck auszuüben oder "Überzeugungsarbeit" zu leisten; aber so etwas kann durchaus auch kontraproduktiv sein. 

d’Wort: Lassen Sie sich beeinflussen durch Wortmeldungen in der Presse von Projekt-Befürwortern oder Projekt-Gegnern gleich nach der Antragstellung beziehungsweise während Ihrer Entscheidungsfindung? 

Fernand Boden: Ich verfolge solche Stellungnahmen natürlich mit Interesse. Beeinflussen lasse ich mich normalerweise nicht von stimmungsmachenden Wortmeldungen. Manchmal enthalten solche Stellungnahmen aber durchaus berechtigte Argumente, dann fließen diese in meine Entscheidung mit ein.

d’Wort:  Das heißt, Sie können völlig frei entscheiden? 

Fernand Boden: Die Entscheidung wird dem gesetzlichen Rahmen entsprechend getroffen, da sind vor allem nüchterne Kriterien ausschlaggebend. Und die muss ich bei meiner Entscheidung berücksichtigen. 

d’Wort:  Um welche Kriterien handelt es sich dabei? 

Fernand Boden: Um Kriterien, die das Gesetz vorgibt. Die sind wirtschaftlicher Natur und betreffen zum Beispiel Angebot und Nachfrage. Das Gesetz sieht zum Beispiel vor, dass einem Projekt, welches riskiert, das lokale, regionale oder nationale Gleichgewicht im Handel zu gefährden, die Genehmigung verweigert werden kann. 

d’Wort:  Und das ist Ihres Erachtens weder beim Auehan-Projekt in Gasperich noch bei der geplanten Mall in Wickringen der Fall? 

Fernand Boden: Damit dies nicht der Fall ist, wurde ja in beiden Fällen die Verkaufsfläche substanziell verringert.

d’Wort:  Befassen Sie sich auch mit Verkehrsproblemen, die unter Umständen entstehen können? 

Fernand Boden: Das sind Punkte, die auch diskutiert werden, daher ist auch ein Vertreter des zuständigen Ministeriums in meinem beratenden Gremium vertreten. Aber meine Entscheidung hängt – wie gesagt – vorrangig und juristisch gesehen einzig und allein von den im Gesetz über die Handelsermächtigungen festgelegten wirtschaftlichen Kriterien ab. 

d’Wort:  Was halten Sie, etwa im Fall Wickringen, den Kritikern des Projekts entgegen?

Fernand Boden: Bedenken kamen unter anderem von der Nachbargemeinde, von Anrainern, vom Umweltschutz, von sogenannten IVL-Anhängem, von der regionalen Geschäftswelt, von der Handelskonföderation … Nun, das Projekt scheint mir nicht uninteressant zu sein, schließlich sind da international anerkannte Profis am Werk. Durch unseren starken Bevölkerungszuwachs sind auch neue Verkaufsflächen nötig und dieses Projekt liegt nahe bei den Konsumenten in unseren am stärksten bevölkerten Gegenden des Landes, nämlich dem Süden und dem Zentrum. Im Textilbereich haben wir einen Nachholbedarf, da wird viel zu viel im Ausland gekauft; dem muss gegengesteuert werden. Und schließlich wollten wir auch nicht zusehen, wie dieser ausländische Investor sich auf der anderen Seite der Grenze niederlassen würde. Das hätte nur negative Folgen für unser Land gehabt. 

d’Wort:  Nach der Genehmigung der beiden ehrgeizigen Projekte für neue Einkaufszentren im Südwesten Luxemburgs stellt sich die Frage, ob die Nachfrage hierzulande wirklich so viel größer ist als das Angebot. 

Fernand Boden: In verschiedenen Branchen, selbstverständlich nicht in allen, ist dem aber so. Außerdem haben wir vielleicht nicht immer das richtige Angebot. Oft sind die Sortimente im unteren und mittleren Marktsegment nicht breit genug gefächert. Auch wenn wir im Lebensmittelbereich die absolut größte Vielfalt in der Großregion besitzen, so trifft dies leider nicht auf alle Branchen zu. 

d’Wort:  Welche Branchen sollen denn konkret in Luxemburg ausgebaut werden, um Kunden gezielt aus dem Grenzgebiet anzulocken oder Luxemburger vom Einkaufen außerhalb der Landesgrenzen abzuhalten? 

Fernand Boden: Wir wissen durch Kundenbefragungen, dass vor allem im Bekleidungsbereich und im Möbelbereich ganz erhebliche Marktanteile ins Ausland abwandern. Da ist also noch Potenzial vorhanden. Ikea zum Beispiel zieht sehr viel Kaufkraft aus Luxemburg ab. Leider hat dieser Möbelgigant aber nie in meinem Ministerium einen Antrag für eine Niederlassung in unserem Lande eingereicht oder Interesse für ein solches Projekt bekundet. ¦ Können Sie das Angebot, etwa über Auflagen wie bei Auehan und vor allem Wickringen, denn wirklich so genau steuern?
Aber sicher, die Genehmigungen werden ja pro Handelsbranche ausgestellt und es ist Ihnen sicher nicht verborgen geblieben, dass die ursprünglichen Anträge beider Antragsteller nicht unerheblich unseren Anforderungen angepasst wurden.

d’Wort: Worauf beruhen Ihre Berechnungen? 

Fernand Boden: Auf Marktstudien, die die Nachfrage der Konsumenten und das bestehende Angebot der bestehenden Geschäfte berechnen – und zwar pro Handelsbranche. 

d’Wort:  Inwieweit stimmen Sie dem Spruch "Konkurrenz belebt das Geschäft" zu? 

Fernand Boden:
Das ist auf jeden Fall nicht falsch. Immer stimmt es allerdings auch nicht, zum Beispiel bei einem absoluten Überangebot. Dann riskiert die zusätzliche Konkurrenz zu einem ruinösen Wettbewerb zu führen und der nützt schlussendlich keinem. 

d’Wort:  Besteht das Risiko, dass das Angebot in Luxemburg eines Tages die Nachfrage übersteigt? Und was wären die Folgen davon?
 

Fernand Boden: Genau das habe ich mit ruinösem Wettbewerb gemeint, und gerade um dies zu verhindern, ist 1997 das aktuelle Gesetz gestimmt worden. 

d’Wort: Rückblickend betrachtet: War das Moratorium für Einkaufszentren eine Fehlentscheidung? Oder woher stammt der offensichtliche Nachholbedarf? 

Fernand Boden: Das Moratorium war 1997 die richtige Entscheidung und ist damals auch von fast allen Seiten begrüßt worden. Auch die Verlängerung im Jahre 2002 bis 2005 wurde von einer sehr breiten Mehrheit getragen. Allerdings ist eine derartige Maßnahme immer nur zeitlich begrenzt sinnvoll. Daher haben wir auch das Moratorium im Jahre 2005 nicht verlängert, so wie wir das lange im Voraus angekündigt hatten. Es hatte seine Schuldigkeit getan, nämlich eine räumlich besser verteilte Geschäftsstruktur zu schaffen und auch entlegene Regionen mit kleineren und mittelgroßen Geschäftsflächen auszustatten und dies alles, ohne dass ein einzelner Akteur eine marktbeherrschende Stellung erreicht hätte. Während des Moratoriums sind insgesamt rund 200 000 Quadratmeter zusätzliche Verkaufsflächen genehmigt worden, sodass wir im Durchschnitt rund zwei Quadratmeter Einkaufsfläche pro Einwohner in Luxemburg haben. Nach einer solchen Periode und bei einem dazu einhergehenden permanenten Bevölkerungszuwachs ist es normal, dass auch wieder neue große Einkaufszentren interessiert sind, sich in Luxemburg niederzulassen, und auch bestehende Einkaufszentren gewillt sind, auszubauen.

d’Wort: Angeblich gibt es auch bereits Pläne für Einkaufszentren an der Place de l’Etoile sowie am Aldringen in Luxemburg-Stadt. Befürworten Sie diese Vorhaben und wurden Sie bereits mit konkreten Plänen befasst? 

Fernand Boden: Ich habe von diesen Projekten gehört. Noch wurde aber kein Antrag bei meinem Ministerium eingereicht, daher ist es schwierig, sich dazu zu äußern. Generell kann ich aber sagen, dass ich einem Einkaufszentrum, welches sich im Stadtzentrum befindet, durchaus positive Seiten abgewinnen kann. Die. belebende Wirkung eines solchen Projekts aitf ein Stadtzentrum ist gar nicht hoch genug einzuschätzen. . 

d’Wort:  Wie steht es um die Standorte Hollerich, das zu einem schicken Hauptstadt-Foyer umgebaut werden soll, und Bonneweg, für den sich seinerzett^chon einmal Cactus brennend irinressierte? 

Fernand Boden: Es ist vielleicht besser, Sie befassen die Stadtplaner der Stadt Luxemburg mit diesem Thema. Wir haben jedenfalls keine Anträge vorliegen, die dort größere Einkaufsflächen vorsehen.

d’Wort: Wie sehr sind bei der Standortsuche für Einkaufszentren die IVL-Kriterien zu berücksichtigen?
 

Fernand Boden: Streng juristisch gesehen überhaupt nicht, aber natürlich ist es wünschenswert und freut es uns auch, wenn die IVL-Kriterien erfüllt werden können, das ist ganz klar. Landesplanerisch ist das IVL sehr sinnvoll, meine Entscheidung muss ich aber aufgrund anderer, vom Gesetz klar vorgegebener Kriterien treffen. Eine Entscheidung meinerseits setzt aber nicht die Bestimmungen anderer Gesetze und Genehmigungsverfahren für ein solches Projekt außer Kraft.

d’Wort: Wurde sich im Fall von Auehan Gasperich und Wickringer Mall ans IVL gehalten? 

Fernand Boden:
Es scheint mir unbestritten, dass das Projekt Gasperich voll IVL-kompatibel ist. Wie schon gesagt: Ein von mir positiv begutachtetes Projekt kann nur dann verwirklicht werden, wenn es zum Beispiel auch konform ist zu den Bestimmungen des Bebauungsplans und eine Baugenehmigung vom Bürgermeister erhält. ¦ Wie steht es um Wickringen? Da stehen ja auch noch weitere Genehmigungen aus.

d’Wort: Welche weiteren Standorte für große Einkaufszentren ließe das IVL-Papier zu? 

Fernand Boden: Neben den bereits bekannten Zentren im Zentrum und im Süden des Landes vor allem die Nordstad. ¦ Sind Sie gerade dabei, sich mit weiteren Anfragen bezüglich neuer Shoppingcenter zu befassen? Es werden permanent Anträge zur Errichtung oder zur Vergrößerung von Einkaufsflächen, sogenannten "Grandes surfaces", gestellt. Momentan liegt aber kein mit Gasperich oder Wickringen vergleichbares Projekt vor.

d’Wort: In welcher Größenordnung wird sich das Angebot in Belval-Plaza bewegen?" 

Fernand Boden: Dieses Geschäftszentrum, dessen erster Teil schon im Januar 2006 genehmigt wurde, wird nach der Fertigstellung Waren auf rund 20 000 Quadratmetern Verkaufsfläche in verschiedenen Handelsbranchen anbieten.

d’Wort: Premierminister Juncker will Luxemburg zu dem Einkaufsparadies in der Großregion machen. War das ein klarer Auftrag an Ihre Adresse? 

Fernand Boden: Das war vor allem ein klarer Auftrag an die luxemburgische Geschäftswelt, die dafür auch substanziell von der Regierung unterstützt wird. 

d’Wort: Plant die Regierung weitere konkrete Maßnahmen in diese Richtung? 

Fernand Boden: Das Programm, das aus dem Land Luxemburg ein Geschäftszentrum der Großregion machen soll, sieht eine Reihe von Maßnahmen vor, die die Regierung zusammen mit den betroffenen Wirtschaftszweigen durchführen will. Dazu zählen eine bessere Information der Konsumenten, verschiedene Ausbildungsmaßnahmen des Verkaufspersonals, ein besseres Verständnis des Kundenverhaltens und natürlich auch die Stärkung der Stadtzentren und die Steuerung der zusätzlichen Geschäftsflächen, von denen wir wissen, dass sie noch fehlen.

d’Wort: Gehen Sie oder Ihr Ministerium auch proaktiv vor, sodass Sie etwa die Verantwortlichen von Auehan, Cactus, Cora, Delhaize oder Aldi auffordern, Projekte auszuarbeiten? 

Fernand Boden: Nein, in einem hoch konkurrenzierten Sektor wie dem Einzelhandel ist es nicht Aufgabe der Politik, sich einzumischen und eventuell dem einen oder anderen Akteur durch einen derartigen Auftrag einen Vorteil zu verschaffen.

d’Wort: Und wann wird Luxemburg sich Ihrer Meinung nach zu Recht mit dem Titel "das Einkaufsparadies der Großregion" schmücken können? 

Fernand Boden: Wenn alle Partner an einem Strang ziehen, dann hoffe ich, dass es in drei bis vier Jahren soweit ist.

INTERVIEW: LUC MARTELING