Die Spätberufene

“Wir müssen definitiv Abstand nehmen von der Situation, wo Eltern und Lehrer nebeneinander wirken, so als ob sie durch eine Schranke voneinander getrennt wären,” so die CSV Abgeordnete Marie-Thérèse Gantenbein

Wort-Serie über die Abgeordneten …

Ihre Wahl gehörte zu den großen Überraschungen: Auf Anhieb schaffte Marie-Thérèse Gantenbein-Koullen bei den Landeswahlen im Juni 2004 den Sprung in die Chamber. “Damit hatte niemand gerechnet”, stellt die CSV-Politikerin rückblickend fest und schmunzelt.

Marie-Thérèse Gantenbein-Koullen erinnert sich: “Mein Ziel war ein gutes Ergebnis.” Es sollte schließlich ein sehr gutes Resultat werden. Mit 16 418 Stimmen landete sie auf Platz sieben, noch vor dem damaligen Generalsekretär der Christlich-Sozialen, Jean-Louis Schiltz. Auch die politische Konkurrenz aus ihrer Heimatgemeinde Hesperingen konnte sie hinter sich lassen.

Dabei war sie anfangs so gar nicht angetan vom Gedanken eines nationalpolitischen Engagements. CSV-Parteipräsident François Biltgen habe viel Überzeugungsarbeit leisten müssen …

1987 war dies nicht anderes. Damals begann die politische Karriere von Marie-Thérèse Gantenbein-Koullen. Auf Anhieb wurde sie vor 20 Jahren bei den Kommunalwahlen in den Gemeinderat gewählt – übrigens auch auf Platz 7. Vorausgegangen waren Überredenskünste durch den damaligen Bürgermeister Alphonse Theis. Und der Reiz, nach langen Jahren als Hausfrau, Mutter und Lehrerin eine neue Herausforderung anzugehen. “Ich bin von Haus aus immer interessiert gewesen am politischen Geschehen. Es bedurfte jedoch stets eines Anstoßes von außen, ehe ich selbst in die Rolle der Politikerin geschlüpft bin”, resümiert sie ihren politischen Werdegang.

Politik bestimmt Alltag

Heute bestimmt die Politik ihren Alltag. Das prunkvolle Gemeindehaus, das beispielhaft den aufstrebenden Charakter der Zentrumsgemeinde symbolisiert, ist fast schon zu ihrem zweiten Zuhause geworden. “Ich bin jeden Tag zugegen”, schildert die “députée-maire” ihren Tagesablauf. Bei mittlerweile über 12 000 Einwohnern, einer dementsprechenden Vielfalt an angebotenen Dienstleistungen sowie stetig wachsenden und komplexer werdenden Aufgaben sei diese permanente Präsenz auch nötig.

Hier schlägt die Kommunalpolitikerin Gantenbein-Koullen die Brücke zur Nationalpolitikerin Gantenbein-Koullen. Bei den Reformbestrebungen, die zurzeit sowohl im Innenausschuss als auch in der Sonderkommission “réorganisation territoriale” erörtert werden, sollte der politische Urlaub großzügig überdacht werden, meint die CSV-Politikerin. “Wir müssen angemessene Rahmenbedingungen für die Vereinbarkeit von Beruf, Familie und Politik schaffen.” Andernfalls werde der Faktor Zeit bei einem politischen Engagement zunehmend entscheiden. “Dann haben wir bald nur noch Ruheständler in der Politik”, gibt die Vollzeitpolitikerin zu bedenken.

Apropos Zeit. In ihrer knapp bemessenen Freizeit sucht und findet Marie-Thérèse Gantenbein-Koullen Entspannung in ihrer Familie – “das Enkelkind kommt leider etwas zu kurz” -, in der Musik und in Büchern. Im Besonderen interessieren tut sie dabei die gesellschaftliche Entwicklung. Eine Entwicklung, deren Auswirkungen sich an erster Stelle in den Schulen bemerkbar machen würden. “Umso wichtiger ist es, dass wir die Schule fit machen für die Anforderungen von morgen.”

Für die CSV-Politikerin stellt die Schule mit der Reform des Gesetzes aus 1912 denn auch “die größte Herausforderung” dar. “Ein partnerschaftliches Verhältnis zwischen Elternhaus und Schule muss unser Ziel sein”, geht die langjährige Lehrerin auf die Arbeiten im zuständigen Parlamentsausschuss ein. “Wir müssen definitiv Abstand nehmen von der Situation, wo Eltern und Lehrer nebeneinander wirken, so als ob sie durch eine Schranke voneinander getrennt wären”, so die 68-Jährige. Bildung und Erziehung müssten sich ergänzen.

Was die soziale Entwicklung im Allgemeinen angeht, plädiert Marie-Thérèse Gantenbein-Koullen für mehr Solidarität. Die heutige Gesellschaft sei viel zu sehr durch Egoismus und Individualismus geprägt. Solidarität zwischen den Kulturen und Solidarität zwischen den Generationen: So sieht das Gesellschaftsbild der “députée-maire” aus Hesperingen aus. Praktische Erfahrung kann sie dabei in ihrer Heimatgemeinde mit deren 113 verschiedenen Nationalitäten sammeln.

Generell ist es das praktische Element, das die spätberufene Deputierte an der Kommunalpolitik schätzt. “Auf Gemeindeebene ist alles sehr direkt und personenbezogen. Man hat einen großen Gestaltungsspielraum.” Und die Chamberarbeit? Marie-Thérèse Gantenbein-Koullen hat den Eindruck, dass die Nationalpolitik weiter von den Menschen entfernt ist. “Das merkt man auch daran, dass Gesetze regelmäßig nachgebessert werden”, weist sie auf die Diskrepanz zwischen Papier und Praxis hin. Als positiv wertet die Abgeordnete den Meinungsaustausch mit ihren Kollegen im Parlament. “Das ist ohne Zweifel eine persönliche Bereicherung.”

Quelle: Wort, 7. August 2007, Marc Schlammes