“Wir setzen unser Regierungsprogramm um.” Premierminister Jean-Claude Juncker im Revue-Interview
Herr Staatsminister, was erwartet uns im Jahr 2007?
Wir müssen davon ausgehen, dass die Anzahl der Konflikte und der geopolitisch schwierigen Situationen nicht geringer wird. Daraus ergibt sich die Notwendigkeit, auf externe Schocksituationen so gut wie möglich vorbereitet zu sein.
Ist das der Fall?
Obwohl das Wirtschaftswachstum hoch ist – ein Verdienst des Finanzplatzes – müssen die staatlichen Ausgaben weiterhin konsolidiert werden. Die gegenwärtige Situation hohen Wachstums und hoher Ausgaben beeinträchtigt die Chancen der kommenden Generationen.
Die Regierung beginnt die zweite Halbzeit ihres Mandates. Sind Sie mit der ersten Hälfte zufrieden?
Jean-Claude Juncker: Wir setzen unser Regierungsprogramm um. Das ist aus dem Staatsbudget von 2007 herauszulesen, das an sich ein Programm ist und klar aufzeigt, dass wir neue Vorhaben angehen, wie zum Beispiel den Ausbau der Forschung und die Vereinbarkeit von Familien- und Berufsleben durch adäquate Strukturen der Kinderbetreuung.
Wie erklären Sie die Ausgaben im Staatshaushalt, die durch die zunehmenden Prachtbauten generiert werden?
Eine Gesellschaft muss ihren Nachfolgern etwas anderes hinterlassen als Tankstellen, wo man billiger tanken kann als in den Nachbarländern. Wir können nicht nur Geld verdienen. Auch andere Teile des Lebens sind wertvoll. So gesehen sind die Philharmonie, das Museum für zeitgenössische Kunst und die renovierte Abtei Neumünster wesentliche Merkmale unserer Zeit, die der jetzigen Generation richtig erklärt werden müssen.
Finanzplatz und Wirtschaft generieren Reichtum und Arbeitsplätze. Gleichzeitig wächst aber auch die Arbeitslosigkeit.
Unser Arbeitsmarkt ist seit den 80er Jahren ständig gewachsen, so dass wir immer stärker auf Grenzgänger zurückgreifen mussten. Prozentual ist ihre Anzahl 2006 jedoch leicht zurückgegangen und die nationale Beschäftigungsrate ist angestiegen. Im November 2006 waren 5.000 in Luxemburg lebende Menschen mehr auf unserem Arbeitsmarkt, als ein Jahr zuvor. Anders gesagt: Der expandierende Arbeitsmarkt kommt auch der nationalen Beschäftigung zugute, zum ersten Mal seit vielen Jahren.
Dennoch ist die Zahl der Arbeitslosen bis auf 6,5 Prozent angestiegen?
Das ist eine falsche Leseart der Zahlen. Unsere Arbeitslosigkeit liegt bei 4,6 Prozent. Auf 6,3 Prozent kommt man, wenn man die Männer und Frauen, die in einem Beschäftigungsprogramm untergebracht und von diesem auf das Berufsleben vorbereitet werden, zu den Arbeitslosen zählt. Das wird außer bei uns in keinem anderen Land gemacht.
Kommen unsere Probleme zum Teil nicht daher, dass Angebot und Nachfrage nicht stimmen?
Durchaus. Es gibt zurzeit etwa 2.500 offene Arbeitsstellen. Das ist nicht typisch für Luxemburg, sondern ziemlich gängig in Ländern, wo die Arbeitslosigkeit unter 7 Prozent liegt. Genau darin sehe ich die Wertigkeit der Weiterbildung und Beschäftigungsmaßnahmen. Nur so können die Menschen fit gemacht werden für die freien Arbeitsplätze.
Werden diese Argumente von Ihren Sozialpartnern auch so verstanden? Behält die Tripartite, die seit 30 Jahren alle Beschäftigungsfragen regelt, ihren Modellcharakter? Oder ist sie eine Parallelregierung geworden, wo ein Partner den anderen unter Druck zu setzen versucht?
In dem Dreiergespann ist die Regierung einer von drei Partnern. Sie muss sich unter mitunter schwierigen Bedingungen mit den anderen einigen. Ist ihr das gelungen, kann sie die gefassten Beschlüsse in Gesetzesform im Parlament einbringen und dann ist aus dem sozialen Dialog eine Etappe weiter eine politische Einigung geworden.
So einfach ist der Konsens aber doch nicht!
Politik ist ohnehin kein einfaches Geschäft. Selbst wenn es nicht zum Einverständnis kommt, ist das Verständnis aller drei Partner notwendig, damit das soziale Klima im Land gewahrt wird. Das verlangt vom Einzelnen viel Fingerspitzengefühl. Mitunter wäre es einfacher, Entscheidungen im Hauruckverfahren durchzuboxen. Im Parlament findet sich schneller eine politische Mehrheit als im breit gefächerten sozialen Gefüge. Dafür bietet dieses jedoch eine strapazierfähigere Basis.
Dieses Einverständnis können Sie nicht immer herbeiführen, wie der Protest gegen das – von der Tripartite abgesegnete – 5611-Gesetz gezeigt hat. Was ist schief gelaufen?
Mit einem Partner verhandeln, zuhören, besprechen, analysieren, bedeutet nicht, ihm letztendlich immer Recht geben. Politische Entscheidungen, mit denen jeder einverstanden ist, sind meist schwammig und können selten etwas bewirken. Politisch muss man Entscheidungen herbeiführen können, auch ohne vollstes Einverständnis. Ich nehme zur Kenntnis, dass junge Leute die Entscheidungen der Tripartite missbilligen. Ich habe auch Verständnis für ihre Ängste. Das bedeutet aber nicht, dass ich ihnen Recht gebe. Man kann und darf von der Politik nicht erwarten, dass sie das Leben so gestaltet, wie es sich jeder Einzelne für seinen ganz persönlichen Komfort vorstellt und wünscht. Politik bedeutet, Entscheidungen zu treffen und nicht immer jedem Recht zu geben.
Ein weiterer Stein des Anstoßes ist das Einheitsstatut. Scheinbar war die Einigung innerhalb der Tripartite doch nicht so groß, wie man es uns glauben machen wollte.
Monatelang war prophezeit worden, die Tripartite würde keine Einigung herbeiführen können. Die Ausgangspositionen seien zu unterschiedlich. Wir sind uns über die Notwendigkeit einer Gleichstellung alle Arbeitnehmer einig geworden und darüber, dass sie ohne zusätzliche Belastung der Gesamtwirtschaft über die Bühne gehen soll, wobei die einzelnen Schwierigkeiten am Verhandlungstisch bereinigt würden. Das ist eine massive gesellschaftliche Reform. Gutes Zureden reicht nicht. Wichtig sind die Bedingungen, unter denen der Konsens herbeigeführt wird und die Berücksichtigung der einzelnen Situationen.
Am großherzoglichen Hof kam es zum Vertrauensbruch zwischen dem Hofmarschall und dem Staatschef. Schlägt sich die Tatsache, dass Jean-Jacques Kasel ein hoher Beamter des Außenministeriums ist, in den Beziehungen zwischen dem Staatschef und der Regierung nieder?
Jean-Claude Juncker: Der Großherzog ernennt den Hofmarschall, seinen persönlichen Mitarbeiter, unabhängig von der Regierung. In unserem parlamentarischen System kann der Großherzog jedoch nicht politisch unabhängig handeln. Er braucht die Zustimmung der Regierung, so wie diese diejenige des Großherzogs braucht. Insofern ist ein enges Vertrauensverhältnis notwendig. Dieses ist nach wie vor gewährleistet. Zwischen der Regierung und dem Staatschef gibt es keine Probleme. Die gegenwärtigen Schwierigkeiten sind rein privater Natur. Dennoch hat der Großherzog in zwei präzisen Fällen seine persönlichen Entscheidungen unverzüglich rückgängig gemacht, nachdem er die große Ablehnung aus dem Volk spürte. Unabhängig von diesen rein privaten Fragen übt Großherzog Henri sein Amt als Staatschef mit sehr großer Sachkenntnis aus und es gibt diesbezüglich zwischen uns überhaupt keine Meinungsverschiedenheiten.
Quelle: Revue, 4. Januar 2007, Claude Wolf