Ein Gespräch mit Berichterstatter Lucien Thiel, der heute seinen Bericht zum Haushalt 2007 im Parlament vorstellt
d’Wort: Herr Thiel, seit dem 11. Oktober haben Sie sich mit dem Haushaltsentwurf auseinandergesetzt. Sicherlich kein leichtes Unterfangen. Die Arbeiterkammer beklagte sich, dass Sie für die Berufskammern keine Zeit hatten …
Na ja, ich bin davon ausgegangen, dass die Berufskammern ihre Anmerkungen zum Budget in den Gutachten zu Papier bringen und eine Unterredung keinen zusätzlichen Nutzen hätte. Zudem habe ich die meisten ja sowieso getroffen, als ich mit den Verbänden der Arbeitgeber und den Gewerkschaften zusammentraf. In diesen Gremien sitzen zum größten Teil die gleichen Leute. Ich habe mir dagegen eine Reihe “neuer” Gesprächspartner gesucht. Beispielsweise die Unternehmensführung der Cargolux und die Lehrergewerkschaftsplattform “Intersyndicale de l’enseignement”. Insgesamt konnte ich mir durch diese Begegnungen einen guten Überblick verschaffen. Aber es ist ohnehin nicht möglich, einen alles umfassenden Bericht zu verfassen. Ich habe versucht, Schwerpunkte zu setzen, damit die eigentliche Aussage zum Vorschein kommt.
d’Wort: Aber worin besteht denn die eigentliche Aussage in Ihrem Bericht? Bei der Lektüre kommt einem so manches ziemlich bekannt vor: Die Bedeutung des Finanzplatzes, die Notwendigkeit struktureller Reformen … Wirklich neue Erkenntnisse finden sich darin kaum wieder.
Es ist ja nicht die Aufgabe des Berichterstatters, die Welt zu erneuern oder die Revolution auszurufen. Thema Finanzplatz: Es besteht die Vorstellung, dass wenn die Börse kippt, gleich das ganze Großherzogtum ins Wanken gerät. Das ist doch ein Schreckgespenst. Es stimmt ja, dass wir vom Finanzplatz abhängig sind, vielleicht sogar zu abhängig. Richtig ist auch, dass wir neue Standbeine für unsere Wirtschaft brauchen. Aber insgesamt betrachtet, ist der Finanzplatz ziemlich gut aufgestellt, hier hat bereits eine Diversifizierung stattgefunden. Der Finanzplatz wird nicht morgen den Bach runter gehen, auch wenn er vielleicht an Bedeutung verlieren wird. Wie gesagt, wir brauchen neue Standbeine und sollten nicht alle Eier in einen Korb legen. Allerdings halte ich nichts von der Vorstellung, man könnte das Land noch einmal industrialisieren. Das halte ich nun wirklich für einen Traum.
d’Wort: In Ihrem Bericht schreiben Sie, man sollte statt auf Souveränitätsnischen auf Kompetenznischen setzen.
Genau. Die europäischen Harmonisierungsbestrebungen lassen uns keine andere Wahl. Wir müssen auf Kompetenz setzen. Daher ist die Universität auch von besonderer Bedeutung.
d’Wort: Sie sehen in der Globalisierung eher neue Möglichkeiten als Risiken. Das mag nach den Erfahrungen mit Mittal überraschen.
Das liegt in meinem Naturell. Ich sehe eher Chancen als Risiken. Auch der Finanzplatz musste die europäischen Harmonisierungsbestrebungen Mitte der 90er-Jahre erst als Chance zur Erneuerung begreifen. Luxemburg hat es doch bisher verstanden, sich aus seinem Nachteil ein kleines Land zu sein, Vorteile zu verschaffen. Flexibilität, schnelle Reaktion auf neue Entwicklungen, kurze Entscheidungswege gehörten zu unseren Vorzügen.
d’Wort: Sie warnen vor einem Steuer-Dumping in Europa. Müsste Luxemburg nicht dennoch den Unternehmen steuerlich entgegen kommen, um nicht weiter ins Hintertreffen zu gelangen?
Die Steuerkonkurrenz ist nicht des Teufels. Die anderen Länder schlafen nicht. Vor allem die Niederlande versuchen geschickt Kapital anzuziehen. Nach der Spar-Tripartite wäre es nun aber politisch schwer zu vermitteln, dass die Unternehmen weiter entlastet werden. Das ist die politische Realität. Aber im internationalen Vergleich wäre eine Lockerung der Steuerschraube in Luxemburg sicher angebracht. Ich hielte es daher für sinnvoll, Erleichterungen für 2008 in Aussicht zu stellen. Man sollte sich eine Abschaffung des Droit d’apport bei Kapitalgesellschaften überlegen.
d’Wort: Auch der Tanktourismus bekommt Konkurrenz …
Belgien bietet den Transporteuren einen Steuerrabatt auf Diesel-Treibstoff an. Die Luxemburger Tankstellenbetreiber befürchten Einbußen um 60 Prozent. Das Tankgeschäft wird mit Sicherheit zurückgehen. Zurzeit ist es noch ein interessantes Zubrot, das wir uns verdienen können. Aber langfristig müssen wir uns wohl davon verabschieden.
d’Wort: Rund 400 Millionen Euro konnten durch die Tripartite-Beschlüsse eingespart werden. Trotzdem fehlt dem Zentralstaat eine Milliarde Euro. Sie verlangen strukturelle Reformen. Welche sollen das sein?
Die Tripartite war ein guter Anfang, aber es reicht eben nicht. Das zeigt schon ihre Rechnung. Die Index-Modulationen sind ja nur ein Provisorium. Das strukturelle Problem der Automatismen bleibt bestehen. Ich gehe davon aus, dass der Index im Wahlkampf 2009 eine Rolle spielen wird. Jetzt erlaubt das Regierungsprogramm keine weiteren Schritte. Die Zukunft unserer Altersvorsorge wurde nicht abschließend geklärt. Darauf weise ich im Bericht hin. Der Rententisch war für mich damals ein Trauma. Alle Teilnehmer haben sich mit neuen Leistungsvorschlägen überboten. Wer von einer Rentenmauer redete wurde ausgelacht. Wir müssen unsere Renten und Pensionen langfristig absichern. Das Umlageverfahren hat das Problem, dass wir langfristig mehr Bezieher als Beitragszahler haben werden. Um unser jetziges System halten zu können, verdammen wir uns zu einem Wachstum, von dem wir nicht wissen, ob wir es auch meistern können. Ich finde es nicht in Ordnung, dass wir der jungen Generation diese Rechnung aufbürden. Wir müssen eine Dosis Kapitalisierungsverfahren in den ersten Pfeiler der Altersvorsorge einbringen.
d’Wort: Die Desindexierung der Familienzulagen steht unter dem Vorbehalt, dass eine Steuergutschrift für Geringverdiener eingeführt wird. Sie sehen das skeptisch.
Ich erinnere mich an die Diskussion über eine Negativsteuer. Und diese Gutschrift käme dieser ziemlich nahe. Damals empfahl der Wirtschafts- und Sozialrat der Regierung, von einer solchen Negativsteuer abzusehen. Das kann man sich nur in Zeiten hoher Haushaltsüberschüsse leisten. Es bleibt wohl nichts anderes übrig, als die Desindexierung der Familienzulagen wieder rückgängig zu machen.
d’Wort: Die Spezialfonds leeren sich, der Apfel für den Durst ist aufgegessen. Wo soll der finanzielle Spielraum für neue Investitionen herkommen?
2006 können wir mit Mehreinnahmen von rund 700 Mio. Euro rechnen. Es wäre doch eine Schnapsidee, dieses Geld für laufende Ausgaben zu verwenden. Die müssen integral den Spezialfonds zugeführt werden. Bedenklich ist, dass die Budgetreserve bereits leer ist. Wir haben keinen Apfel für den Durst mehr. Wir müssen also unser Defizit in den Griff kriegen, damit wir neuen Spielraum haben können.
d’Wort: Die Gemeinden klagen, dass sie vom Staat stiefmütterlich behandelt werden. In diesem Jahr steigen die Zuwendungen wieder. Eine Reform der kommunalen Finanzen lässt aber weiterhin auf sich warten.
Es ist doch klar, wo eine solche Diskussion hinführt. Sie landet bei der Frage der Restrukturierung der kommunalen Landschaft. Wir brauchen eine sachliche Diskussion über die Fusionen von Gemeinden und das mögliche Einsparungspotenzial. Ich verstehe die Ängste der Gemeinden, glaube aber nicht, dass sie übermäßig belastet sind.
d’Wort: Sie fordern mehr Transparenz bei der Aufstellung des Budgets und einen sanften Übergang zu der Buchführung nach dem SEC 95-Standard.
In einem demokratischen Staat müssen die Bürger nachvollziehen können, über was eigentlich geredet wird. Zurzeit haben wir ein ziemliches Zahlen-Wirrwarr. Einerseits reden wir in Zahlen, wie sie zur Aufstellung eines Haushalts durch den Stabilitätspakt vorgeschrieben sind, der sogenannte SEC 95-Standard. Andererseits fahren wir parallel weiter, die klassische Luxemburger Budget-Buchführung anzuwenden. Da verliert jeder den Durchblick. Wir schlagen vor, in drei Jahren von der klassischen Variante zu den neuen Standards überzugehen. Das ist natürlich eine aufwendige Umstellung. Aber unumgänglich.
Interview: Laurent Zeimet
Quelle: d’Wort vom 5. Dezember 2006