Stellungnahme der CSJ zur Kontroverse über die Arbeitsmarktreform

Die CSJ stellt mit Bedauern fest, dass die Vorschläge und Beschlüsse von Arbeitsminister Biltgen zur Reform des Arbeitsmarktes in der öffentlichen Diskussion mit heftiger und bisweilen sogar beschmutzender Kritik bedacht wurden. Bedenklich ist auch, dass die Jugendorganisationen einiger etablierter Parteien des Großherzogtums versuchen, die anstehenden Reformen als rücksichtslosen Angriff gegen die Jugend im Allgemeinen darzustellen, und dabei ihr objektives Urteilsvermögen der politischen Opportunität unterwerfen.

In unserer postindustriellen Gesellschaft wird mit Prekariat eine heterogene Gruppe von Individuen definiert, welche in unsicheren Arbeitsverhältnissen stehen, ohne suffiziente Möglichkeiten den eigenen Lebensunterhalt dauerhaft zu sichern. Ebendieses Abrutschen in einen Zustand der Abhängigkeit soll durch das neue Gesetzesvorhaben verhindert werden. Betroffen sind hiervon zwar viele Jugendliche, jedoch muss man festhalten, dass es sich bei den problematischen Arbeitssuchenden nicht mehrheitlich um junge Menschen handelt. Verallgemeinerungen und leeres Phrasendreschen lehnen wir deshalb in dieser Diskussion grundsätzlich ab.

Durch Umstrukturierung des Arbeitsamtes (ADEM) und Umgestaltung der Beschäftigungsverträge soll jener Gruppe junger Arbeitssuchenden, welche unter ungünstigen Voraussetzungen in das Arbeitsleben tritt, ein Höchstmaß an Autonomie und daraus resultierend neue berufliche Perspektiven angeboten werden.

Aktuelle Lage: CAT, der Weg ins Ungewisse

Die Mehrzahl der derzeit beim Arbeitsamt eingetragenen Jugendlichen hat entweder keinen bzw. einen unzureichenden Schulabschluss und ist deshalb schwer vermittelbar.1 Jugendliche, die über einen durchschnittlichen Abschluss verfügen, kommen in der Regel relativ schnell in den Genuss einer zeitweiligen Beschäftigungsmaßnahme, während jenen mit schwächeren Abschlüssen anstelle einer geregelten Arbeit zumeist nur soziale Unterstützung in Form von Arbeitslosengeld zukommt. Für diese Jugendlichen ist eine unabhängige Lebensgestaltung kaum möglich.

Die meisten jungen Erwachsenen mit guter schulischer Ausbildung kommen in einer Beschäftigungsmaßnahme (CAT: Contrat auxiliaire temporaire) unter, meistens im Bereich des öffentlichen Dienstes, wobei hier allerdings kaum realistische Aussichten auf eine feste Anstellung bestehen. So finden sich viele von ihnen nach Ablauf der Vertragsfrist in der Arbeitslosigkeit wieder, wobei sie zwar in den Genuss einer finanziellen Entschädigung kommen, aber Gefahr laufen, in diesem unsicheren Zustand zu verbleiben. Insgesamt tut sich hiermit für beide oben angeführten Gruppen junger Arbeitssuchender eine abwärtsgerichtete Spirale in die Langzeitarbeitslosigkeit und das soziale Abseits auf, welcher sie nur schwer entrinnen können.

5611: guter Lösungsansatz…

Das neue Gesetzesprojekt, das so neu nicht ist (cf. Gesetzesprojekt 5501/2005), sieht vor, die jungen Arbeitssuchenden in Zukunft nicht mehr wie bis dato üblich nach einer sechsmonatigen Einschreibungsfrist beim Arbeitsamt mit Arbeitslosengeld in eine unsichere Zukunft zu entlassen, sondern ihnen innerhalb von 3 bis 6 Monaten einen festen Arbeitsplatz bzw. einen Beschäftigungsvertrag mit realistischer Aussicht auf eine Anstellung anzubieten. Zwischen dem Jugendlichen und dem Arbeitsamt soll ein Vertrag abgeschlossen werden, welcher die Rechte und besonders auch die Pflichten beider Parteien regelt und Maßnahmen enthält, welche den Jugendlichen in eine feste Anstellung führen sollen.

Die aktuellen Beschäftigungsverträge sollen durch zwei neue Verträge ersetzt werden, jeweils einen für den öffentlichen Sektor (CAE: Contrat d’appui-emploi) und einen für den privaten Sektor (CIE: Contrat d’initiation à l’emploi). Diese neuen Verträge sprechen dem Jugendlichen zwar nur 80% des sozialen Mindestlohnes zu, sie verpflichten ihn andererseits aber auch nur zu 80% der Arbeitsleistung und stellen ihn während 8 Wochenstunden frei, um in Eigenverantwortung Anstrengungen hinsichtlich einer festen Anstellung unternehmen zu können. Außerdem bieten sie den Jugendlichen die realistische Möglichkeit, nach Ablauf der Arbeitszeit einen festen Arbeitsvertrag zu erhalten. Das Arbeitsamt verpflichtet sich ebenfalls dazu, den Jugendlichen im Laufe der Beschäftigungsmaßnahme eine gewisse Anzahl an Stellenangeboten zukommen zu lassen.

Verletzen eine oder beide Parteien ihre Pflichten, ergeben sich folgende Konsequenzen: sollte sich nach Ablauf des Beschäftigungsvertrages für den Jugendlichen kein dauerhaftes Arbeitsverhältnis ergeben weil er seinen Pflichten der Arbeitssuche nicht nachgekommen ist, muss er 6 Monate warten, bevor er erneut in den Genuss einer finanziellen Entschädigung kommt. Das Arbeitsamt hingegen ist verpflichtet, den Jugendlichen von dieser Karenzzeit zu befreien, sollte es seinerseits seine Pflichten der Unterstützung in der Arbeitssuche vernachlässigt haben.

Neu ist ebenfalls, dass dem Jugendlichen im Rahmen einer Beschäftigungsinitiative ein betriebsinterner Tutor zur Seite gestellt wird, der ihn in beruflichen Fragen berät und in ständigem Kontakt mit dem Arbeitsamt steht.

… doch punktuelles Nachbessern ist erforderlich

Das Gesetz in seiner derzeitigen Fassung bestraft auch jene Jugendliche, welche ihre Pflichten erfüllt haben und dennoch keine Anstellung gefunden haben. Hier fordert die CSJ eine Regelung im Gesetz, welche in solchen Ausnahmefällen von einer Karenzzeit absieht. Es ist jedoch ohnehin Ziel des Gesetzes, diesen Zustand zu vermeiden: bei regelgerechter Umsetzung der Verträge sollte kaum ein Arbeitssuchender an diesem Punkt angelangen. Die CSJ ist außerdem der Meinung, dass das Gesetz die Pflichten sowohl des Arbeitssuchenden als auch des Arbeitsamtes präziser definieren muss und dass die exakte Auslegung der Arbeitsverträge von der Regierung noch präzisiert werden muss. Die Umstrukturierung des Arbeitsamtes (ADEM) zu einem wirkungsvolleren Vermittler von Arbeit und Weiterbildung muss unmittelbar umgesetzt werden. Ohne eine weitergehende Zusammenarbeit zwischen Arbeits-, Wirtschafts- und Erziehungsministerium drohen jedoch alle Bemühungen, die Jugendarbeitslosigkeit dauerhaft zu mindern, ins Leere zu laufen.

Wir appellieren deswegen an den zuständigen Minister, das konstruktive Gespräch mit den Jugendbewegungen zu nutzen um den Besserungsvorschlägen Rechnung zu tragen.

Die neuen Arbeits- und Beschäftigungsmaßnahmen wollen die Prekarität bekämpfen und nicht verstärken, wie es dem Arbeitsminister unterstellt wird. Die Grundidee des neuen Gesetzes soll eine positive Botschaft an die Jugendlichen senden, nämlich dass die Regierung sich der schwierigen Lage tausender Jugendlicher bewusst ist und ihnen in Zukunft eine sichere Arbeit vermitteln möchte. Die Regierung setzt die Tripartitebeschlüsse um und übernimmt somit ihren Teil der Verantwortung.

Das vorliegende Gesetzesprojekt wird von der CSJ eindeutig als Fortschritt gegenüber den bestehenden Regelungen gewertet, weshalb wir die fragwürdige und weitgehend unbegründete Kritik an den Absichten der Regierung nicht nachvollziehen können. Keine der sich auflehnenden Jugendorganisation hat in ihren zahlreichen Stellungnahmen und Zeitungsartikeln auch nur einen wertvollen Ansatz für alternative Lösungsvorschläge angeboten. Die CSJ fragt sich demzufolge, ob im Anti-5611-Lager insgeheim einfach eine konservative Grundstimmung herrscht oder ob diese Polemik nur mangels reifer Ideen auf heißer Luft vorgetragen wird.

Luxemburg, den 3. November 2006


1 Im September 2006 waren 2.026 Personen unter 26 Jahren (21,3% aller Arbeitssuchenden) und 1.152 Personen im Alter zwischen 26 und 30 Jahren (12,1% aller Arbeitssuchenden), beim Arbeitsamt eingetragen. Insgesamt waren demnach 3.178 Jugendliche (bis 30 Jahre) auf der Suche nach einer festen Anstellung (33,4% aller Arbeitssuchenden). Von den 2.026 jugendlichen Arbeitssuchenden (unter 26 Jahren) hatten 833 (41,1%) eine geringe schulische Ausbildung (weniger als die neunjährige Schulpflicht), 999 (49,3%) eine durchschnittliche schulische Ausbildung (10ième bis 13ième EST oder 4ième bis 1ière ES) und 158 (7,8%) eine hohe Ausbildung (Hochschule oder Universität). 36 Jugendliche hatten keine Angaben zu ihrer Ausbildung gemacht (1,8%). Im September 2006 befanden sich 1.676 Jugendliche in einer Beschäftigungsmaßnahme, davon 501 in einem privaten CAT, 335 in einem SIE (Stage d’Insertion en Entreprise) und 840 in einem staatlichen CAT. Siehe dazu: Administration de l’emploi (ADEM), Bulletin Luxembourgeois de l’emploi – No 09 – Septembre 2006, Service Information et Presse, Luxembourg 2006.