Ein Jahr nach den Kommunalwahlen: Innenminister Jean-Marie Halsdorf im Interview
D’Wort: Herr Halsdorf, vor einem Jahr wurden die kommunalpolitischen Karten neu gemischt. Wie hat sich dies auf die Arbeit des Innenministers ausgewirkt?
Überhaupt nicht! In diesem Punkt herrscht absolute Kontinuität. Die Zahl der Gemeinden hat sich ja nicht großartig verändert und nach wie vor gibt es welche mit Problemen. Mal kommen sie zu uns, mal fahren wir zu ihnen, um über Lösungspakete zu sprechen. Das haben wir vor den Wahlen so getan und das tun wir weiter so.
D’Wort: Wie gestaltet sich die Arbeit mit den neuen Bürgermeistern? Besser als mit den alten?
Kontinuität auch hier: Es geht also nicht besser, aber auch nicht schlechter als vorher. Dabei haben über 30 Gemeinden einen neuen Bürgermeister bekommen. Natürlich kommt man mit einigen besser klar als mit anderen. Aber das ist ganz normal. Wir haben hier mit Menschen zu tun.
D’Wort: Mit welcher Frage werden Sie am häufigsten konfrontiert?
Schwer zu sagen, aber bis zum 7. August gab es viele Anfragen zum Gesetz über das “Aménagement communal” aus dem Sommer 2004, nach dem sich alle neuen Bebauungspläne, egal ob PAG oder PAP, zu richten haben. Es löst das aus dem Jahre 1937 ab, und auf Wunsch vieler Gemeinden wurde eine Übergangsfrist von zwei Jahren gewährt – eben bis zum 7. August dieses Jahres. Bis dahin sollten die Projekte, die noch nach dem alten Gesetz genehmigt worden waren, abgeschlossen sein. Das warf viele Fragen prozeduraler Natur auf.
D’Wort: Weitere Dauerbrenner?
Jede Gemeinde hat ihre Probleme und somit auch ihre ganz spezifischen Fragen. Ein Trend ist dabei aber unübersehbar: Große Gemeinden stellen andere Fragen als kleine. Außerdem pflegen einige einen viel intensiveren Kontakt zum Distriktskommissar, so dass nicht unbedingt jedes Problemchen bis zu uns vordringt.
D’Wort: Eine Sorge, die sich viele Gemeinden teilen, ist ihre Finanznot …
Wenn sich Gemeinden zu politischen Aussagen hinreißen lassen, dann verlangen sie in der Regel mehr Geld. Kleine Gemeinden in noch stärkerem Maße als große, die einfach mehr Möglichkeiten haben, um ihre Aufgaben zu bewältigen.
D’Wort: Aber groß bedeutet nicht unbedingt reich …
Die luxemburgischen Gemeinden geben ein sehr heterogenes Bild ab: Es gibt große und kleine, reiche und arme. Natürlich schlägt sich das in der Art und Weise der Verwaltung nieder. Trotzdem kann man nicht behaupten, dass es die kleinen schlechter machen würden als die großen. So fällt zum Beispiel auf, dass kleinere Gemeinden oft preiswerte Infrastrukturen errichten, die ihren Zweck genauso erfüllen wie kostspielige. Hier spielt das Budget eine große Rolle: Wer mehr Geld hat, gibt oft auch mehr Geld aus – und umgekehrt.
D’Wort: Was schließen Sie daraus?
ch plädiere dafür, dass die Gemeinden stärker werden. Mit Spannung warte ich auf die Ergebnisse der Spezialkommission zu diesem Thema. Daraus müssen wir dann Schlussfolgerungen ziehen.
D’Wort: Inwieweit stimmen Sie der Aussage zu, dass 40 Gemeinden für Luxemburg ausreichend sind?
Auf den ersten Blick ist diese Aussage nicht falsch. Aber es kommt auf die Betrachtungsweise an. Denn auch vier Gemeinden können unter Umständen ausreichend sein! Aber die Zahl ist nicht entscheidend. Das Ziel muss sein, dem Bürger unabhängig von Wohnort und Gemeinde eine Reihe von Basisdiensten zu vergleichbaren Preisen anzubieten.
D’Wort: Was fällt darunter?
Dazu gehören die Kinderbetreuung und das Schulangebot ebenso wie die Straßeninfrastruktur und die Wassernetze. Natürlich ist das für kleine Gemeinden schwer zu bewerkstelligen, denn daneben gibt es noch eine Fülle zusätzlicher Aufgaben. Deshalb haben wir uns auch für eine “Masse critique” von 3 000 Einwohnern entschieden. Damit die Gemeinden nicht unbedingt besser, aber effizienter arbeiten können.
D’Wort: Also weniger Gemeinden, die dafür umso stärker sind?
Daraus könnten sich neue Perspektiven ergeben: Ich hege nämlich die Hoffnung, dass große Gemeinden effizienter und kostengünstiger arbeiten als kleine. Ohne aber die Erkenntnis zu ignorieren, dass kleine ihr Geld oft gezielter einsetzen als große. Schwarzweißmalerei ist also fehl am Platz!
D’Wort: Die Zahl der Gemeinden ist demnach kein Selbstzweck?
Wir brauchen motivierte Gemeinden, denn sie haben bei uns eine ganz andere Bedeutung als in vielen anderen Ländern. Wir sind auf sie angewiesen, deshalb auch die Idee der “Communautés de communes”, für die, die nicht fusionieren wollen. Mit der Brechstange dürfen wir nicht vorgehen!
D’Wort: Und wenn schon Fusion, dann nach welchen Kriterien?
Ausschlaggebend ist der Gedanke der Territorialität. Wir sollten das Land so aufteilen, dass überall alles abgedeckt wird. Nehmen wir die Infrastrukturen: Um hier eine bessere Gewichtung zu ermöglichen, könnte man sich vorstellen, das vorhandene Geld nach einem territorialen Schlüssel zu verteilen. Um zu verhindern, dass es an einer Stelle ein Überangebot gibt und anderswo überhaupt keins.
D’Wort: Apropos Territorialität: In vielen Gemeinden mit schlechter Verkehrsanbindung wird massiv gebaut – weil die Grundstückspreise dort niedriger sind. Geht das nicht gegen die IVL-Vorgaben, dort zu wohnen, wo man arbeitet, um die Wege zu verkürzen?
In einem gewissen Sinne ist dies konträr zu den Zielen des “Integrativen Verkehrs- und Landesplanungskonzepts”. Laut IVL sollen kleine Gemeinden ja weniger heftig wachsen. Auf der anderen Seite haben wir einen “Bedarf an Wachstum” und wir können nicht nur die IVL-konformen Gemeinden wachsen lassen, sprich die mit regionaler Bedeutung und guter Verkehrsanbindung. Dafür ist die Situation auf dem Wohnungsmarkt einfach zu verkrampft. Deshalb brauchen wir diese Öffnung, auch wenn sie nicht unbedingt im Sinne des IVL ist. Aber selbst IVL-Experten sehen das so.
D’Wort: Die Gemeindeautonomie einmal ad acta gelegt: Welchen Wunsch hätten Sie an die Gemeinden?
Dass sie ihr Geld optimal einsetzen und polyvalente Lösungen bevorzugen. Ihre Basisdienste sollten sie zu einem guten Preis-Leistungsverhältnis anbieten können. Im Großen und Ganzen sind unsere Gemeinden aber gut geführt.
D’Wort: Ein zweites Gefängnis soll gebaut werden. Gibt es ein Geschenk für die Empfänger-Gemeinde?
Meines Wissens haben sich bis dato nur Bürgermeister zu Wort gemeldet, die es nicht haben wollen. Aber die Idee eines “Package” finde ich interessant. Wenn sich schon jemand die Ehre gibt, dann sollte dies auch honoriert werden.
Interview: Luc Marteling
Quelle: d’Wort 9. Oktober 2006