CSV Nationalkongress 2006: Aktivitätsbericht der CSV Europaabgeordneten Astrid Lulling
September 2005 bis Juli 2006
1° Eine anspruchsvolle Funktion als Quästorin
Meine Funktioun als Quästorin nimmt einen grossen Teil meiner Arbeit in Anspruch. Das Parlament wählt nebem dem Präsidenten und den 14 Vizepräsidenten, fünf Quästoren. Die fünf Quästoren sind gemäß vom Präsidium erlassenen Leitlinien mit Verwaltungs- und Finanzaufgaben betraut, die die Mitglieder direkt betreffen. Die Mandatsdauer beträgt zweieinhalb Jahre.
Am Anfang der Legislatur werden die Kompetenzen zwischen den fünf Quästoren aufgeteilt. Ich wurde mit dem Transport der Abgeordneten, den Sprach- und Informatikkursen, dem Post- und Druckdienst für Abgeordnete, der Vereinigung der ehemaligen Abgeordneten, dem Pensionsfonds der Abgeordneten, den Kontakten zu den Behörden in Luxemburg und in Strassburg und schliesslich mit dem Zugang zu der Sportinfrastruktur beauftragt. Konkret bin ich jeden Tag mit einer grossen Anzahl Belangen der EP-Mitglieder befasst; in meiner Funktion geht es in erster Linie darum, die offiziellen Regeln und die diversen Interessen der Abgeordneten auf einen gemeinamen Nenner zu bringen.
Dem muss man hinzufügen, dass die Quästoren Mitglied des Präsidiums sind und ein Mitspracherecht haben, wenn auch kein Stimmrecht. Dennoch kann man als Quästor einen grossen Einfluss auf wichtige Entscheidungen haben, so zum Beispiel in der Sitzfrage.
Ich habe durch informelle Kontakte dazu beigetragen, den Sitz in Luxemburg zu festigen, dank einer klugen Immobilienpolitik im vollen Einklang mit der Regierung. Der Vertrag zum Ausbau des Konrad Adenauer-Gebäudes konnte endlich unterzeichnet werden, nachdem ich für eine reibungslose Zustimmung im Präsidium gesorgt hatte. Mit viel Energie und Diplomatie habe ich geholfen, die ungerechtfertigten, sogar skandalösen Angriffe gegen die Stadt Strassburg abzuwehren, mit dem erfreulichen Resultat, dass sich das EP und die Stadt Strassburg nach monatelangem Hin und her, endlich über den Ankauf von drei Immobilien einigen konnten.
2° Mitglied des Wirtschafts- und Währungsausschusses
Dieser Ausschuss zählt zu den wichtigsten im EP, durch seinen breiten Zuständigkeitsbereich in allen Währungs-, Wirtschafts- und Steuerfragen. Auf der Tagesordnung der letzten Monate standen eine ganze Reihe von Sachfragen, welche die Interessen des Finanzplatzes direkt berühren: zweite Etappe der Umsetzung des Aktionsplans für den Binnenmarkt der Finanzdienstleistungen, indirekte Steuern und Akzisen, Basel II, “clearing and settlement”, Zinsbesteuerung und “coroporate governance”.
Wenn auch manchmal von unbeschreiblicher Komplexität gekennzeichnet, sind die meisten Dossiers von strategischer Bedeutung für die weitere Entwicklung des Finanzplatzes Luxemburg.
Im Fall Basel II und der EU-Direktive zu Eigenkapitalanforderungen ist es mir gelungen, den Deutschen Versuch, die Etablierung der Hypothekenbanken in Luxemburg aufs Spiel zu setzen, erfolgreich zu kontern. Die konkrete Umsetzung des deutschen Vorhabens hätte katastrophale Folgen für Luxemburg gehabt.
In meiner Position als Schattenberichterstatterin zum Grünbuch der Kommission über die Entwicklung des “asset management” in Europa habe ich die Linie der EVP-ED Fraktion in dieser existenziellen Frage koordiniert und festgelegt.
Die Fondsindustrie in Luxemburg, die zweitgrößte in der Welt, ist von einem gut funktionierenden offenen europäischen Einheitsmarkt abhängig. Die Prinzipien der Europäischen Gesetzgebung sind völlig in Ordnung, die Praxis ist aber leider noch zu oft von Protektionismus gekennzeichnet. Die europäische Gesetzgebung sollte deshalb verbessert, nicht aber auf den Kopf gestellt werden.
3° Die Richtlinien Dienstleistungen im Binnenmarkt und Reach
Beide sehr umstrittene Richtlinien standen auf der Tagesordnung der letzten Monate. Ein kurzer Kommentar ist daher angebracht.
Ich habe die erste Lesung zur Richtlinie über Dienstleistungen im Binnenmarkt als einen Sieg der politischen Korrektheit bezeichnet. Ich will keinen Hehl aus meiner Enttäuschung über diesen schwachen Kompromiss machen. Das Abweichen vom Herkunftlandsprinzip ist für Luxemburg die schlechteste Lösung überhaupt. Eine derart aufgeweichte Richtlinie riskiert noch hinter dem EWG-Vertrag zurückzubleiben, der schon 1957 das Prinzip der Freizügigkeit für Dienstleistungen festschrieb. Wenn es so weit käme, könnte diese Freiheit wohl besser ohne Richtlinie als mit einem derart aufgeweichten Text gewährleistet werden. Allerdings wird die Rechtsunsicherheit, die der Kompromisstext unweigerlich schafft, die Vollbeschäftigung von Juristen und Richtern sichern, nicht aber die Arbeitslosigkeit in der EU bekämpfen.
Ich bin entsetzt über die Desinformation, ja über die Lügen, die diesbezüglich in Bezug auf die Arbeitnehmerrechte verbreitet wurden. Noch immer gilt die Entsenderichtlinie von 1996, und niemals war auch im Bolkestein Entwurf vorgesehen, diese zu verändern.
Mit dem Richtlinienentwurf Reach kam es noch schlimmer. Die paar Luxemburger, die sich dazu herabliessen, ihre Unterschrift unter einen von einer mächtigen Organisation entworfenen Drohbrief zu setzen, konnten ebenso wenig wie eine diffamierende Pressekampagne in meinem Heimatland über meine angebliche Lobbyarbeit für die chemische Industrie mich davon abhalten, aufgrund einer soliden Information und ausgiebigen Diskussion in meiner Fraktion mit gutem Gewissen so abzustimmen, wie das auch die grosse Mehrheit meiner Kollegen tat.
Wenn diese Richtlinie so zustande kommt wie ich sie mittrage, wird sie weltweit die beste Garantie für Gesundheitsschutz gegen gefährliche Chemikalien sein ohne dafür unnötig Arbeitsplätze in Europa zu vernichten, Klein- und Mittelbetriebe den Garaus zu machen oder sogar Produktionsgeheimnisse zu verletzen. Die zweite Lesung dieser Richtlinie steht für den Herbst an. Ich werde die vitalen Interessen der Wirtschaft nicht aus den Augen verlieren.
4° Ausschuss für die Rechte der Frau und der Gleichstellung der Geschlechter
Im Ausschuss für die Rechte der Frau und der Gleichstellung der Geschlechter wurde ich mit dem Bericht zur Verbesserung der Portabilität von Zusatzrentenansprüchen beauftragt. Es geht darum, erworbene Rechte von Arbeitnehmern sicherzustellen, wenn sie ihre Arbeitsstelle wechseln. Dieser Richtlinienentwurf ist für Frauen von zentraler Bedeutung, denn Unterbrüche in ihrer Laufbahn haben oft sehr negative Wirkungen auf ihre Zusatzrentenansprüche.
5° Landwirtschaftsausschuss und Intergruppe “Wein, Qualität, Tradition”
Als Ersatzmitglied im Landwirtschaftsausschuss des Europäischen Parlaments bemühe ich mich zur Zeit um den Schutz der europäischen Ursprungsbezeichnungen in der Welthandelsorganisation (WTO), da diese, insbesondere was den Weinsektor betrifft, von Konkurrenten in der dritten Welt schamlos usurpiert werden.
Der Bericht der Kommission zur Reform der Weinmarktordnung liegt vor, mit Vorschlägen, die ein soziales und wirtschaftliches Risiko für den europäischen Weinbau darstellen.
In meiner Eigenschaft als Vorsitzende der Intergruppe Wein, Qualität und Tradition des Europäischen Parlaments habe ich eine wichtige Vermittlerrolle in diesem Dossier. Anstatt der defensiven Politik, welche zur Dezimierung des Weinbaupotentials der Europäischen Union mit katastrophalen Folgen für die Umwelt und unzumutbaren Konsequenzen für Beschäftigung und Einkommen im Weinbau führen würde, sollte die Weinmarktordnung eine offensive Politik mit neuem Potential für die europäische Weinwirtschaft ermöglichen.
Mit europäischen Qualitätsprodukten sollten neue Märkte in- und außerhalb der EU erschlossen und der mäßige Weinkonsum gefördert werden. Dies ist durchaus machbar, wenn die vorhandenen Finanzmittel besser eingesetzt und die regionale Verantwortung gestärkt werden.
6° Vize-Präsidentin der Parlamentarischen Versammlung AKP-EU
Die Paritätische Parlamentarische Versammlung AKP-UE umfasst Vertreter des Europaparlaments und der Parlamente der AKP-Staaten aus Afrika, der Karibik und dem Pazifik. Ich hatte die Ehre an einen der Posten als Vizepräsident zu gelangen. Diese Versammlung tagte zweimal, das erste Mal in Edinburgh vom 19. bis zum 24. November 2005, das zweite Mal in Wien, vom 20. bis zum 24. Juni 2006. Ich bemühe mich, eine ehrliche und klare Sprache zu reden und falsche Ansichten zu bekämpfen, wie zum Beispiel die Idee, dass die europäische Agrarpolitik Mutter allen Übelns in den Drittweltländern sei.
Meine Öffentlichkeits- und Informationsarbeit habe ich weitergeführt, und seit Juli 2004 monatlich Besuchergruppen Straßburg und in Brüssel empfangen. Mehr denn je bedarf Europapolitik guter Erklärung, denn die Ratlosigkeit der Bürger wächst in erschreckender Weise
Astrid LULLING