Bosnien und Herzegowina: Srebrenica klagt an

Die Welt hat die Wiederaufnahme des UN-Kriegsverbrecher-Tribunals am Montag, den 26. August in Den Haag weitgehend nicht zur Kenntnis genommen. Von Marcel Oberweis, CSV-Abgeordneter

Das aktuelle politische Geschehen im Nahen und Mittleren Osten sowie in Afrika lässt dies nicht zu. Seit dem Verbrechen an der Menschheit in Srebrenica am 11. Juli 1995, dem Massaker an den Bosniaken, sind über 11 Jahre vergangen und die beiden Kriegsverbrecher Mladic und Karadzic sind noch immer nicht gefasst und ihrer gerechten Strafe überführt worden. Ihnen und ihren Schergen werden schwerste Verfehlungen im Rahmen der ethnischen Säuberungen und des Völkermordes zur Last gelegt. 100.000 Menschen, über 70 % davon Moslems haben ihr Leben in diesem völkerverachtenden Gemetzel auf dem Balkan verloren.

Der Dayton-Vertrag hatte wohl dem ethnischen Bruderkrieg in Bosnien & Herzegowina ein Ende gesetzt, der Wiederaufbauprozess kommt jedoch eher schleppend voran, das Zusammenlaben der Föderation Bosnien & Herzegowina und der Republik Srpska ist eher spannungsgeladen. Seitdem sich Montenegro von Serbien getrennt hat, verstummen die Rufe nicht, die Republik Srpska an Serbien anzugliedern. Wer sich die Geographie der beiden Einheiten ansieht, mag verstehen, dass sich Bosnien und Herzegowina in einer prekären Lage befindet. Entlang einer unsichtbaren Grenze bewegt man sich in einem geteilten Land und nur die Ortstafeln in kyrillischer Schrift lassen dies erkennen.

Hatte man noch beim Abschluss des Dayton-Vertrages der Hoffnung Ausdruck gegeben, die Flüchtlinge würden in ihre Heimatdörfer zurückkehren, so ist die Enttäuschung groß. Ganze Landstriche bleiben entvölkert, die Rückkehr erfolgte nur in die Gebiete, in denen die Flüchtlinge sich aufgrund ihrer nationalen Herkunft und Religion vor Diskriminierung und Verfolgung sicher sein konnten, das Misstrauen sitzt tief zwischen den ethnischen Gruppen.

Als erschwerend für das Zusammenleben stellt sich die ausgehandelte Verfassung dar, sie verhindert die Entfaltung eines Nationalgefühls. Der aktuelle Hohe Repräsentant, Christian Schwarz-Schilling, hat überdies bekannt gegeben, dass sein Büro am 30. Juni 2007 schließen wird. Die gescheiterte Verfassungsreform vor wenigen Monaten stellt sich als ein herber Rückschlag dar. Den Menschen, ist klar geworden, dass der Annäherungsprozess zur Europäischen Union um Jahre zurückgeworfen wurde. Bosnien & Herzegowina kann nur als Staat und Gesellschaft eine Zukunft haben, wenn es gelingt, die Strukturen zu schaffen, die der Gesamtbevölkerung Sicherheit bietet und die wirtschaftliche sowie gesellschaftliche Entwicklung fördert.

Nur im Schoss der Europäischen Union erhält Bosnien & Herzegowina die Chance, wirtschaftlich Anschluss zu erhalten, das wissen die Menschen, die Politiker anscheinend nicht. Angesichts der derzeitigen Resignation liegt eine hohe Arbeitslosigkeit (nahezu 45 %) vor und es erstaunt sein, dass insbesondere die Jugend keine Zukunft in ihrem Heimatland sieht. 11 Jahre nach dem Massaker von Srebrenica und dem Abschluss der Friedensverhandlungen ist die Zeit jedoch gekommen, dem Friedensprozess in Bosnien & Herzegowina einen neuen Impuls zu geben.

Nur durch einen starken Impuls kann der Friedensprozess vorankommen

Für den Nichteingeweihten sei daran erinnert, dass Srebrenica als Schandmal der europäischen Politik in die Geschichte eingehen wird. Nach 1945 hatte sich Europa geschworen: Nie mehr Krieg auf europäischen Boden. Zu Beginn der 90er Jahre des vorigen Jahrhunderts begann der Balkankrieg, welcher das frühere Jugoslawien in seine Bestandteile sprengte und die Welt sah dem Blutvergießen vier Jahre lang zu.

Am 11. Juli 1995 erlaubten die UNO-Truppen unter dem Befehl des Niederländers Thom Karremans den serbischen Schergen, über 8000 Bosniaken, Männer und Jugendliche ab 16 Jahren aus der Moslem-Enklave Srebrenica im Osten von Bosnien & Herzegowina in die Wälder zu verschleppen. Unterwegs wurden sie massakriert und im Boden verscharrt, dies auf Geheiß von Ratko Mladic. In der Nähe von Kamenica wurden vor wenigen Tagen die sterblichen Überreste von fast 1000 Menschen entdeckt, Opfer des größten Blutbades auf europäischem Boden nach dem Zeiten Weltkrieg.

Mitte August habe ich im Rahmen meiner humanitären Tätigkeiten mit dem Umwelt- und Energiezentrum in Tuzla, die Bergortschaft Srebrenica besucht. Etwa 2500 Leichen konnten bisher in den Wäldern ausgegraben und auf dem Friedhof in Potocari, dem Mahnmal von Srebrenica, zur letzten Ruhe gebettet werden. Zorn und Trauer überkommen den Besucher an diesem Ort, von welchem jedoch die Hoffnung ausgeht, dass der Versöhnungsprozess weitergeführt werden kann.
Auch nach 11 Jahren hinterlassen die vielen Ruinen, verbrannte Gebäude und Einschusslöcher eine tiefe Betroffenheit, man glaubt, das Schreien der gepeinigten Menschen zu hören. Srebrenica war vor dem Krieg eine Ortschaft mit Thermalbädern und es herrschte, so die wenigen Einwohner, die man dort begegnet, eine ausgelassene Stimmung, von alledem, nur noch stummer Schrei.

Den Menschen die Hoffnung geben, den Blick nach vorne zu richten

Die internationale Gemeinschaft braucht ein gestärktes Bosnien & Herzegowina, insbesondere Europa benötigt dies als Zeichen der Friedenspolitik auf dem Balkan. Wenn dies nicht gelingt, wird es keine dauerhafte Stabilität auf dem Westbalkan geben. Für die anstehenden EU-Beitrittsländer Rumänien und Bulgarien wird die Aufgabe, die Brücke zwischen Europa und Asien aufzubauen, schwer belastet. Die kriegsgepeinigte Ortschaft Srebrenica und der angegliederte Friedhof sollen als Mahnmal den Mut zur Versöhnung liefern.

Bosnien & Herzegowina muss im eigenen Interesse des Überlebens mittelfristig ein schlüssige Wirtschaftspolitik und die soziale Integration aller ethnischen Gruppen vorweisen. Da viele Menschen alle Hoffnung auf die Europäische Union setzen, wäre es auch für die EU- Außen- und Sicherheitspolitik ein herber Schlag, wenn dieses Unternehmen scheitern würde.

Marcel Oberweis, CSV-Abgeordneter