Die Globalisierung und die Verlierer

Die Globalisierung und in ihrem Gefolge die Migration von Millionen Menschen rufen weit reichende Herausforderungen hervor. Von Marcel Oberweis, CSV-Abgeordneter

Die Globalisierung und in ihrem Gefolge die Migration von Millionen Menschen sowie die sich verbreiternde Kluft zwischen den armen und reichen Nationen dieser Welt rufen weit reichende Herausforderungen hervor. Die Migration kann man als eine Art von sozialer Bewegung verstehen, da es immer Menschen gab, die sich aufmachten, um an fremden Küsten zu landen und dort ihre Ansprüche an Frieden und Wohlstand stellten. Die meisten Menschen indes, die ihre angestammte Heimat verlassen, tun dies, um ein besseres Leben zu suchen, es zieht sie in die reichen Industrieländer oder in die aufwachenden Schwellenländer.

UN-Behörden schätzen, dass im Jahr 2005 etwa 62 Millionen Menschen aus den südlichen Entwicklungsländern nach Norden aufbrachen. Die Flüchtlinge, die an den Gestaden der Kanarischen Inseln oder der EU-Mittelmeerländer eintreffen, zwingen uns, vor allem die Entwicklung in Afrika genauer zu verfolgen.

Und die ungezählten Menschen, die die Ufer nie erreichen?

Die Europäische Union kann mit Naturkatastrophen, ob Erdbeben oder Flüchtlingskrisen, in der Welt gut umgehen. Jedoch bei diesem Problem vor der eigenen Haustür ist sie macht- und sprachlos. Die Frage sei erlaubt, locken wir diese Menschen nicht an, fehlen uns doch reihenweise Erntearbeiter, Putzkräfte, Kindermädchen und Bauarbeiter Man schätzt die Zahl der illegalen Einwanderer auf 10 bis 15 Millionen Menschen, die als Billigarbeiter ohne geregelte Arbeitszeiten und keinerlei soziale Absicherungen ihr Leben fristen, in meinen Augen die Verlierer der Globalisierung.

Mobilisierungsplan gegen das Weltelend

Die internationale Gemeinschaft hat sich angesichts der erschreckend hohen Zahl verarmter Menschen dazu verpflichtet, die Anzahl der Betroffenen bis zum Jahr 2015 zu halbieren. Zur Erreichung der internationalen Ziele der Armutsbekämpfung sind gewaltige Anstrengungen notwendig. Die “Millennium Development Goals” verpflichten uns, anspruchsvolle Entwicklungsziele in einem in historischen Maßstäben kurzen Zeitraum zu verwirklichen. Während den vergangenen 40 Jahren hat sich das Weltbruttosozialprodukt verdoppelt, hingegen das wirtschaftliche Ungleichgewicht zwischen den Reichen und den Armen verdreifacht. Die 25 % Reichen des Planeten vereinnahmen 80% der Naturressourcen, die Brosamen verbleiben für die anderen 75 % Benachteiligte. 2,9 Milliarden Menschen von der 6,6 Milliarden umfassenden Weltbevölkerung müssen ihren Tag mit weniger als 2 $ fristen. Ein besseres Leben für die minderbemittelten Menschen kann gewährleistet werden, wenn wir mehr finanzielle Mittel im Rahmen der Entwicklungshilfe bereitstellen, 135 Milliarden $ statt der aktuellen 60 Milliarden $ werden benötigt.

Bei näherer Betrachtung der aktuellen Weltlage stellt man fest, dass die internationale wirtschaftliche Bedeutung der Entwicklungsländer verschwindend gering ist, die Hauptakteure am Weltgeschehen sind auf der Nordhälfte der Erde beheimatet. In den Entwicklungsländern leben wohl die meisten Menschen, etwa vier Fünftel der Weltbevölkerung, und ihre Anzahl steigt beständig, jedoch im Gegensatz dazu beträgt ihr Anteil am Weltbruttosozialprodukt weniger als ein Fünftel. Am Beispiel Afrika lässt sich dies zeigen, spielen doch die Länder südlich der Sahara, außer Südafrika, keine Rolle auf dem Globalisierungsparkett. Seit Jahren stagniert das Wachstum in Afrika und ihr Anteil am Welthandel liegt unter zwei Prozent, einen Wirtschaftsstandort Afrika kennt man nicht. Angesichts der trüben Aussichten auf Verbesserung ihrer Lebensqualität sind die jungen Menschen aus den Ländern Afrikas bestrebt, die beschwerliche Reise, oft mit offenem Ausgang, anzutreten und nach Europa aufzubrechen.

Während den letzten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts haben einige Entwicklungsländer Tritt auf der Weltbühne gefasst und haben sich zum Schwellenland hervorgearbeitet. Viele Entwicklungsländer verharren jedoch noch immer auf einem niedrigen Stand des Wirtschaftswachstums, sie schaffen den Anschluss nicht. Insbesondere in Afrika waren es die kriegerischen Auseinandersetzungen, die schleichende Klimaänderung, die verheerende Aids-Krankheit sowie die politischen Turbulenzen, welche den dringend benötigten wirtschaftlichen Aufschwung verhindern.

Von den 49 ärmsten Ländern der Erde liegen deren 33 in Afrika und noch nie waren so viele Afrikaner von der Hungersnot getroffen wie heute. Diese verarmten Länder können sich die benötigten Investitionen allein nicht leisten, weder in die Menschen, in die Umwelt sowie in die Infrastrukturen. Afrika bleibt von Konflikten beherrscht und von Regierungen, die ihre Verantwortung für die hausgemachten Probleme an den Westen delegieren. Es überrascht denn auch nicht, dass die Entwicklung in Afrika als eine gefährliche Hypothek für das angebrochene 21. Jahrhundert eingestuft wird.

Die Bekämpfung der extremen Armut wird vor dem Hintergrund der fortschreitenden Globalisierung und der sich vertiefenden sozialen Kluft zwischen Industrieländern und ärmsten Entwicklungsländern, als eine zentrale Aufgabe der Weltgemeinschaft verstanden. Insbesondere die Arbeitslosigkeit stellt gravierende Probleme in den Entwicklungsländern dar und zählt aufgrund unzureichender sozialer Absicherungssysteme zu den Hauptursachen für die gravierende Armut.

Hat nicht auch das Scheitern der Doha-Runde dazu beigetragen, dass diese Plage nicht vernichtet wurde, wenn man in Betracht zieht, dass bei erfolgreichem Abschluss etwa 70 Millionen Menschen der Teufelskreis der Armut hätten entfliehen können. So werden die armen Menschen in den Entwicklungsländern weiterhin von den lukrativen Agrarmärkten der Industrieländer weitgehend ausgeschlossen. Es sollte uns doch einleuchten, dass auf Dauer dieses Flüchtlingsdrama die Kräfte Europas überfordern wird, und permanent Mauern anlegen, hilft nicht. Aus wirtschaftlicher Notwendigkeit heraus werden nicht umhin kommen, den Entwicklungsländern zu erlauben, ihre Produkte auf dem Weltmarkt abzusetzen. Dies wird den Menschen die notwendige Perspektive zum Verbleiben liefern. Kann man sich vorstellen, wenn die männliche Jugend Afrikas auswandert, es bleiben zurück die Frauen und die alten Menschen, fürwahr kein Hoffnungsschimmer.

Den Menschen helfen, Vertrauen zu gewinnen

Fortschritte in Afrika können nur demnach nur erreicht werden, wenn massiv in die Wirtschaft investiert wird, zusätzlich müssen finanzielle Mittel für die Bildung, die sozialen Bereiche und die Ernährung eingebracht werden. Es sollte uns alle berühren, den Menschen in Afrika eine Chance zum Überleben auf angestammter Heimat zu geben. Ohne dieses vertrauenserweckende Klima und den im Gefolge aufkommenden Frieden werden die Jugendlichen aufbrechen und ihren Weg in die industrialisierten Länder antreten. Der Kampf gegen die Armut kann aber nicht getrennt werden von den Bemühungen um die Gleichstellung von Frauen und Männern, die Demokratisierung und die Beachtung von Menschenrechten sowie den Schutz der natürlichen Ressourcen.

Der Kampf gegen die Armut ist eine internationale Gemeinschaftsaufgabe, nie zuvor waren sich Nord und Süd in einem Entwicklungsziel so einig. Diese Anstrengung sollte uns beflügeln, die wirtschaftliche Stagnation, die humanitäre Katastrophen, die Ausbeutung, die Konflikte und die Verelendung breiter Massen zu überwinden. Für die Völker in Europa, die z.T. bereits eine Friedenszeit und wirtschaftlicher Wohlstand seit nahezu 60 Jahren genießen, kann es doch nur wünschenswert sein, diese insbesondere Afrika, zu verwirklichen. Angesichts der Tatsache, dass täglich 25.000 Menschen verhungern, ist es christliches Gebot, diese Plage zu tilgen.

Der demokratische Aufbau muss zum zentralen Anliegen der Entwicklungshilfe für die Länder Afrikas erkoren werden, denn Entwicklungspolitik ist in der Tat auch Friedenspolitik. Alle können diesen Frieden erst voll genießen, wenn die bittere Armut in allen Teilen der Welt abgeschafft ist. Den Kampf gegen die Armut werden wir dann gewinnen, wenn in der Bevölkerung eine globale Solidarität vorhanden ist.

Die europäische Kommission hat vorgeschlagen, dass Europa seine Hilfe in den kommenden zehn Jahren verdoppeln wird. Bis 2010 möchte die Europäische Union ihre Entwicklungshilfe um 20 Milliarden € jährlich aufstocken. 1)

Marcel Oberweis, CSV-Abgeordneter

1) Afrika: Antwort und Verantwortung José Manuel Barroso – Luxemburger Wort 5. Juli 2005 Seite 8