Eine offensive Wasserpolitik

Innenminister Jean-Marie Halsdorf und André Weidenhaupt, Direktor der Wasserwirtschaftsverwaltung, über Wasserpolitik in Luxemburg und die EU-Wasserrahmenrichtlinie

Link: Abteilung “Gestion de l’eau”des Innenministeriums

forum: Laut europäischer Wasserrahmenrichtlinie ist ein Großteil der Gewässer in Europa verschmutzt. Bis 2015 sollen Gegenmaßnahmen eine Verbesserung l/ringen. Auch in Luxemburg sind so manche Gewässer in einem schlechten Zustand. Wieso ist die Qualität der luxemburgischen Gewässer so schlecht?

Jean-Marie Halsdorf: Ich bin mit der Formulierung Ihrer Frage nicht einverstanden. Die Qualität des Luxemburger Wassers ist nicht so schlecht, wie Sie das darstellen. Sie ist natürlich verbesserungsfähig und bei verschiedenen Gewässern muss noch so manches geschehen. Aber dazu müssen die Gemeinden mitziehen. Die sind in Luxemburg für die Trinkwasserversorgung und die Abwasserreinigung zuständig.

Das Ministerium kann nichts tun, um die Wasserqualität zu verbessern?

J.-M.H.: Wir können die Gemeinden natürlich durch eine Strategie und durch eine konsequente Vorgehensweise dazu motivieren, uns zu unterstützen. Aber definitiv liegt die Kompetenz bei den Gemeinden. Sie sind es, die entscheiden müssen, ihre Gewässer zu renaturieren, eine Kläranlage zu bauen oder ein Ufer anders anzulegen. Letztlich kann nur gemeinsam etwas geschehen. Wir werden es versuchen und haben dazu mit unserem neuen Direktor eine Strategie entwickelt. Ich glaube außerdem an das neue Gesetz, das wir bald einreichen werden. Es handelt sich hierbei um mehr als nur die Umsetzung der Wasserrahmenrichtlinie, sondern es ist ein richtiges Rahmengesetz, das dem Wasser einen anderen Stellenwert geben und die Vernetzungen in diesem Bereich richtig aufzeigen wird.

In Sachen Grundwasser haben wir ebenfalls einen Plan. Wir haben für den Quellenschutz und die Ausweisung von Schutzzonen eine offensivere Politik gewählt. Es stimmt, dass wir beim Quellenschutz unsere Hausaufgaben nicht gemacht haben. Hier sollten schon seit 1993 Schutzzonen ausgewiesen sein. Von der Technik her stehen wir in den Startlöchern, nur, es müssen noch hydrogeologische Untersuchungen gemacht werden, die sehr zeitaufwendig sind.

Partnerschaft zwischen Staat und Gemeinden

Wie wäre dann die Vorgehensweise?

Andre Weidenhaupt: Momentan gibt es noch keine Zeitvorgabe. Im Gesetzesvorschlag ist vorgesehen, dass die Gemeinden das in Partnerschaft mit uns regeln sollen. Natürlich wird das Ministerium die Schutzzonen ausweisen. Es steht auch schon fest, dass ab 2015 kein Trinkwasser mehr aus einer Quelle entnommen werden darf, die keine Schutzzone hat.

Werden Sie also weniger auf die Versorgung aus dem Stausee und mehr auf die Quellen setzen?

J.-M.H.: Wir wollen auch auf die Quellen setzen. Wir streben eigentlich eine Valorisierung des gesamten Quellenbereichs an. Dies ist in der Öffentlichkeit bisher wenig bekannt. Auch was die Grundwassernutzung angeht: Man benötigt eine Genehmigung für jede Art von Bohrung, sei es um das Grundwasser anzuzapfen oder zu geothermischen Zwecken. Man kann nicht einfach so ein Loch bohren und sich wie im Supermarkt bedienen. Da ziehen wir eine strikte Linie.

Bisher wurden die Genehmigungen doch eher großzügig verteilt…

A.W: Teils, teils. Wir sind im Moment so restriktiv wie möglich. Aber so lange es keine Gesetzgebung gibt…

J.-M.H.: Das neue Gesetz wird strikter sein und Transparenz schaffen.

A.W: Das Gesetz hat als Aufhänger den guten quantitativen und chemischen Schutz des Grundwassers, wie es die Wasserrahmenrichtlinie vorschreibt. Damit haben wir eine gute Handhabe.

Wird man bei Bohrungen für das entnommene Wasser zahlen? In Deutschland gibt es bereits solche Modelle.

J.-M.H.: Diese Frage haben wir uns noch nicht gestellt. Wir wollen aber im Rahmen der Wasserrahmenrichtlinie eine taxe de prelevement und eine taxe de pollution einführen, d. h. entnommenes Trinkwasser wird genau so besteuert werden wie verschmutztes.

Glauben Sie mit diesen Maßnahmen die Ziele der Wasserrahmenrichtlinie in funkto Wasserqualität einhalten zu können?

J.-M.H.: Ich glaube, dass wir mit unserer Kostendeckungsstrategie über die Runden kommen werden. Einerseits müssen die Gemeinden, unter Berücksichtigung ihrer Investitionen, einen kostendeckenden Wasserpreis berechnen, andererseits müssen wir als Staat diese Steuern verrechnen. Die eingenommenen Gelder können dann in Kläranlagen, Quellenschutz oder Renaturierung gesteckt werden. Das müsste aufgehen.

A.W: Im Hinblick auf das 2015-Ziel des guten ökologischen Zustands der Gewässer, haben wir bei der Bestandsaufnahme festgestellt, dass ein Drittel der Oberflächengewässer diesen Zustand eventuell nicht erreichen wird. Verglichen mit dem nahen Ausland ist dies aber ein guter Wert. Für die Meuse und deren ganzes Einzugsgebiet schätzt man z.8., dass 65% dieses Ziel nicht erreichen werden. Bei uns liegt es u. a. daran, dass wir nicht genügend Kläranlagen haben. Ein weiteres großes Problem sind z. B. Flüsse wie die Petruss. Die Petruss kann das beste Wasser führen, trotzdem ist es noch immer nicht in einem guten ökologischen Zustand, weil es durch diesen Beton-Kanal läuft. Von diesen Petrussen gibt es mehrere in Luxemburg. Die kleineren Bäche sind in einem guten Zustand. Wir haben nur im Ösling durch die Landwirtschaft etwas Probleme mit den Oberflächengewässern. Aber wir wissen, welche Maßnahmen wir ergreifen müssen. So ist u. a. das Innenministerium mit dem Landwirtschaftsministerium eine Art Partnerschaft eingegangen.

“Wassergerechtes” Verhalten der Landwirtschaft

Wenn Sie mit dem Wasserschutz ernst machen, wird es für den einzelnen Bauern nicht einfach. Er kann seine Gülle nicht mehr wie gewohnt ausbringen, wo er will, und muss auffassen, wo er Pestizide benutzt. Ist das zumutbar und durchsetzbar?

J.-M.H.: Man muss den Betroffenen unter die Arme greifen. Die Mittel dazu könnten aus der taxe de prelevement kommen. Für das Grundwasser sind Nitrate ein Problem, das steht fest. Und es steht auch eindeutig fest, dass wir gemeinsam mit den Akteuren in der Landwirtschaft etwas unternehmen müssen.

A.W: Auf nationaler Ebene wird derzeit das neue EU-Agrarumweltprogramm umgesetzt. Hierzu haben wir den Landwirtschaftsverwaltungen Ratschläge im Sinne einer nachhaltigen Umgangs mit Wasserressourcen im Bereich der Landwirtschaft gegeben. So sind z. B. Kompensationszahlungen aus Brüssel möglich, wenn sich ein Landwirt “wassergerechter” verhält.

Sie haben vorhin von den Zuständigkeiten gesprochen. Neben den Gemeinden, die die Endverantwortung haben, gibt es auch die Syndikate. Dieses ganze System ist sehr kompliziert und wohl auch nicht sehr effizient. Als Innenminister arbeiten Sie generell daran, die Effizienz der Gemeinden und Syndikate zu verbessern. Welche Strategie verfolgen Sie im Wasserbereich?

J.-M.H.: Durch die Territorialreform wird zurzeit viel über die Gemeinde des 21. Jahrhunderts in der Abgeordnetenkammer diskutiert. Einerseits werden die Gemeinden stärker sein und regional zusammenarbeiten müssen. Andererseits müssen auch Institutionen wie die Syndikate – wenn es große sind – bestehen bleiben. Wasser- und Abwassersyndikate müssen unbedingt bestehen bleiben. Am besten wäre ein großes Abwasser- und ein großes Wassersyndikat. Das ist aber politisch nicht realistisch. Ich bin daher der Ansicht, man sollte vier dieser Syndikate gründen. Zwei bestehen schon im Abwasserbereich (Siden und Sidero). Momentan laufen Diskussionen mit den Ostgemeinden, um auch ein Syndikat an der Mosel auf die Beine zu stellen. Der ganze Osten brauchte nur ein Syndikat. Der Süden hat drei Syndikate, auch da möchte ich nur noch ein einziges haben. Über den regionalen Syndikaten könnte dann noch ein gemischtes Syndikat stehen, das übergeordnete Arbeiten für ganz Luxemburg übernehmen würde. Das könnte etwa die Verwaltung des gesamten Klärschlammes übernehmen oder ein Laboratorium bereitstellen, das alle notwenigen Analysen macht.

Typisch für die Syndikate ist doch, dass sie kaum einer politischen Kontrolle unterliegen. Wenn Sie also die Syndikate stärken, dann schaffen Sie noch mehr Raum zwischen den Gemeinden und einer Wasserwirtschaftsverwaltung, dessen politische Verantwortung Sie als Minister tragen?

J.-M.H.: Ich meine, dass dieses System sich selbst tragen wird in dem Sinne, dass wir einen höheren Wasserpreis haben. Wenn die Syndikate schlecht arbeiten, steigt der Wasserpreis. Somit haben wir schon einen indirekten Kontrollmechanismus. Da das Wasser nunmal zum Kompetenzbereich der Gemeinden gehört, kann man den Gemeinden nicht reinreden. Sinn macht ein nationales, gemischtes Syndikat mit Vertretern von Staat und Gemeinden, das so ähnlich funktionieren könnte wie die Mobilitätszentrale des Verkehrsministeriums.

A.W.: Es ist schon so, dass die Wasserverwaltung die Syndikate kontrolliert, aber wir wären sicher besser dran, wenn wir nur vier Strukturen genau kontrollieren müssten.

J.-M.H.: Durch die Wasserrahmenrichtlinie wird die Wasserüberwachung nun viel anspruchsvoller, daher brauchen wir eine starke Wasserverwaltung. Sie wird nächstes Jahr an Wert, an Wichtigkeit zunehmen und auch strukturell stabiler werden müssen, um die vielen Herausforderungen zu meistern. Wir kommen hier geradezu aus dem Mittelalter endlich ins 21. Jahrhundert. In den Köpfen der Menschen war das Wasser immer etwas Selbstverständliches. Man kann doch nicht nur vom Wasser reden, wenn es um Wasserverschmutzungen, Überschwemmungen oder Katastrophen geht. Wasser muss auch in einer konstruktiven Diskussion, in einer Wertediskussion thematisiert werden. In den Köpfen der Menschen bekommt das Wasser dann einen ganz anderen Stellenwert und sie beachten das Wasser viel mehr als vorher. Aber auch der Preis wird daran etwas ändern.

Ziel ist ein harmonisierter Wasserpreis

Die Wasserrahmenrichtlinie sieht auch eine Beteiligung des Bürgers vor. Was heißt das konkret?

J.-M.H.: Im Moment gibt es das Redinger Wasserhaus, das ist auch eine Form von Dialog mit den Bürgern. Der Contrat de rivière soll im neuen Gesetz zum Partenariat de rivière werden, um auszudrücken, dass es um Verantwortung geht. Partenariat ist ein valorisierenderes Wort als contrat. Unsere Erwartungen in dem Bereich sind groß. Die Partnerschaften, die wir schon an der Attert und an der Obersauer haben, wollen wir weiter ausbauen. Auch hier wollen wir eine offensive Politik betreiben. Je mehr wir die Bürger einbeziehen umso mehr Feedback bekommen wir.

Wie soll das Kostendeckungsprinzip der Wasserrahmenrichtlinie in Luxemburg umgesetzt werden?

J.-M.H.: Wir arbeiten gerade mit Aluseau an einem Kostendeckungsmodell, damit alle Gemeinden den Wasserpreis nach der gleichen Methode bestimmen. Ziel ist ein harmonisierter Wasserpreis. Der Preis für einen m3 Wasser und Abwasser wird in Zukunft voraussichtlich bei 4,50 Euro liegen, zuzüglich der beiden oben schon angesprochenen Steuern. Der Preis wird dann viel höher sein als früher. In einigen Gemeinden liegt der Preis jetzt schon bei 4 Euro, andere zahlen nur die Hälfte. Wir werden jedoch nie exakt den gleichen Preis haben.

Die Streuung der Wasserpreise ist extrem hoch. Würde sie im neuen Modell kleiner?

A.W.: Die Streuung wird sicherlich kleiner werden. Es gibt Gemeinden, die auf einer Quelle sitzen und genügend Wasser haben, um sich zu versorgen. Dann gibt es Gemeinden, die weder Quellen, noch Kläranlagen besitzen Und dadurch höhere infrastrukturelle Kosten haben. Und es gibt welche, die dazwischen liegen. Dann ist es so, dass der relative Kostenpunkt niedriger in großen Gemeinden mit hoher Wohndichte ist.

J.-M.H.: So kann z. B. die Gemeinde Petange mit 14800 Einwohnern auf 11 km2 Fläche effizienter arbeiten als die Gemeinde Wincrange mit nur 3 600 Einwohnern auf 110 km2.

Investitionen in Abwassersanierung via Wasserpreis

Wie geht es mit der Subventionierung der Kläranlagen weiter? Hier besteht momentan bekanntlich ein großes Investitionsdefizit.

J.-M.H.: Bis 2010 dürfen wir weiter bezuschüssen wie bisher. Danach können wir nur noch vorbeugende und korrigierende Maßnahmen unterstützen. Generalsubsidiation ist dann nach den EU-Regeln nicht mehr möglich. Die Investitionen werden dann über den Wasserpreis finanziert. Ein Beispiel: eine Gemeinde renoviert ihre Kläranlage. Sie nimmt ein Darlehen auf und die Investition wird auf eine bestimmte Anzahl von Jahren amortisiert. Die Gemeinde weiß somit, wie viel Euro der Kubikmeter Wasser kosten muss, um die Schulden zurückzahlen zu können.

Das Problem ist aber, dass hier ein Ungleichgewicht besteht zwischen den Gemeinden, die ihre Kläranlage vor 2010 noch gebaut bekommen, und den anderen. Die schauen dumm aus der Wäsche.

J.-M.H.: So ist das im Leben. In Amerika gibt es ein Sprichwort: First come, first served.

A.W.: Die Abwasserrichtlinie, die bei uns durch ein Reglement grand-ducal von 1994 umgesetzt ist, sah vor, dass bis 1998 jede Gemeinde mit über 10 000 Einwohnern eine Kläranlage haben muss. Jetzt sind wir vor dem Gerichtshof. Wenn eine Gemeinde, die seit 1998 eine Kläranlagen haben müsste, sie noch immer nicht hat, dann kann sie jetzt nicht klagen, weil sie die Anlage nicht mehr subventioniert bekommt. Es ist noch nicht entschieden, wie die vorher angesprochene taxe de pollution aussehen soll, aber diese könnte dazu beitragen, dass schnell Kläranlagen gebaut werden.

J.-M.H.: Sobald die Kläranlage gebaut ist, sinkt die Steuer. Hat man keine Kläranlage, bezahlt man eine höhere Steuer. Also fordert die Bevölkerung eine Kläranlage von ihren Bürgermeistern, um so eine niedrigere Steuer zu bezahlen.

Das Prinzip der Kostendeckung klingt zwar ganz gerecht, wie aber ist es z. B. mit den Nitraten aus der Landwirtschaft? Würde man hier das Pollueur-Payeur-Prinzip anwenden, dann müssten die Bauern bezahlen. Sie haben aber vorhin gesagt, die Bauern bekämen sogar noch eine Entschädigung. Wie wollen Sie denn der Bevölkerung vermitteln, dass die einen bezahlen müssen und die Verschmutzer bekommen sogar noch etwas dazubezahlt…

J.-M.H.: … Das habe ich so nicht gesagt. Ich stehe zu meiner Aussage, aber das will nicht heißen, dass wenn man eine kleine Entschädigung bekommt, man nichts zahlen muss. Der Landwirt muss vielleicht fünf Euro bezahlen und bekommt einen zurück, wenn er die Auflagen einhält.

Wie schätzen Sie die Gefahr der Privatisierung des Wasserssektors ein?

J.-M.H.: Politisch kommt die Privatisierung des Wassers für die Regierung nicht in Frage. Die Bolkesteinrichtlinie lässt den Ländern die Freiheit, diese Frage national zu organisieren. Kein Land ist verpflichtet, das Wasser zu privatisieren.

Wenn aber eine Gemeinde das doch will? Wenn ein Lieferant sich aufdrängt, in Deutschland sind die z. B. sehr aggressiv.

J.-M.H.: Ich bin da total dagegen.

Aber kann man es überhaupt verhindern?

J.-M.H.: Man muss abwarten, welche Möglichkeiten wir im Rahmen der in Luxemburger Recht umgesetzten Wasserrahmenrichtlinie bekommen werden. Politisch gesehen lehne ich die Privatisierung von Wasser ab.

Wir danken für das Gespräch.

Quelle: forum, Juli 2006