Kultur ist nichts Statisches

Kulturstaatsekretärin Octavie Modert im Télécran-Interview über Kulturinfrastrukturen, die Zusammenarbeit der verschiedenen Akteure und den Umstand, dass zur Kultur auch die kontroverse Diskussion gehört

Links: Octavie Modert, Mudam

Telecran: Von einem europäischen Kulturjahr, 1995, zum anderen, 2007, betrachtet, ist viel passiert in Luxemburg, was die Infrastrukturen angeht. Haben im Vergleich dazu das kreative Schaffen und die Aufgeschlossenheit des Publikums für die neuen Angebote noch Rückstand?

Octavie Modert: Kulturpolitik lässt sich nicht auf Infrastrukturpolitik begrenzen, doch ist diese klar das umstrittenste Thema bislang gewesen. Luxemburg hatte über viele Jahre hin einen Rückstand in allen Hinsichten aufzuarbeiten, der jetzt weitestgehend abgebaut ist. An der Art und Weise, wie das Luxemburger Publikum an künstlerisches Schaffen herangeht, hat sich meiner Beobachtung nach seit 1995 vieles geändert. Auch das kreative Schaffen hat sich spiralenartig nach oben bewegt.

Dazu muss man klar sagen, dass gute Infrastrukturen unterstützen, ja, geradezu stimulieren. Dann ist es einfacher, sich künstlerisch zu betätigen, wobei aber fest steht, dass ein guter Künstler sowieso zu Erfolg und Ruhm gelangen kann.

Die Bereitschaft der Bürger, sich mit Kultur zu befassen, ist ebenfalls stetig gestiegen. Das macht sich etwa in den Statistiken bemerkbar. So verzeichnen die Museen im Vergleich zu 1995 heute über ein Drittel mehr Besucher. Es gab viele Stimmen, die sagten, die neuen Veranstaltungsorte würden nicht genug Zuschauer bekommen, sie seien überdimensioniert. Das Gegenteil ist der Fall. Einrichtungen wie die Philharmonie oder die Abtei Neumünster haben überhaupt kein Problem, ihr Publikum anzuziehen. So jung wie diese Kulturinstitutionen noch sind, zeigen sie doch, dass sie ein ganz vielfältiges Publikum anziehen, weil sie nicht Kultur-Olymp spielen und nur auf die Elite zielen, sondern sich offen nach allen Richtungen geben.

Sie weihen als Staatssekretärin im Kulturministerium mit dem Mudam ein Kunstmuseum auf Kirchberg am 1. Juli ein, das immerhin 16 Jahre Planungs- und Bauzeit in Anspruch genommen hat und für viele negative Schlagzeilen sorgte. Erwarten Sie, dass das Publikum vom ersten Moment an zahlreich herbeiströmt?

In- oder ausländisches Publikum? Im Ausland sind wir mittlerweile schon so bekannt, dass nicht nur aus den kulturell versierten Kreisen, sondern auch darüber hinaus viele Besucher eigens wegen dieses Angebots nach Luxemburg kommen werden. Im Inland war bei vielen die Erwartungshaltung groß, dass endlich ein Ort geschaffen wird, wo moderne und zeitgenössische Kunst sich artikulieren kann. Natürlich kommt es jetzt darauf an, darüber hinaus zusätzliches Publikum anzuziehen. So muss das Mudam sich einladend geben. Es muss zeigen, dass die Türen allen offen stehen. Wer einmal dort war, da bin ich fest überzeugt, kommt gerne wieder zurück.

Kontroversen und Kultur gehören zusammen

Mit dem Streit um das Kunstwerk “Lady Rosa of Luxembourg”, die schwangere Kopie der .Gelle Fra’, kam ein Wendepunkt in der Betrachtung zeitgenössischer Kunst in Luxemburg. Wie aufgeschlossen, denken Sie, ist das breite Publikum heute?

Ich bin der Meinung, dass Kunstvermittlung beiderseitig funktionieren muss. Zum einen müssen die Museen, die Künstler auf das Publikum zugehen, ihm erklären, um was es bei den jeweiligen Ausstellungen und Objekten geht. Zum anderen ist es durch den direkten Kontakt und die Publikumsnähe logisch, dass die Besucher reagieren werden. Da entstehen Kontroversen, doch dies liegt dem Kulturdialog inne. Wichtig ist, dass die Streitfragen uninszeniert diskutiert werden können.

Kulturverständnis ist auch eine Frage der Erziehung. Wenn man bedenkt, dass das heutige Luxemburg sowohl intellektuell wie auch im Alltagsleben einen durchaus weltoffenen Geist vorzuweisen hat, kann man davon ausgehen, dass das Land bereit ist für die Auseinandersetzung mit der Kunst. ,Lady Rosa’ hat sicherlich gezeigt, dass da noch ein Sprung zu machen war. Kunst und Kultur kann man nicht in eine kleine Kiste einsperren, man muss ihr ihren Freiraum lassen. Man muss den Leuten klar machen, dass die Auseinandersetzung mit Kultur und Kunst zur demokratischen Erziehung gehört und ein Gradmesser der demokratischen Reife eines Landes ist. Kontroversen und Kultur gehören seit ewigen Zeiten zusammen. Künstler haben das Anliegen, auf das aufmerksam zu machen, was ihnen am Herzen liegt.

In Deutschland erregte jüngst der Spanier Santiago Sierra, der auch bereits im “Casino Luxembourg – Forum d’art contemporain” ausgestellt hat, die Gemüter mit Gas in einer ehemaligen Synagoge. Wie gut verträgt Luxemburg krasse Formen der künstlerischen Auseinandersetzung mit politischen, historischen oder gesellschaftlichen Themen?

Symbole sind manchmal eine schwierige Sache, wenn die Kunst sich ihrer bedient. Da lässt sich fast eine Parallele zu “Lady Rosa” ziehen – denn da sind ähnliche Sensibilitäten berührt worden. Auf Anhieb fühlten sich einige Leute brüskiert. Als aber Erklärungen nachgereicht wurden, als die Auseinandersetzung zu intensiven Gesprächen führte und die Künstlerin ihr Anliegen verdeutlichen konnte, da haben die Leute sie besser verstanden. So wurden Klippen überwunden. Kultur ist nichts
Statisches. Wir Menschen bleiben ja nicht stehen. Kultur ist Vorreiter, muss es auch sein. Wichtig ist gegenseitiger Respekt, ohne der Kunst ihren gestalterischen Freiraum und ihr Recht auf Meinungsfreiheit zu nehmen. Aber wer kritisiert als Künstler, muss auch damit leben können, Kritik zu ernten. Er will ja auch eine Reaktion bekommen. Wir werden sehen, wie dies sich im MUDAM artikulieren wird. Das Mudam will die ganze Vielfalt der zeitgenössischen Kunst zeigen – das ist eine breite Palette, von Design bis Video, von Skulptur bis Malerei. Viele werden überrascht sein, dass sie viel mehr von zeitgenössischer Kunst kennen und verstehen, als sie dachten, und dass diese Kunst nicht unbedingt schockiert.

Luxemburger Künstler in der Mudam-Sammlung

Entscheidet der Staat mit, welche Werke in die Sammlung des Mudam aufgenommen werden? Gibt es eine Quote für Luxemburger Kunst?

Nin, eine Quote gibt es nicht, weil wir sie nicht brauchen. Denn es ist logisch und selbstverständlich, dass Luxemburger Künstler in der Sammlung vertreten sind, wie z B. Michel Majerus, Tina Gillen, Doris Drescher, Bert Theis. Sie kann sich aber nicht nur auf nationale Werke beschränken, denn sie soll zeitgenössische Kunst im Querschnitt zeigen. Die Kommission, die die Werke zum Ankauf auswählt, ist daher international besetzt, weil wir eine Nabelschau riskieren würden, wenn wir sie nur mit eigenen Leuten besetzt hätten. Selbstverständlich sind Luxemburger darin vertreten.

Mudam.jpgRund um die Eröffnung des Mudam zeichnet sich ab, dass Kulturpolitik künftig unter dem Zeichen der neuen Sparsamkeit beim Staat steht. Wohin steuert die Kulturpolitik unter diesem Vorzeichen?

Es geht darum, das Ansteigen der Haushaltsausgaben besser in den Griff zu kriegen, aber nicht um eine Kürzung des Kulturhaushaltes. Der Kulturanteil 2006 beträgt 1,4 Prozent des gesamten Staatsbudgets, und er wird auch 2007 noch steigen, wenn auch in bescheidenem Masse. Der öffentlichen Hand kommt eine Rolle bei der Unterstützung der Kultur zu. Klar ist aber auch, dass es nicht nur öffentliche Mittel sein dürfen. Der Sektor ist selbst sehr aktiv bei der Suche nach anderen Mitteln. Um das Sponsoring anzukurbeln, überlegt das Ministerium derzeit, wie sich Mäzenatentum besser fördern lässt. Ich betone aber: Der Staat wird sich nicht aus der Kulturförderung zurückziehen.

Die Hochkultur hängt am Subventionstropf – das stört manche Steuerzahler, aber auch Kulturvereine, die fürchten, zu kurz zu kommen. Was antworten Sie denen?

Ich bin immer wieder überrascht, wie sehr im Bereich Kultur sich einer mit dem anderen vergleicht. Es gibt natürlich zwei verschiedene Schienen: den professionellen Bereich und Vereine mit den ehrenamtlichen Mitarbeitern. Beide Bereiche sind selbstverständlich unterstützungswürdig. Beide leisten gute Arbeit, und wir brauchen beide. Die Dimensionen sind verschieden bei beiden. Und die soziokulturelle Förderung obliegt ja nicht nur dem Staat. Die Dynamik in dem Bereich ist beachtlich, was zeigt, dass eine kulturelle Aktivität – bei all der Verantwortung, die der Staat zu übernehmen hat – nicht vom Input des Staates allein abhängt.

Trotz des beachtlichen Reigens an prestigeträchtigen Kulturbauten mit Philharmonie, Rockhai, Mudam ist der Politik nicht nur Beifall zu spenden. Andere wichtige Projekte liegen auf Eis, wie das CPCA als Theaterstätte in Bonneweg, die neue Nationalbibliothek auf Kirchberg, der Umzug des Nationalarchivs. Welche politische Zukunft ist ihnen beschienen?

Die Nationalbibliothek ist eines der Projekte, bei denen ich es sehr bedauere, dass wir nicht schneller vorankommen, aber der Neubau ist an eine andere Zeitplanung gekoppelt. Er soll auf Kirchberg kommen, anstelle des Schuman-Gebäudes. Der Standort ist nicht in Frage gestellt, aber das Gebäude wird erst 2010 frei. Daher rührt die Verzögerung. Das bedeutet aber nicht, dass wir nicht aktiv sind im Moment. Wenn auch noch nicht gebaut werden kann, kann doch schon geplant werden, auch am Konzept. Eine Bibliothekskultur kann man nämlich nicht nur auf eine Gebäudefrage reduzieren.

Das CPCA wird zumindest so weit in Stand gesetzt, dass während des Kulturjahres 2007 die Räume für Proben und Aufführungen nutzbar sind. Pläne für die Archive, die der ,Cite judiciaire’ weichen müssen, sind in Ausarbeitung. Dabei geht es auch um die Einbindung neuer Kommunikationsmittel. Wie bei der Nationalbibliothek ist es auch hier eine Planung nötig, die über die reine Frage, welche neuen Räumlichkeiten gebraucht werden, hinaus reicht.

Bessere Vernetzung der kulturellen Aktivitäten

Seit zwei Jahren sind Sie als Staatssekretärin im Kulturministerium aktiv, seit 2006 allein verantwortlich. Welche Projekte konnten Sie in Bewegung setzen? Welche Hindernisse haben sich Ihnen in den Weg gestellt?

Wichtig war mir erstens, eine bessere Vernetzung unserer kulturellen Aktivitäten im Land anzuregen, um die Zusammenarbeit, aber auch die Terminabsprache zu fördern, damit nicht ein ähnliches Angebot zum gleichen Moment besteht. Zweitens ging es darum, Vertriebs- und Vermarktungsstrukturen aufzubauen, um die Produktionen der Künstler besser zum Publikum zu bringen und der Fachwelt vorzustellen. Deshalb gingen wir z B. im Musikbereich 2005 zum “Midem”, der Messe in Cannes, und auf die “PopKomm” in Berlin, was wichtige Schritte sind, um internationale Beachtung und Verbindungen zu finden. Denn die Qualität der künstlerischen Leistungen aus Luxemburg ist beachtlich, was so nicht immer bekannt ist. Wir wollen daher hier eine Hand mit anpacken. Das gilt auch bei der Literatur. Drittens will ich die Kultur und die Menschen enger zusammenführen, denn Kultur ist auch als Kohäsionsfaktor einer Gesellschaft wichtig. Wir haben schon viel in der Richtung erreicht und viel geleistet. Teils waren es nur kleine Akzente, die nach außen nicht so auffallen, aber es waren wirkungsvolle. Im Jahresbericht des Ministeriums lässt sich die Bilanz leicht nachvollziehen.

Neu gestartet sind in den letzten Jahren auch regionale Kulturzentren, wie die Häuser in Mersch und Grevenmacher. Welche Rolle sollten sie im Kulturbetrieb spielen?

Kultur ist keine zentralisierte Angelegenheit. Auch das regionale Angebot wird und wurde ausgebaut – aber es macht keinen Sinn, alle paar Kilometer die gleichen Angebote zu unterbreiten. Jede Einrichtung soll ihre eigenen Schwerpunkte setzen, komplementär arbeiten, auf Auslastung bedacht sein und Koproduktionen eingehen, gern auch über die Grenzen hinaus. In der Frage der Zusammenarbeit muss ich immer wieder dem Ösling Respekt zollen.

Luxemburg wird 2007 Europas Kulturhauptstadt. Wird Ihnen nicht bange, wenn Sie bedenken, was alles schief laufen kann?

Wer nichts anfasst, kann auch nichts falsch machen. Man ist nie vor Überraschungen gefeit, aber je besser geplant wird, desto besser klappt es. Wir haben aufgrund der Erfahrungen von 1995 früh und vorausschauend geplant. Das Ganze ist in professionellen Händen und die Vorarbeiten laufen gut. Ich bin also zuversichtlich.

Quelle: Télécran, 28. Juni 2006, Uli Botzler / © Foto : André Weisgerber