Nationale Identität, Zusammengehörigkeitsgefühl und Solidarität sind die Werte für die der Nationalfeiertag steht. Ein Gespräch mit Kammerpräsident Lucien Weiler
Luxemburg feiert seinen Nationalfeiertag. Ein Volksfest für alle, die im Großherzogtum leben. Ein Gespräch mit Kammerpräsident Lucien Weiler über Nationalgefühl, die Weltmeisterschaft und die doppelte Staatsbürgerschaft.
Wort: Herr Präsident, welche Bedeutung hat der Nationalfeiertag heute noch? Viele nutzen doch den freien Tag zum Einkaufsbummel in der Großregion.
Lucien Weiler: Am Nationalfeiertag haben wir noch immer unsere Verbundenheit mit der großherzoglichen Familie zum Ausdruck gebracht. Offiziell feiern wir den Geburtstag des Staatschefs. Der Großherzog ist das Symbol unserer Freiheit und Unabhängigkeit. Der Nationalfeiertag steht darüber hinaus für die Werte: Nationale Identität, Zusammengehörigkeitsgefühl und Solidarität, auch Stolz auf das, was wir bisher gemeinsam erreicht haben. In einer hektischen Zeit bietet dieser Feiertag einmal im Jahr die Gelegenheit, inne zu halten und über uns nachzudenken. Über unsere Geschichte, auch darüber “datt mir wëlle bleiwe wat mir sinn” in einem friedlichen und geeinten Europa.
Wissen Sie, jeder begeht den Nationalfeiertag, so wie es ihm beliebt. Ich stelle allerdings fest, dass an diesem Tag vom Norden bis in den Süden des Landes in nahezu allen Gemeinden ein großes Volksfest stattfindet. Luxemburger und Ausländer feiern zusammen. Das gibt es so nur am Nationalfeiertag. Ein Tag des gelebten Miteinanders.
Die offiziellen Feierlichkeiten wurden in diesem Jahr leicht verändert. Könnte man sich nicht überlegen neben dem Te Deum einen zivilen Staatsakt vorzusehen?
Der Großherzog und der Premierminister gaben sich viel Mühe, die offiziellen Feierlichkeiten aufzulockern und die Zivilgesellschaft stärker zu beteiligen. Neues wird mit Bewährtem in Einklang gebracht. Wir müssen abwarten, wie sich das neue Programm auswirken wird. Sicher kann man über die Idee eines zivilen Staatsakts nachdenken, ich wehre mich allerdings gegen Bestrebungen, die an allen Traditionen rütteln wollen. Zum Beispiel bin ich der Auffassung, wie übrigens auch viele nicht-gläubige Menschen, dass das Te Deum eine würdevolle Zeremonie ist, die fest in unseren Traditionen verankert ist.
Das Weltmeisterschaftsfieber hat auch Luxemburg voll erwischt. Viele Mitbürger zeigen Flagge und schmücken ihre Häuser und Wohnungen mit den Landesfahnen ihrer Lieblingsmannschaft. Bereitet Ihnen diese “nationale” Begeisterung Sorge?
Nein, ganz und gar nicht. Ich finde es ganz natürlich, dass jeder seine Mannschaft unterstützt. Unsere ausländischen Mitbürger haben die gefühlsbetonte Beziehung zu ihrer Heimat nicht verloren. Der aktuellen Fußball-WM-Euphorie muss man doch Ausdruck verleihen können. Zum Beispiel mit der Landesflagge der jeweiligen Lieblingsmannschaft. Die Fahne hat natürlich eine starke Symbolkraft. Das ist uns Luxemburgern ja nicht fremd. In schweren Zeiten haben wir Luxemburger viel Kraft aus der Symbolik der Fahne geschöpft.
Lebensmittelpunkt im Grossherzogtum
Alle Parteien haben sich für die Einführung der doppelten Staatsbürgerschaft ausgesprochen. Das entsprechende Gesetz ist in Ausarbeitung. Einige Mitbürger scheinen mit dieser Reform jedoch Schwierigkeiten zu haben.
Regierung und Parlament diskutieren zurzeit in der Tat, wie die doppelte Staatsbürgerschaft geregelt werden kann. Das Prinzip ist unumstritten. Ich kann mich persönlich mit dieser Reform sehr gut abfinden. Mir scheint es eigentlich normal, dass ein Ausländer, der lange bei uns im Land lebt und arbeitet, die Sprache beherrscht und sich hier wohlfühlt, die Luxemburger Staatsbürgerschaft annehmen kann, ohne auf seine Herkunft und seine Wurzeln verzichten zu müssen. Viele ausländische Mitbürger haben ihren Lebensmittelpunkt im Großherzogtum und wollen sich ganz zu unserem Land bekennen.
Könnten Sie sich vorstellen, dass man den 9. Mai als Europatag in allen Mitgliedstaaten der Union als Feiertag begeht?
Weniger. Die Abgeordnetenkammer legt viel Wert auf den Europatag am 9. Mai. Dieses Jahr organisierten wir zu dieser Gelegenheit ein Jugendforum im Parlament. Auch für nächstes Jahr planen wir weitere Aktionen in diesem Sinn. Wir müssen Europa durch konkrete Aktionen und Resultate den Menschen näher bringen. Um dies zu erreichen, brauchen wir nicht unbedingt einen arbeitsfreien Tag.
Quelle Wort, 22. Juni 2006, Laurent Zeimet