Die richtigen Weichen gestellt: Luxemburg verwendet einen Großteil seiner Entwicklungshilfe für Frauenförderprojekte in der Dritten Welt
Unterwegs in Sachen Chancengleichheit: Die zuständige Ministerin Marie-Josée Jacobs nahm in den vergangenen Wochen gleich an zwei internationalen Tagungen teil, die sie als Plattform für einen Meinungsaustausch über Erfahrungen im Kampf für die Gleichstellung von Mann und Frau nutzte. Ihr Fazit: Chancengleichheit bleibt eine ewige Baustelle.
Wort: Frau Ministerin, wieso lag Ihnen die Teilnahme an der Ministerkonferenz des Europarats in Stockholm sowie am Global Summit of Women in Kairo am Herzen?
Marie-Josée Jacobs: Eigentlich handelte es sich ja um zwei sehr unterschiedliche Tagungen: In Stockholm trafen sich die zuständigen Minister der 46 Mitgliedstaaten des Europarats zu einem Meinungsaustausch. Und in Kairo war es eine Nichtregierungsorganisation, die über 1 000 Teilnehmer aus Politik, Wirtschaft und der Zivilgesellschaft zu einer Debatte über die wirtschaftliche Entwicklung der Frau einlud. Obwohl es sich um zwei unterschiedliche Veranstaltungen handelte, ist es doch erstaunlich festzustellen, dass auch in den Ländern, die seit mehr als 40 Jahren die Gleichstellung von Mann und Frau fördern, der Kampf um die Chancengleichheit nie als endgültig gewonnen gilt.
Erstaunt Sie das geringe Interesse, das solche Konferenzen in der allgemeinen Öffentlichkeit genießen?
Die geringe Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit ist schon etwas deprimierend. Es sind ja nicht die Tagungen an sich, die von Bedeutung sind, sondern die Themen, die dort behandelt werden, wie etwa die Menschenrechte.
Welche Erkenntnisse haben Sie aus Ihrer Teilnahme an der Ministerkonferenz des Europarats in Stockholm gewonnen?
In der schwedischen Hauptstadt habe ich meinen Kollegen aus den 46 Mitgliedstaaten dargelegt, welche Fortschritte Luxemburg in den vergangenen Jahren im Hinblick auf die Chancengleichheit erzielt hat sowie die Probleme, die es weiter zu bewältigen gilt. Dazu zählt etwa der Lohnunterschied zwischen Mann und Frau, den es abzuschaffen gilt. Erfreulich war in diesem Zusammenhang das Beispiel der Schweiz, das in Stockholm vorgestellt wurde, und an dem wir uns inspirieren könnten. Ein weiterer Schwerpunkt der Tagung war der Kampf gegen häusliche Gewalt, in den 51 Prozent der Budgetmittel fließen, die meinem Ministerium zur Verfügung stehen. Das ist an sich eine gewaltige Summe.
In Stockholm wurde argumentiert, dass Geschlechterdiskriminierung die Gesellschaft teurer zu stehen kommt als die Kosten von Gleichstellungsprogrammen. Das überrascht doch etwas.
Weil wir nur die kurzfristigen Kosten im Blick haben, die die Gleichstellungsprogramme verursachen. Die langfristigen Auswirkungen der ungleichen Geschlechterbehandlung sind nur sehr schwer zu ermitteln. Tatsache ist zum Beispiel, dass mehr Frauen durch Herzinfarkte sterben, weil der Erforschung ihrer spezifischen Symptome nicht die gleiche Bedeutung beigemessen wird, wie dies bei den Männern der Fall ist. Fakt ist auch, dass mehr Geld in die Freizeitgestaltung von Jungen als von Mädchen fließt, wohingegen diese in den Schulen besser abschneiden als ihre männlichen Klassenkameraden. Letztes Beispiel belegt, dass wir uns nicht nur auf die Förderung von Frauen konzentrieren dürfen.
Einbindung der Chancengleichheit in sämtliche politischen Konzepte
Das so genannte Gender mainstreaming bleibt also weiter aktuell.
Die Einbindung der Chancengleichheit in sämtliche politische Konzepte ist alles Andere als ein Hirngespinst einiger Feministinnen, als das es häufig belächelt wird. Damit sich dieses Konzept durchsetzt, bedarf es eines geeigneten Vermittlers gegenüber der Öffentlichkeit. Daran hapert es derzeit aber noch.
Probleme einer anderen Rangordnung wurden Ihnen sicherlich von den Gesprächspartnern entgegengebracht, die Ihnen auf der Tagung in Kairo begegnet sind.
Während für uns die Gleichstellung das Fernziel ist, müssen die Frauen in der Dritten Welt erst einmal ihr Überleben sichern. Deswegen ist meiner Überzeugung nach Frauenförderung die wichtigste Entwicklungshilfe. Luxemburg hat in dieser Hinsicht die richtige Richtung eingeschlagen.
Ist es nicht fragwürdig, über Chancengleichheit in einem Land zu reden, das es mit den Menschenrechten nicht so genau nimmt?
In Kairo waren es gerade die muslimischen Teilnehmerinnen, die uns ihr Schicksal mit großer Dringlichkeit in Erinnerung gerufen haben. Stellt der Westen die Hilfsprogramme in den islamischen Ländern ein, wird dort die Armut die Radikalisierung und Fanatisierung der Gesellschaft weiter fördern, was die wirtschaftliche Entwicklung untergraben würde. Die Frauen in diesen Ländern rechnen fest mit unserer Hilfe.
Quelle: Wort 19. Juli 2006, Joëlle Merges