“Mehrwert schaffen”

Landwirtschaftsminister Fernand Boden über die Schwerpunkte des neuen Agrargesetzes, das über die Zeitspanne von 2007 bis 2013 laufen soll.
Zum Ende des Jahres läuft das Agrargesetz aus und die Vorarbeiten an der neuen Gesetzgebung, deren Bestimmungen die Zeitspanne 2007-2013 abdecken sollen, haben unlängst begonnen. Im “Wort”-Interview geht Landwirtschaftsminister Fernand Boden, der gemeinsam mit Staatssekretärin Octavie Modert die politische Verantwortung für Ackerbau und Viehzucht trägt, auf die Schwerpunkte ein.

Wort: Vor sechs Jahren waren Sie mit der Ausarbeitung des Agrargesetzes in Verzug geraten. Wird der Text diesmal die Abstimmungshürde in der Abgeordnetenkammer rechtzeitig passieren?

Fernand Boden: Nein. Wir werden es bis zum Ende des Jahres nicht schaffen. Meiner Meinung nach ist es ein realistisches Ziel, bis Mitte nächsten Jahres fertig zu werden.

Worauf ist dieser Rückstand zurückzuführen?

Ausgangspunkt des Gesetzes sind europäische Vorlagen. Nun muss man wissen, dass die Strategie der Europäischen Union zur ländlichen Entwicklung erst im Februar dieses Jahres gutgeheißen wurde. Von dieser Grundlage ausgehend, können wir nun unsere nationale Strategie festlegen und parallel dazu den Plan zur Entwicklung des ländlichen Raumes aufstellen. Beide Dokumente müssen dann grünes Licht von der Europäischen Kommission erhalten. Und dann bleibt die rein luxemburgische Begebenheit, dass das Ganze in ein Gesetz eingebettet werden muss, das den oftmals beschwerlichen Instanzenweg zu bewältigen hat.

Kommen wir zum Inhalt. An welchen Leitlinien wird sich die kommende Gesetzgebung orientieren?

Nun, als Maßstab dient der Plan zur Entwicklung des ländlichen Raumes, der so genannte zweite Pfeiler, wie wir ihn im ersten Semester 2005 unter luxemburgischem EU-Vorsitz definiert haben. Wir müssen die Landwirtschaft als Wirtschaftsbranche verstehen, die wettbewerbsfähig und multifunktionell ist und dem Prinzip der Nachhaltigkeit gehorcht. Anders ausgedrückt, die Lissabon-Strategie über die Wettbewerbsfähigkeit und die Göteborg-Erklärung über die Nachhaltigkeit müssen auch im Agrarsektor ihren Niederschlag finden.

Strukturwandel fortführen

Was aber bedeutet das konkret für die luxemburgischen Landwirte?

Dass wir den Strukturwandel unter Berücksichtigung der erwähnten Prinzipien fortführen werden. Die Zahl der Bauernhöfe nimmt ab, ihre Größe nimmt zu. Also müssen wir angemessene Rahmenbedingungen schaffen. Beispielsweise in der Investitionspolitik, wo wir das hohe Niveau trotz budgetärer Engpässe beibehalten wollen. Oder bei der Begleitung von Betriebsübernahmen. Eine Verbesserung der Ausbildung bis hin zu einem Meisterdiplom, so wie vom Service jeunesse gefordert, das Coaching der Jungbauern sowie die Aufstellung von Businessplänen sollen Wirtschaftlichkeit der Betriebe gewährleisten und die Attraktivität des Berufs steigern. Wir wollen den Unternehmergeist fördern und junge Leute wieder für die Landwirtschaft begeistern.

Wobei sich die Begeisterung für Ackerbau und Viehzucht erwiesenermaßen in Grenzen hält.

Das stimmt schon. Wir müssen aber bestrebt sein, den hohen Stellenwert der Landwirtschaft in der Lebensmittelversorgung bestmöglich zu vermitteln. Der Hauptakzent soll weiter auf die Erzeugung gesunder und qualitativ hochwertiger Produkte aus regionalem Anbau gelegt werden. Das schließt eine gezielte Diversifizierung nicht aus, sei es in der Geflügel- oder in der Schweineproduktion, wo das Label der marque nationale weitreichender genutzt werden kann. Auch in der Weiterverarbeitung besteht Spielraum. Hier setzen wir im Milchsektor große Hoffnungen in den Luxlait-Ausbau.

Alles in allem muss uns daran gelegen sein, in der Landwirtschaft und ihren vor- bzw. nachgelagerten Branchen Arbeitsplätze und einen Mehrwert zu schaffen.

Und wie sieht es mit dem Bauern als Energieproduzent aus?

Natürlich dürfen wir die Chancen, die sich in anderen Bereichen wie eben dem Energiesektor auftun, nicht ungenutzt lassen. Ich gehe davon aus, dass der Anteil an alternativen Energien in absehbarer Zukunft stetig steigt. Also muss die Politik dafür sorgen, dass die Landwirte auf diesen Zug aufspringen können, beispielsweise mit dem Bau von Biogasanlagen oder dem Anbau von Energiepflanzen.

Neben der konventionellen Landwirtschaft fristet die Biobranche ein stiefmütterliches Dasein. Wird sich daran etwas ändern mit dem neuen Agrargesetz?

Also ich bin nach wie vor davon überzeugt, dass man ,Bio’ nicht mit Gesetzen durchsetzen kann. Das ist vielmehr eine Frage der Einstellung und der Überzeugung. Dem werden wir im neuen Agrargesetz selbstverständlich Rechnung tragen, um unserer Zielsetzung von fünf Prozent Biolandwirtschaft näher zu kommen. Derzeit liegt Luxemburg bei ungefähr 2,5 Prozent.

Und wie sieht es mit der Zulassung von genverändertem Saatgut aus?

Diese Problematik behandeln wir in einem gesonderten Gesetz. Im Ministerrat werden demnächst die Änderungsvorschläge des Staatsrates erörtert. Was nun die Koexistenz anbelangt, muss das Ziel der Politik darin bestehen, einen negativen Einfluss auf die konventionelle oder die biologisch begründete Landwirtschaft zu verhindern. Die Europäische Kommission hat sich bislang ihrer Verantwortung entzogen und von der Festlegung von europaweit geltenden Grenzwerten abgesehen. Die Regierung ihrerseits hat nun erst einmal strenge Regeln hinsichtlich der Distanzen und der Versicherungen definiert – wohlwissend, dass wir damit Gefahr laufen, bei der EU-Kommission mit dem Argument des verkappten Verbots abgewiesen zu werden.

Apropos EU-Kommission. Wie groß ist die Gefahr, dass die für 2008 anberaumte Bewertung der Agrarreform wieder in tief greifenden Einschnitten mündet, die einmal mehr auf Kosten der Planungssicherheit der Bauern geht?

Wir wollen sicherlich keine zweite Halbzeitbewertung. Schenkt man Ressortkommissarin Mariann Fischer Boel Glauben, soll es in zwei Jahren bei einer Bestandsaufnahme bei kleinen Kurskorrekturen bleiben. Gleichzeitig kommen wir aber nicht umhin, uns spätestens dann mit der Zeit nach 2013 und der Finanzierung der Gemeinsamen Agrarpolitik zu befassen.

Quelle Wort, 8 Juni 2006, Marc Schlammes