Rasches Bevölkerungswachstum der Landgemeinden, zunehmender Pendlerverkehr, Wohnungsdichte …, Innenminister Jean-Marie Halsdorf erläutert im Wort-Interview, in welchen Bereichen das IVL zur Anwendung kommt
Umsetzung des IVL – Zwischenbericht der parlamentarischen Landesplanungskommission
Die Abgeordneten ziehen eine erste Zwischenbilanz über die Fortschritte bei der Anwendung des Integrativen Verkehrs- und Landesentwicklungskonzepts. Für Innenminister Jean-Marie Halsdorf (CSV) braucht das Land die IVL-Methode, um die Lebensqualität in den kommenden Jahren zu gewährleisten.
Wort: Das Integrative Verkehrs- und Landesentwicklungskonzept wurde vor zwei Jahren vorgestellt und sollte die Landesplanung in Luxemburg revolutionieren. Konnte sich die neue Herangehensweise durchsetzen?
Jean-Marie Halsdorf: Es ist ein langer Weg. Ich glaube aber schon, dass in der Zwischenzeit in der Politik und in den Ministerien stärker vernetzt gedacht wird. Selbstverständlich entsprechen nicht alle Vorhaben, die als IVL-konform dargestellt werden, in Wirklichkeit den Ansprüchen. Der eine oder andere versucht, unter dem IVL-Deckmantel seine Politik durchzusetzen. Vieles ist noch nicht so, wie wir es haben wollen. Die Zusammenarbeit zwischen den zuständigen Ministerien muss noch verbessert werden. Aber man darf nicht außer Acht lassen, dass wir dabei sind, Neuland zu betreten. Ein integratives Vorgehen bedeutet mehr Arbeitsaufwand. Wir haben ja auch strukturelle Grenzen und könnnen uns nicht ständig selbst überfordern.
Wir dürfen den Mehrwert nicht aus den Augen verlieren, den das IVL uns bringt. In den Neunzigern wurden jährlich 862 Hektar Land bebaut und verbraucht. Das macht fünf Fußballfelder pro Tag. Wir haben eine landesweite Wohnungsdichte von knapp 14 Wohnungen pro Hektar, damit der öffentliche Transport wirtschaftlich wird, brauchen wir zumindest 25 Wohnungen pro Hektar. Die Landgemeinden wuchsen schneller und deutlich höher als die Ballungszentren. Der Pendlerverkehr nimmt weiter zu, stärker übrigens als vorhergesehen. Kurzum: Wenn wir so weitermachen, ist unsere Lebensqualität in zehn bis 15 Jahren nicht mehr gewährleistet.
Keine Kirchturmpolitik
Das IVL sah vor, dass sektorielle Leitpläne für die Bereiche Verkehr, Aktivitätszonen, Wohnungsbau und Landschaftsschutz ausgearbeitet werden sollten. Wie kommen diese voran?
Das ist ziemlich unterschiedlich. Wir wollen diese Pläne aber in dieser Legislaturperiode parallel entwerfen. Das setzt aber voraus, dass in den einzelnen Ministerien keine Kirchturmpolitik betrieben wird. Am weitesten fortgeschritten sind die Arbeiten am sektoriellen Plan über das Verkehrswesen. Diese wurden bereits während der letzten Legislaturperiode begonnen. Wenn die Kooperation jetzt nichts ins Stocken gerät, dann gehe ich davon aus, dass der fertige Plan bis Ende 2006, Anfang 2007 vorliegen kann.
Der Plan wird so genannte Korridore festlegen, in denen laut IVL-Szenario Schienen- und Straßeninfrastrukturen gebaut werden könnten. Das heißt also nicht automatisch, dass diese Infrastrukturen gebaut werden! Wir wollen verhindern, dass man durch andere Projekte unter Umständen sinnvolle Verwirklichungen im Verkehrswesen verhindert. Ziel bleibt langfristig, den öffentlichen Verkehr zu fördern.
Der Plan über die Aktivitätszonen für Unternehmen kommt nicht so recht voran?
Wir müssen uns vom Flickenteppich der kommunalen Aktivitätszonen verabschieden. Die Bestandsaufnahme der Gewerbezonen läuft. Wir sind in der eigenartigen Situation, dass der Wirtschaftsminister die Erarbeitung dieses Plans zwar als prioritär ansieht, um die Wettbewerbsfähigkeit des Landes zu verbessern, aber keine Zeit hat, den Planungsprozess zu starten. Wie bei allen anderen sektoriellen Plänen stehen die interministeriellen Gruppen unter der Federführung des jeweiligen Fachministers. Obwohl bereits eine Konzeptstudie vorliegt, wurde die interministerielle Gruppe noch nicht gebildet.
Wir wissen, dass wir neue Gewerbezonen brauchen. Wir brauchen aber auch einen regionalen Verteilungsschlüssel, um die Gemeinden gebührend an den Einnahmen zu beteiligen. In der Zwischenzeit bleibt die Welt nicht stehen. Projekte von Aktivitätszonen, die während der Ausarbeitung des Plans weitergetrieben werden, müssen der IVL-Logik unterworfen werden. Beispiel im Raum Steinfort-Capellen. Die regionale Zone auf Windhof soll ausgebaut und durch eine neue Gewerbezone in Kleinbettingen erweitert werden. Eine kommunale Aktivitätszone in Grass würde damit überflüssig. Auch im Norden müssen wir konsequent nach regionalen Lösungen für neue Aktivitätszonen suchen.
Der Staat will einen Pakt mit den Gemeinden eingehen, um den Wohnungsmarkt zu entspannen. Wie wird diese neue Offensive mit dem IVL in Einklang gebracht?
Unser Wohnungsmarkt ist so angespannt, die Preise so hoch, dass kurzfristig ein IVL-konformer Wohnungsbau kaum möglich sein wird. Wir müssen einen Weg aus dieser Sackgasse finden. Der Pakt mit den Gemeinden zielt darauf ab, ein überdurchschnittliches Wachstum in die Wege zu leiten. Das ist aber sicherlich kein Blankoscheck für die Gemeinden. Die IVL-Prinzipien haben weiter ihre Gültigkeit.
IVL-Gemeinden mit Anschluss an den öffentlichen Transport sollen Priorität genießen. Daher sollen diese Kommunen ja zusätzliche Finanzhilfen erhalten. Wir müssen dichter bauen, und als Bauland ausgewiesene Grundstücke müssen endlich bebaut werden. Um dies zu erreichen, dürfen wir nicht vor unpopulären Maßnahmen wie einer progressiven Grundbesteuerung zurückschrecken.
Ich bin zuversichtlich, dass der Leitplan zum Wohnungsbau bis Ende 2007 abgeschlossen werden kann und noch vor Ende der Legislaturperiode in Kraft tritt. Regionale Leitpläne:
Das regional Bedeutsame im Mittelpunkt
Zusätzlich zu den vier sektoriellen Plänen sollten sechs regionale Leitpläne erarbeitet werden.
Stimmt. Die regionalen Leitpläne sollen einheitlich und vergleichbar sein und regionale Akzente setzen. Hier stellt sich allerdings die Frage, was alles in diesen Leitplänen geregelt werden soll. Ich bin der Ansicht, dass man sich auf Wesentliches beschränken sollte. Das “regional Bedeutsame” muss im Vordergrund stehen. Auch muss klar sein, wie das Zusammenspiel mit anderen Planungsinstrumenten wie den kommunalen Bebauungsplänen funktionieren soll. Wir sind auf die Kooperation der Gemeinden angewiesen. Es gilt hier das Subsidiaritätsprinzip. In der Region Süden sind bereits viele Vorarbeiten geleistet worden. Der Süden ist eine Art Testfall für die anderen fünf Planungsregionen. Diese Erfahrungswerte sollen genutzt werden, wenn wir uns dem Westen und Zentrum-Süden zuwenden.
Gleichzeitig arbeitet eine Spezialkommission an der territorialen Neuordnung. Hat diese keinen Einfluss auf die regionalen Planungen?
Eben diese Überlegungen erklären unsere vorsichtige Herangehensweise. Es ist ja nicht ausgeschlossen, dass sich die regionale Landschaft in nächster Zeit noch verändern wird. Neben dem Süden konzentrieren wir uns in einer ersten Phase daher auf die Ballungszentren Nordstad und Südwesten der Hauptstadt. Wir wollen uns auch der Frage nach einer regionalen Verteilung der staatlichen Zuschüsse widmen. In der Spezialkommission muss über solche Regionalfonds diskutiert werden.
Quelle: Wort, 18. Mai 2006, Laurent Zeimet