Entwicklungshilfeminister Jean-Louis Schiltz: “Die Abstimmung der Entwicklungshilfe muss vor Ort geschehen.”
Die Europäische Union kann das Jahr 2005 als Meilenstein der Entwicklungshilfe für sich verbuchen. Nicht nur, dass die 25 Mitgliedstaaten beschlossen, die Finanzaufwendungen für die Dritte Welt auf 0,56 Prozent im Jahr 2010 beziehungsweise 0,7 Prozent des nationalen Reichtums im Jahr 2015 aufzustocken. Zudem wurde im Dezember ein “Europäischer Konsens über die Entwicklungspolitik” verabschiedet, in dem eine wirksame Kooperation als wichtiger Bestandteil einer “gemeinsamen Entwicklungsvision” gewertet wird.
Damit die in diesem Strategiepapier verankerten Ziele – Bekämpfung der Armut unter Achtung des Nachhaltigkeitsprinzips, Förderung der Demokratie und der guten Staatsführung sowie Wahrung der Menschenrechte – erreicht werden können, muss die EU mehr, besser und schneller helfen. Davon ist jedenfalls der zuständige EU-Kommissar Louis Michel überzeugt, der vor wenigen Tagen in Brüssel einen entsprechenden Maßnahmenkatalog vorstellte.
Gegen einen effizienteren und kohärenteren Einsatz der europäischen Hilfe in der Dritten Welt hat auch Jean-Louis Schiltz nichts einzuwenden. Denn: mit mehr Geld allein seien die Millennium-Ziele der Vereinten Nationen nicht zu erreichen, die unter Anderem eine Halbierung der weltweiten Armut bis ins Jahr 2015 vorsehen. Der Kooperationsminister sieht die Vorschläge von Louis Michel als “logische Konsequenz” der unter luxemburgischem Ratsvorsitz beschlossenen Aufstockung der Finanzmittel. Allerdings befürchtet der Ressortchef, dass die EU-Kommission aus dem hehren Prinzip der Wirksamkeit Schlüsse ziehen werde, die der luxemburgischen Vorgehensweise in den zehn erklärten Zielländern nicht unbedingt dienlich sein könnten.
Nach Auffassung von Jean-Louis Schiltz ist die Entwicklungshilfe dann wirksam, wenn die Mittel so vollständig wie möglich dort ankommen, wo sie gebraucht werden. “Wirksam helfen heißt auch, Prioritäten in der Umsetzung setzen. Geografisch bedeutet das für mich Afrika. Und sektoriell müssen wir uns auf die Berufsausbildung der Heranwachsenden und die ländliche Entwicklung konzentrieren”, meint der Kooperationsminister.
Schiltz befürchtet, dass Brüssel bei der Umsetzung seines Aktionsplans alle Mitgliedstaaten unbeachtet ihrer Größe über einen Kamm scheren wolle. Beispiel Durchführungsmodalitäten: Die EU-Kommission sieht in den sogenannten Haushaltszuwendungen, die weiter ausgebaut werden sollen, ein “Schlüsselelement” zur Steigerung der Wirksamkeit. Der luxemburgische Kooperationsminister steht dieser Vorgabe skeptisch gegenüber. “Ein Land wie Großbritannien mag der Meinung sein, dass die Budgethilfe ein effizientes Mittel der Entwicklungshilfe ist. Für Luxemburg sind jedoch die ,programmes indicatifs de coopération’ unübertroffen.” Dass ein kleines Land mit einzelnen Projekten besser helfen kann statt mit einem Scheck an das Empfängerland, rechtfertigt Jean-Louis Schiltz damit, dass auch Luxemburgs zehn Partnerländer keine Abkehr von der jetzigen Vorgehensweise wünschten. Zudem belegten unabhängige Studien, dass der Kostenaufwand dieser Programme alles Andere als erheblich sei, wie häufig von Brüssel beanstandet. Insgeheim befürchtet Jean-Louis Schiltz hinter dem Aktionsplan der EU-Kommission einen “Brüsseler Koloss”, der sich unter dem Vorwand von Effizienz und Kohärenz die Koordinierung der Hilfe in der Dritten Welt einzuverleiben versuche. “Die Abstimmung der Entwicklungshilfe muss vor Ort geschehen. Über die Wirksamkeit entscheiden darf weder das Geberland noch eine Brüsseler Behörde. Ausschlaggebend ist allein der Empfänger”, betont der Kooperationsminister. Schiltz plädiert für die Einführung eines Europäischen Tags der Entwicklungshilfe jenseits der offiziellen Ministerräte. Ein solcher Reflexionstag stünde dem weltweit größten Geber von Entwicklungshilfe gut zu Gesicht.
Quelle: Wort, 6. März 2006, Journalistin Joëlle Merges