CSV-Fraktionspräsident Michel Wolter im Soziale Fortschrëtt: “Das Luxemburger Modell wird auch im Stahlsektor überleben!”
Übernimmt der weltgrößte Stahlkonzern Mittal Steel unsere ARCELOR ? Diese Frage wird von vielen direkt oder indirekt betroffenen Menschen in den letzten Tagen sorgenvoll gestellt. Schließlich geht es bei dem von Mittal Steel gewollten Vorgang nicht um irgendeine Betriebsübernahme. Für Tausende Luxemburger und bei uns lebenden Ausländern ist die ARCELOR seit Jahrzehnten mit ihrer eigenen persönlichen und familiären Geschichte verbunden. Generationen von Arbeitern und Angestellten der ARBED, der HADIR, der MMR und der heutigen ARCELOR betrachten ihr Unternehmen als eines der Erkennungsmerkmale unseres Landes.
Die bange Frage nach den betrieblichen Perspektiven, die sich in der Folge einer möglichen Übernahme ergäben, ist berechtigt. Mittal Steel ist kein Unternehmen luxemburgischer Prägung. Es kennt unser Sozialmodell nicht, und es operiert bis jetzt vornehmlich in Niedriglohnländern, wo andere Gebräuche im Umgang von Arbeitgebern und Arbeitnehmern herrschen. Mittal Steel eilt der Ruf voraus, eine Sanierungsmaschine zu sein, die sich kontinuierlich marode Betriebe einverleibt und sie gesundschrumpft – auf Kosten der Beschäftigung und der sozialen Absicherung. Eine solche Betriebslogik wollen wir in Luxemburg nicht. Staatsminister Juncker hat das in seiner Rede vor dem Parlament Ende Januar bekräftigt, und alle Fraktionen der Abgeordnetenkammer stehen in dieser Hinsicht hinter der Regierung.
Die ARCELOR ist keine industrielle Trophäe, die sich ein internationaler Stahlmulti nach rein börsen- und profitbezogenen Überlegungen einverleiben kann. Für Luxemburg zählt im Stahlsektor nicht ausschließlich der Gewinn. Die Stahlindustrie ist ein wesentliches Stück Luxemburger Sozialgeschichte, und ihre Vergangenheit verpflichtet sie auch für die Zukunft. Daran wird sich auch dann nichts ändern, wenn die luxemburgische Stahlindustrie einen anderen Namen tragen würde.
Nun kann die luxemburgische Politik – wie im übrigen die Politik unserer Nachbarländer auch – nicht definitiv verhindern, dass sich Mittal Steel mit seiner Offerte durchsetzt. Die Entscheidung darüber, ob das Angebot Erfolg hat, liegt allein bei den ARCELOR-Aktionären. Sollte es Mittal Steel gelingen, zu einem bestimmten Zeitpunkt in den Besitz von 50,1 Prozent der Aktien und der Stimmrechte von ARCELOR zu gelangen, ist die Operation gelungen. Auch wenn Luxemburg seine 5,6 Prozent des ARCELOR-Kapitals nicht anbieten wird, bleibt mehr als genug Übernahmepotenzial, das die Aktionäre nutzen können. Wenn sie dies denn wollen.
Die kommenden Monate werden zeigen, ob und wie sich Markt, Aktionäre, Unternehmen und politische Entscheidungsträger verständigen können. Doch ganz gleich, wie der Kampf ausgeht: das Luxemburger Modell wird auch im Stahlsektor überleben! Die Engagements, die Mittal Steel in seiner ersten Pressemitteilung zum Übernahmeversuch übernommen hat, gehen in diese Richtung: Ansiedlung des Gesamtfirmensitzes in Luxemburg, Erhalt der Beschäftigten, Ausbau der Generaldirektion und die Achtung aller betrieblichen Verpflichtungen gegenüber den ARCELOR-Mitarbeitern sind eigentlich positive Ansätze. Die angekündigte Schließung der Mittal-Drahtstrasse in Schifflingen ist allerdings genau das Gegenteil. Wir bleiben wachsam!
Michel Wolter
CSV-Fraktionspräsident
Quelle: Soziale Fortschrëtt, Februar 2006