Die Artikel 68 und 69 der Verfassung regeln die parlamentarische Immunität. Sie sollen nun reformiert werden. Das Wie erläutert Laurent Zeimet im Wort
Die Artikel 68 und 69 der Verfassung des Großherzogtums sollen abgeändert werden. Beide betreffen die Immunität der Abgeordneten. Die Kommission für Verfassungsfragen hat ihre Berichte abgeschlossen. Mitte Februar soll die Reform im Parlament verabschiedet werden.
Was lange währt, wird endlich gut. Kurz vor der Auflösung des Parlaments wurde 1999 fast die gesamte Verfassung für revisionsbedürftig erklärt. Unter anderem auch der Artikel 68. Damals galten noch die alten Bestimmungen für eine Verfassungsänderung. Eine Revisionserklärung hatte die Auflösung des Parlaments zur Folge. Traditionsgemäß wurden daher vor dem “natürlichen” Ende einer Legislaturperiode eine ganze Reihe von Artikeln auf die Änderungswunschliste gesetzt.
2002 unterbreitete die Verfassungskommission einen Änderungsvorschlag zu Artikel 68. Im Mai 2003 hat sich der Staatsrat mit dem Text des Parlaments einverstanden erklärt. Da diese Bestimmung über die Unverantwortlichkeit des Abgeordneten jedoch an den folgenden Artikel über die Unverletzlichkeit des Abgeordneten gekoppelt ist, wurde abgewartet, dass das Verfahren zu Artikel 69 soweit abgeschlossen war, um die beiden Immunitätsbestimmungen gemeinsam behandeln zu können.
Artikel 68 der Verfassung über die Indemnität (juristischer Begriff für die Unverantwortlichkeit des Abgeordneten) soll nun präziser formuliert werden. Bis dato schreibt er vor, dass ein Abgeordneter nicht wegen seiner Meinung oder Abstimmungen während der Ausübung seines Mandats belangt werden kann. Der neue Text stellt klar, dass weder zivilrechtliche, noch strafrechtliche Verfahren gegen einen Parlamentarier in die Wege geleitet werden können. Die parlamentarische Indemnität soll einen Abgeordneten also vor zivil- und strafrechtlichen Klagen Dritter schützen.
Allerdings gilt dies nur im Zusammenhang mit Meinungsäußerungen und dem Abstimmungsverhalten des Abgeordneten während der Ausübung seines Mandats. Sie soll dem Politiker ermöglichen, sein Mandat frei auszuüben. Es handelt sich um eine Schutzmaßnahme gegen Drohungen oder Einschüchterungsversuche sowie gegen verletzende Gerichtsverfahren. Der Ursprung dieser Bestimmung liegt in der Gewaltenteilung. Der Gesetzgeber soll vor dem Zorn und der Einflussnahme durch die Exekutive bewahrt werden und dessen Unabhängigkeit gewährleisten.
Kein Privileg der Abgeordneten
Die Indemnität sei in diesem Sinne nicht als Privileg zu verstehen, das dem Grundsatz der Gleichheit aller vor dem Gesetz entgegenstehe, sondern als Garantie für die freie Ausübung des Mandats, die nicht dem jeweiligen Inhaber sondern dem Abgeordnetenmandant an sich zugedacht ist. Der einzelne Parlamentarier kann daher auch nicht auf diese Garantie verzichten. Sie ist Teil seines Statuts.
Wieso hielt man nun eine Präzisierung der Verfassungsbestimmung für notwendig?
Man geht davon aus, dass der Abgeordnete heute weniger von Seiten der Exekutive unter Druck gerät, als dass der vereinfachte Rechtsweg die Gefahr birgt, dass einzelne Bürger oder Vereinigungen gegen Volksvertreter Prozesse anstrengen könnten.
Der Staatsrat erkennt in dieser Form der Immunität ebenfalls eine Schutzfunktion für die Gerichtsbarkeit. Ohne Indemnität der Abgeordneten bestehe das Risiko, dass die politische Debatte vom Krautmarkt in die Gerichtssäle verlagert werde. Selbstverständlich stehen nur die gewählten Abgeordneten auf Krautmarkt und im Europaparlament unter dem Schutz der Bestimmung. Familienmitglieder und Mitarbeiter sind ausgeschlossen, hält die Kommission im Bericht ausdrücklich fest. Unter den Artikel 68 fallen nur die Meinungsäußerungen und das Abstimmungsverhalten des Abgeordneten bei der Ausübung seines Mandats.
Kann ein Abgeordneter sich nicht zügeln und übt gegen einen Kollegen Gewalt aus, ist dieses Verhalten nicht von der Indemnität gedeckt. Streng genommen meint “Ausübung des Mandats” nur die Arbeit während den Plenar- und Kommissionssitzungen des Parlaments. Wenn ein Politiker bei Parteiveranstaltungen oder in den Medien auftritt, dürfte nach dieser Lesart der Verfassungsbestimmung die Indemnität nicht gelten. Berichterstatter Paul-Henri Meyers (CSV) wollte diese Interpretation ausdrücklich im Kommissionsbericht festhalten, konnte sich bei seinen Kollegen jedoch nicht durchsetzen. Im Streitfall müssen die Richter den Text auslegen.
Strafverfolgung ohne Genehmigung
Artikel 69 der Verfassung über die Immunität der Abgeordneten soll gleichzeitig abgeändert werden. Dieser Artikel war bereits 1994 von der Kammer zur Revision freigegeben worden.
Außer in den von Artikel 68 festgelegten Fällen (Meinungsäußerung und Abstimmungsverhalten) soll der Volksvertreter in Zukunft auch während der Session strafrechtlich verfolgt werden können. Allerdings bedarf es zur Festnahme eines Mitglieds des Parlaments der Zustimmung des Hohen Hauses. Es sei denn, der Abgeordnete wurde auf frischer Tat ertappt. Zur Vollstreckung der gegen einen Deputierten verhängten Strafe, soll es keiner Zustimmung des Parlaments mehr bedürfen. Auch die Bestimmung über die Immunität der Abgeordneten entstammt der Angst vor der Willkür der Exekutive. Heute wird sie jedoch eher als Privileg missverstanden. Die Unverletzlichkeit der Parlamentarier soll daher eingeschränkt werden. Zur strafrechtlichen Verfolgung eines Mitglieds der Kammer bedarf es nun keiner vorigen Genehmigung mehr durch das Parlament.
Die beiden Verfassungsänderungen sollen Mitte Februar im Plenum verabschiedet werden.
Quelle: Wort, 2. Februar 2006, Autor Laurent Zeimet