Jean-Claude Juncker im REVUE-Interview
REVUE: Herr Staatsminister, was erwartet uns 2006?
Eine Reihe kollektiver Anstrengungen, damit unser Land die Kraftreserven behält, die es besitzt. Wir müssen uns bemühen, die im Staatsbudget vorgesehenen Ausgabensteigerungen unter Kontrolle zu bringen. Ich hoffe zwar, dass das Jahr auch gute Überraschungen parat hält, doch zurzeit lassen sich die Anstrengungen leichter formulieren.
REVUE: Was ist Chefsache? Wo liegen Ihre persönlichen Prioritäten?
Ich möchte nicht den Eindruck erwecken, allein für alles zuständig zu sein. Eine Regierung teilt die Verantwortung. Ich will allerdings vermehrt darauf achten, dass alle Kraftanstrengungen auch zum Tragen kommen.
REVUE: Auf welchem Gebiet?
Vor allem in der Haushaltspolitik. Wir dürfen nicht in eine Verschuldungsspirale geraten, die es künftig unmöglich macht, in guten Jahren die Speckpolster anzulegen, die gebraucht werden, um in schlechten Jahren über die Distanz zu kommen. Das ist in den nächsten Monaten meine allererste Priorität.
REVUE: Warum ist die Rückkehr auf den Boden der Tatsachen so schwer? Hat der Staat seine Ausgaben nicht im Griff?
Ein staatliches Budget ist nicht rigide, es kann nicht bis auf den letzten Euro festgelegt werden. Alles ist nicht bis ins Detail kontrollierbar. Unsere Wirtschaft ist in den Jahren 2005 und 2006 noch immer um rund 4 Prozent gewachsen, das ist das zweithöchste Wachstum in der Eurozone. Dennoch haben wir ein Defizit von 1,8 Prozent unseres Bruttoinlandproduktes. Dabei müsste unser starkes Wachstum einen Überschuss generieren. Ich werde mich bemühen, dieses Gleichgewicht wiederherzustellen.
REVUE: Wo sind uns die Ausgaben über den Kopf gewachsen?
Eigentlich ist es einfacher Finanzminister zu sein, wenn es schlecht geht, als wenn es dem Land so gut geht wie in den letzten Jahren. Ich bin nicht müde geworden davor zu warnen, mehr Geld auszugeben, als man hat. Ich habe immer wieder für den berühmten Notgroschen auf der hohen Kante plädiert. Aber ich bin damit gegen eine Wand gestoßen und wenn wir Geldreserven anlegen konnten, kam man mir mit Vorwürfen – der Staat bereichert sich. Jetzt jedoch hören mir die Menschen plötzlich wieder besser zu, wenn ich von moderaten Ausgaben spreche.
REVUE: Wo tritt der Staat kürzer?
Er hat eigentlich noch viel vor. Wir müssen für die Versorgung der Kinder sorgen. Wir müssen in die Universität investieren, weil sie eines Tages ein Standortvorteil sein wird. Wir müssen mehr Geld in Forschung und Entwicklung stecken, wo wir in Verzug sind.
REVUE: Stehen diese Pläne nicht im Widerspruch zu der von Ihnen angesprochenen Mäßigung?
Wir müssen unsere Gestaltungsmöglichkeiten wahren. Ich zähle hier auf das Verständnis der Bevölkerung, die es stets verstanden hat ihre Zukunft zu sichern und umsichtig zu haushalten.
REVUE: Und wo wird denn nun gespart?
Ganz klar bei den Sozialausgaben, aber nicht nur da.
REVUE: Sondern auch…
Darf ich auf meine Erklärung zur Lage der Nation verweisen? Darin zeichne ich Pisten auf, um Kosten einzusparen. (Höhe der staatlichen Beiträge in den Renten- und Krankenkassen, automatische Indexierung gewisser Sozialleistungen, Lohnpolitik des Staates, Preis der Kinderbetreuung A.d.R.) In dieser Rede steht alles drin. Wo Kosten eingespart werden können und wie wir im Einzelnen vorgehen werden. Ich bin fundamental überzeugt davon, dass wir unsere Finanzlage wieder in den Griff bekommen. Die Luxemburger waren immer offen für neue politische Ideen, wenn sie das Gefühl hatten, dass es sich um zukunftsdienliche Lösungen handelt. Wir dürfen keine Egoisten des Augenblicks werden.
REVUE: Werden Sie auch vom Steuerzahler mehr Anstrengungen verlangen?
Der Luxemburger bezahlt verhältnismäßig wenig Steuern und ich denke in erster Linie auch nicht an eine Steuererhöhung. Allerdings muss sich in den Verhandlungen herausstellen, ob eine Reduzierung der Ausgaben reicht oder ob eine Neuordnung von Ausgaben und Einnahmen notwendig ist.
REVUE: Indirekt wurden unsere Steuern dadurch erhöht, dass ab dem 1. Januar die Quellensteuer erhoben wird.
Wenn neue Steuern eingeführt werden, tut das immer weh. Schade ist, dass wir uns im Vorfeld nicht ausreichend mit der Definition des Kleinsparers – der von dieser Steuer ausgeschlossen ist – beschäftigt haben. Ich möchte jedoch andererseits darauf hinweisen, dass die Zinserträge auch 2005 versteuert werden, und zwar mit maximal 38 Prozent. Die neuen Steuern liegen mit zehn Prozent wesentlich tiefer. Das sollte man sich zu Gemüte führen. Seit dem 1. Januar hat die Zinsbesteuerung abgenommen. Wenn sich so viel darüber aufgeregt wird, stelle ich mir die Frage, wie das überhaupt in der Vergangenheit besteuert wurde.
REVUE: Sie haben persönlich ein “europäischen Jahr” hinter sich und Europa hat es Ihnen mit einer ganzen Reihe Preise gedankt. Wie schwer ist es danach, wieder nationale Politik zu machen?
Ich mache auch außerhalb einer Ratspräsidentschaft europäische Politik. Die wichtigen europäischen Fragen betreffen nach wie vor die Interessen unseres Landes. Ich müsste mich in den ersten sechs Monaten des Jahres jedoch stärker ins europäische Tagesgeschäft reinhängen. Entzugserscheinungen habe ich deshalb aber nicht bekommen. Es ist eher eine Erleichterung, nicht mehr in letzter Instanz für alle europäischen Entscheidungen verantwortlich zu sein und sich wieder stärker den nationalen Fragen widmen zu können.
REVUE: Sind diese in den ersten sechs Monaten des Jahres zu kurz gekommen?
Auf keinen Fall. Die Kollegen in der Regierung waren ihrerseits unterschiedlich stark vom europäischen Geschäft beansprucht und hatten demnach noch ausreichend Zeit für die nationalen Belange. Und ich freue mich, nun auch wieder diese Zeit zu haben, um mich Belangen zuzuwenden, die mir wichtig sind.
REVUE: Die Europapolitik ist gewissermaßen ein Wechselbad der Gefühle. Mal ist es die große Liebe, dann wieder starker Druck. Wie steht der Mensch Jean-Claude Juncker dazu?
Europa beansprucht jederzeit den ganzen Menschen, verlangt eine völlige Hingabe. Es ist ein politisches Wesen, das sich dem Griff des Menschen gelegentlich entzieht und ihm aus den Händen zu gleiten droht. Dann braucht es neue Überlegungen, um der Sache Herr zu werden. Die Hauptschwierigkeit liegt in der Aufnahmefähigkeit und -bereitschaft der Menschen. In Luxemburg ist es genauso schwer für europäische Belange zu begeistern, wie im Ausland über Luxemburg zu sprechen. Aber da muss ich durch, denn beides ist nicht zu trennen.
REVUE: Bleiben wir noch bei dem Menschen Jean-Claude Juncker. Hatte der nicht versprochen, nach der Présidence mit Rauchen aufzuhören?
Nein, das hatte er nicht. Das hätte der Gesundheitsminister zwar gerne von mir gehört, er darf es mir jedoch nicht in den Mund legen. Ich hatte einzig und allein in Aussicht gestellt, meinen Konsum auf zehn Zigaretten täglich zu senken. Und daran halte ich mich.
Das Interview führte Claude Wolf
Quelle: REVUE NR.1/ 07.01.2006