Auszüge aus einem Gespräch, das Premierminister Jean-Claude Juncker zum Jahresende mit der Journal-Redaktion führte
Zur Standortentscheidung der Universität und dem Koalitionsabkommen
“Ein Koalitionsabkommen kann nur von denen gebrochen werden, die es auch verbrochen haben. Wenn zwei Parteien, die sich ein Programm gegeben haben, nach intensiven Beratungen zur Schlussfolgerung gelangen, dass Teile davon überprüft werden müssen, finde ich das als sich in der normalen Kontinuität des Handelns bewegend. Ich denke auch, dass die Entscheidung, die die Regierung (…) getroffen hat neben der prinzipiellen Festlegung auf einen einzigen Standort nuancierter ist, da wir ja sagen, dass wir ab 2009 die Fakultät für Rechts- und Wirtschaftswissenschaften an diesen einzigen Standort verlegen wollen. Das ist eine prinzipielle Festlegung, die 2009 einer Nachentscheidung bedarf.”
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Über die nächsten Tripartite-Gespräche
“Mein Gefühl ist, dass es langsam jedem einleuchten dürfte, dass man mit einem Wirtschaftswachstum von über vier Prozent nicht ein Staatsdefizit von 1,8 Prozent haben kann, und dass man dafür die Ausweitung der staatlichen Ausgaben in Einklang mit den Möglichkeiten bringen muss, die das Wirtschaftswachstum uns mittelfristig an die Hand gibt. Bis sich dieser Befund bei jedem festgesetzt hat, muss man darüber sprechen, wie man diese Annäherungsnotwendigkeiten konkret gestalten kann.
Wenn wir aber mehr Forschung machen müssen und öffentlich finanzieren, wenn wir in Sachen Vereinbarkeit zwischen Beruf und Familie auch Haushaltsmittel zum Einsatz bringen wollen, um beispielsweise Kinderversorgungsinfrastrukturen auszubauen, wenn wir ein Land bleiben wollen mit hohen Investitionen in die Entwicklungshilfe, dann muss man auch die Kraft haben, sich zielorientiert darüber zu unterhalten, wie man einzelne Aspekte des Haushalts umfinanzieren muss.”
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Zur Europapolitik.
“Politisch gewinnbringend wäre es, wenn diese sich jetzt z.B. mit dem Richtlinienvorschlag zur Arbeitszeit in Europa befassen würden, nachdem die europäische Gesamtdebatte seit Juli keine nennenswerten Fortschritte mehr zu verzeichnen hatte, weil die ungelöste Haushaltsfrage ihren Schatten darauf warf. Deshalb meine ich, dass nun die Zeit dafür gekommen ist, die europapolitische Debatte überall zu rühren, auch in den Ländern, in denen die EU-Verfassung bereits ratifiziert wurde, und sich europäischen Sachthemen zu zu wenden. Die Stunde der politischen Inhalte hat geschlagen.”
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Die EU-Verfassung
“2009 ist immer noch der Zeithorizont, den ich als realistisch einschätze, was ihre Inkrafttretung anbelangt. Nicht realistisch wäre es zu meinen, die Verfassung könnte in allen Ländern 2006 und 2007 abschließend ratifiziert werden. Ich sage damit exakt das gleiche wie der Kommissionspräsident, der nicht behauptete, der Verfassungsvertrag sei tot, sondern nur, dass er nicht vor Ende 2007 ratifiziert werden könnte.”
Der integrale Text des Interviews auf www.gouvernement.lu
Quelle: Lëtzebuerger Journal, 28. Dezember 2005, Journalisten: Claude Karger, Pascal Steinwachs