Reformen im Dialog

Fraktionspräsident Michel Wolter über den Staatshaushalt für 2006

Der Staatshaushalt für 2006 wird in seiner Durchführung eine sehr ernste Übung. Dass unser Staat über seine Verhältnisse lebt, ist vielen von uns klar – und im Haushaltsbericht der parlamentarischen Finanzkommission auch sehr deutlich geworden. Ungezählte Gutachten zum Staatshaushalt haben eine finanzielle Schieflage ausgewiesen, der entgegen gewirkt werden muss. Dies erfordert die Bereitschaft zu Veränderungen – eine Bereitschaft, die bei vielen Menschen auch gegeben ist.

Luxemburg hat andere Haushaltsprobleme als seine Nachbarländer. Unsere Staatseinnahmen steigen kontinuierlich, auch im kommenden Jahr um sechs Prozent. Davon kann beispielsweise Frankreich nur träumen – dort wird das Budget für 2006 der vierte Haushalt in Folge, dessen Volumen überhaupt nicht steigt. Unser Problem ist, dass die Ausgaben des Staates seit Jahren erheblich stärker anwachsen, als die Einnahmen. Für 2006 stehen neun Prozent mehr Ausgaben den sechs Prozent mehr Einnahmen gegenüber. Dieses Problem ist struktureller Natur – unser Haushalt wächst auf der Ausgabenseite stärker, als es das Wirtschaftswachstum erlaubt.

Für 2006 erwarten wir ein Wirtschaftswachstum von rund vier und eine (zu hohe) Inflation von knapp drei Prozent. Demnach dürfen die luxemburgischen Staatsausgaben um gut sechs Prozent steigen, mehr nicht. Wir müssen im kommenden Jahr damit anfangen, etwas weniger mehr auszugeben.

Bis 2009 werden wir, bei konstanter Politik, rund eine Dreiviertelmilliarde Euro, 30 Milliarden Luxemburger Franken, einsparen müssen, um die europäischen Stabilitätskriterien einhalten zu können. Zusätzlich müssen Universität und Forschung, Entwicklung, Verteidigung, Strassen- und Schienenbau, Kinderbetreuung und Schulneubauten finanziert werden.

Luxemburg wird sich, um diese Herausforderungen meistern zu können, Veränderungen stellen müssen. Die große Frage, die es zu beantworten gilt, lautet: wollen wir auch in zwanzig Jahren noch zukunftsorientiert Politik gestalten können, oder begnügen wir uns mit einer Versorgungspolitik, die irgendwann ausläuft, weil die Kassen leer sind?

Die Luxemburger waren immer zu Veränderungen bereit, wenn die Zeiten und die Umstände dies erfordert haben. Das wird auch ein weiteres Mal so sein. Und Veränderungen, größere Reformen, werden bei uns im Dialog vorbereitet. In einem Dialog der politischen Entscheidungsträger mit jenen, die die Veränderungen akzeptieren müssen, also den Beschäftigten und den Betrieben. Aus diesem Grund tagt eine nationale Tripartite, die bis Mai nächsten Jahres angesetzt ist und gangbare Reformpisten aufzeigen soll.

Der Luxemburger Sozialdialog hat sich oft bewährt. Deswegen hält die CSV auch daran fest. Es wird keine Einschnitte in die Haushaltswirklichkeit geben, bevor die Tripartite nicht ihre abschließenden Erkenntnisse vorgelegt hat. Das vorhandene Sparpotenzial wird zwar resolut genutzt, allerdings ohne dass es zu Gesetzesänderungen im wirtschaftlichen und sozialen Bereich käme, die den Tripartite-Feststellungen vorgreifen würden. Die Sozialpartner können mit der nötigen Ruhe und Gelassenheit ihre Beratungen führen. Danach werden Reformvorschläge auf den Tisch kommen. Nicht vorher.

Michel Wolter
CSV-Fraktionspräsident

Quelle: “Soziale Fortschrëtt” 8/2005