Die Chance der Krise
Nach den Referenden in Frankreich und Holland ist Europa nachdenklich geworden. Das ist gut so. Denn im Ringen um eine gemeinsame Verfassung liegen vor allem auch Chancen. Wir reden intensiver über den Sinn und den Zweck der Europäischen Union, die Aufgaben der Zukunft und die Rolle der EU in der Welt: Europa soll bürgernäher, transparenter, sozialer, klarer, effizienter und international kohärenter werden.
Die USA und Europas Verhältnis zu ihnen und ihrem Gesellschaftsmodell stehen in der neuen Europadebatte ebenfalls zur Diskussion. Wie diese schließlich ausgehen wird, ist im Moment schwer zu sagen. Die Verfassung ist auf diesem Gebiet eher eine Absichtserklärung als ein klares politisches Programm. Doch das Potenzial für eine Vertiefung des Entwicklungsprozesses einer authentischen und kohärenten europäischen Außenpolitik ist in der Verfassung vorhanden.
Wichtige institutionelle Reformen ein für zweieinhalb Jahre genannter Präsident des europäischen Rates und ein europäischer Außenminister können in Zukunft dazu beitragen, der Europäischen Union eine Stimme und ein Gesicht auf internationaler Ebene zu geben. Die Position des Außenministers muss aus dem politischen Wirbelsturm gezogen werden und Europa darf von anderen Staaten nicht als irrelevant, passiv und völlig mit sich selbst beschäftigt wahrgenommen werden. Egal, wie der Titel ist, ob hoher Repräsentant, Außenminister oder Vizepräsident: Europa muss in der Außenwelt politischen Willen zeigen.
Die EU nach dem Ratifikationsprozess wird gewiss eine andere sein als vorher. Doch nur eine durch eine Verfassung geeinte EU kann sich als Gegengewicht zu den USA, China oder anderen aufstrebenden Großmächten profilieren und etablieren.
Wenn wir Luxemburger diese Verfassung ratifizieren, erhalten wir die große und einmalige Gelegenheit, ein klares Zeichen zu setzen und das erweiterte Europa handlungsfähiger zu machen, es politisch zu integrieren und das Einigungswerk in den vor uns liegenden zwei Jahrzehnten zu vollenden.